Kolumne von Milo RauIllusions-Heroin
Vielleicht habe ich mit meiner aktuellen Inszenierung – einer Mozart-Oper – das Maximum an absichtlicher Selbstentfremdung erreicht.
«Wer Haschisch raucht, der landet irgendwann beim Heroin.» Schon tief in den 90ern, als ich noch selbst kiffte, war dieser Satz bereits ein angestaubter Ladenhüter aus einer vergangenen Zeit. Doch die Grundidee ist eigentlich zutreffend: Jedes befriedigende Verhalten tendiert dazu, sich zu wiederholen. Welche Gründe der Verstand auch vorschieben mag, der menschliche Organismus will schlichtweg mehr vom gleichen Glück. Die Frage ist also nicht, was die Obsession ist, die einen treibt, welche Droge man nimmt – sondern was man aus ihr macht.
Besonders ausgeprägt ist dieser produktive, sich steigernde Wiederholungszwang in der Kunst. Als Kind fragte ich mich: Warum machen Jeanne-Claude und Christo eigentlich nie etwas anderes, als Häuser einzupacken – und warum werden die eingepackten Häuser immer grösser? Warum dreht Woody Allen eine Komödie nach der anderen? Warum veröffentlicht Peter Handke von Jahr zu Jahr epischere Beschreibungen seiner Spaziergänge, während Peter Bichsels Bücher immer wortkarger werden? Ist man als Künstler dazu verdammt, immer das gleiche Buch zu schreiben, den gleichen Film zu drehen – bis man zur eigenen Karikatur wird?
Als ich begann, Theater zu machen, tat ich es aus einer Haltung der Verweigerung heraus. Damals waren ironische, wie DJ-Sets präsentierte Revuen der grossen Roman- und Filmstoffe angesagt. Also konzentrierte ich mich instinktiv auf ein langsames Theater, das seine Kraft aus der Kollektivgeschichte und den Traumata der Darstellerinnen auf der Bühne zog. Und irgendwann kam der Tag, als ich einen Abend mit dem Titel «Die Geschichte des Maschinengewehrs» inszenierte. Ganz egal, wie gelungen das Stück war: Der Titel war die Karikatur eines Milo-Rau-Titels.
Als ich begann, Theater zu machen, tat ich es aus einer Haltung der Verweigerung heraus.
In den folgenden Jahren begann ich deshalb, Dinge zu tun, die auf den ersten Blick schlecht zu mir passten: Ich inszenierte Klassiker, übernahm die Leitung eines Theaters, machte ein Stück zu einem Altarbild, drehte einen Jesusfilm. Und vielleicht habe ich mit meiner aktuellen Inszenierung – einer Mozart-Oper – das Maximum an absichtlicher Selbstentfremdung erreicht. Wenig überraschend, dass ein Grossteil meiner Arbeit an der Oper darin besteht, die melodramatisch übersteigerte Sprache und die pompöse Gefälligkeit der Musik auf ihren emotionalen und politischen Kern zu bringen. In der kindlichen Hoffnung, eine Wirklichkeit in einer 200-jährigen Mozart-Oper zu entdecken, die in nur genau dieser Konstellation von Menschen, in nur genau diesem historischen Moment angelegt ist.
Das Problem dabei ist: Mozart unternimmt alles, um sich so weit wie möglich von der Wirklichkeit zu entfernen. Wenn Theater und Film Illusions-Hasch sind, dann ist Oper Illusions-Heroin. Als Regisseur ist man, da Musik und die – im Fall von Mozart ohnehin völlig absurde – Handlung ja feststehen, eine Art Innendesigner mit den Vollmachten eines professionellen Träumers. Womit sich nicht mehr die Frage stellt: Was mache ich mit Mozart? Sondern: Was macht Mozart mit mir?
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