Illegale Migration nach DeutschlandAuf einmal gilt die Schweiz als Vorbild
Die deutsche Regierung lobt die gemeinsamen Polizeipatrouillen auf Schweizer Boden als besonders effizient. Dabei sind diese laut Opposition kaum mehr als «Schönfärberei».
So viel Lob erhält die Schweiz von der deutschen Regierung selten. Bundeskanzler Olaf Scholz pries die gemeinsamen Kontrollen deutscher und Schweizer Polizisten in den letzten Tagen mehrmals als besonders effizient, um gegen illegale Einreisen vorzugehen. Es sei eine «enge Kooperation, die wirkt», sagte der Sozialdemokrat am Wochenende. Ähnlich hatte sich zuvor schon Christian Lindner geäussert, FDP-Chef und Finanzminister.
Innenministerin Nancy Faeser ging noch weiter: Die Sozialdemokratin nannte die deutsch-schweizerische Polizeikooperation zuletzt in verschiedenen Medien «sehr erfolgreich», ja «hervorragend». Sie überwache das Migrationsgeschehen an der Grenze nicht nur, sondern «verhindere» tatsächlich illegale Einreisen.
Scholz und Faeser stellten die Schweiz ausdrücklich als Vorbild für zusätzliche Anstrengungen an den deutschen Grenzen dar. Eine ähnliche Kooperation bespreche man derzeit mit der tschechischen Regierung, sagte Faeser. An der Grenze zu Polen jedoch prüft Deutschland zurzeit die Wiedereinführung von stationären Kontrollen, wie es sie seit 2015 an der Grenze zu Österreich gibt. In den vergangenen Wochen kamen auf keinem Weg mehr Asylsuchende nach Deutschland als über Polen.
Das Lob für die Schweiz verfolgt natürlich ein politisches Ziel: Die Regierungen in Berlin und Bern wollen unbedingt vermeiden, an der Grenze zwischen der Schweiz und Deutschland wieder stationäre Grenzkontrollen einzuführen. Die Opposition im Deutschen Bundestag, Christdemokraten und Alternative für Deutschland, fordern diese Massnahme aber seit langem.
In Bern wie in Berlin fürchtet man negative Auswirkungen auf den intensiven Pendlerverkehr zwischen Baden-Württemberg und der Schweiz. Stationäre Grenzkontrollen, wie es sie beispielsweise während der Corona-Pandemie gab, hätten zeitraubende und teure Staus zur Folge. Zudem sei der freie Binnenverkehr eine besonders wertvolle Errungenschaft der europäischen Integration.
30-mal mehr «Zurückweisungen» als 2022
Innenministerin Faeser belegt gerne mit Zahlen, dass die seit vergangenem Herbst intensivierten deutsch-schweizerischen Patrouillen den stationären Grenzkontrollen nicht nur ebenbürtig, sondern sogar überlegen seien. Im ersten Halbjahr 2023 kam es laut Bundespolizei an der Grenze zwischen der Schweiz und Deutschland so zu 4800 Zurückweisungen, das waren sogar mehr als an der österreichisch-deutschen Grenze (4500). Im ersten Halbjahr 2022 waren es lediglich 168 gewesen, also 30-mal weniger.
Alexander Throm, Migrationsexperte der CDU, hält von dem Erfolg dennoch nicht viel. Die Zahlen seien «Kosmetik» und «Schönfärberei», sagt er auf Anfrage. Ja, die Innenministerin trickse sogar: Die Zurückweisungen auf Schweizer Boden seien rechtlich nämlich keinesfalls dasselbe wie die Zurückweisungen an der Grenze zu Österreich.
An der Schweizer Grenze, am Basler Bahnhof zum Beispiel, weise die Polizei die Flüchtenden einfach darauf hin, dass sie nicht nach Deutschland einreisen dürften, sagte Throm. Festhalten oder sie tatsächlich daran hindern dürfe die Polizei die Menschen aber nicht. Diese «Zurückweisungen» seien «höfliche Hinweise», mehr nicht. Und ob sich irgendjemand an die Bitten halte, sei fraglich.
Die Zurückweisung im Rahmen einer stationären Grenzkontrolle hingegen ist laut Fachleuten ein Verwaltungsakt nach deutschem Aufenthaltsrecht, der Einreisen tatsächlich polizeilich verwehrt und als vergleichsweise abschreckend gilt.
Auch an der Grenze zu Österreich gilt jedoch: Wer an der Grenze um Asyl in Deutschland ersucht und dies zuvor nicht nachweislich bereits in einem anderen Land der EU getan hat, kann nicht mehr abgewiesen werden. Und wer einmal zurückgewiesen wurde, wird meist anderswo an der Grenze sein Glück erneut versuchen.
Fachleute, Politikerinnen und Polizisten sind sich alles andere als einig, welche Kontrollen an der Grenze Flüchtende eher daran hindern, illegal nach Deutschland weiterzureisen. Faeser nannte stationäre Kontrollen noch vor einer Woche «Scheinlösungen», jetzt prüft sie deren Einführung zumindest an der Grenze zu Polen.
Besondere Lage an der Grenze zu Polen
Heiko Teggatz, Vizechef der Deutschen Polizeigewerkschaft, betonte in der Tageszeitung «Welt» gerade die Vorteile stationärer Kontrollen. In diesem Jahr seien an der Grenze zu Österreich so bereits 17’000 illegale Einreisen effektiv verhindert worden. Allerdings seien feste Kontrollpunkte nur an Autobahnen sinnvoll. Die vielen kleineren Grenzübergänge kontrolliere man weiterhin besser nach Bedarf.
Lars Wendland hingegen, Vorsitzender der Berliner Gewerkschaft der Polizei, hält flexible Grenzkontrollen, kombiniert mit Schleierfahndung im Grenzgebiet, im Kampf gegen Schleuser für wirkungsvoller. Zudem würden fast alle Menschen, die derzeit über die polnische Grenze nach Deutschland kämen, in Deutschland um Asyl ersuchen – könnten also grundsätzlich nicht zurückgewiesen werden.
Grenzkontrollen sind eigentlich obsolet
Stationäre Grenzkontrollen sind im Innern der EU eigentlich nur als befristete Ausnahmen erlaubt, sofern die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit eines Landes bedroht sind. Dafür müssen diese in Brüssel offiziell angemeldet und alle sechs Monate erneuert werden. Deutschland hält es mit seiner Grenze nach Österreich seit der Flüchtlingskrise so, Frankreich seit letztem Jahr mit all seinen Grenzen.
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