Idee des Rütli-VereinsWer freiwillig Einsätze leistet, soll mehr Ferien bekommen
Der Bundesrat lehnt eine Volksinitiative ab, die einen Bürgerdienst verlangt. Nun bringt die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft einen neuen Vorschlag ins Spiel.
Bedürftigen helfen, die Natur pflegen, sich bei der Feuerwehr engagieren: Geht es nach den Initianten der Volksinitiative «Für eine engagierte Schweiz», soll künftig jede Frau und jeder Mann mit Schweizer Bürgerrecht einen Dienst zugunsten der Allgemeinheit leisten.
Die Volksinitiative wird kurz Service-Citoyen-Initiative genannt. Sie will die heutige Dienstpflicht auf den weiblichen Teil der Bevölkerung ausdehnen. Neben einem Dienst in der Armee oder im Zivilschutz soll auch ein gleichwertiger Dienst für das Gemeinwohl möglich sein, etwa in Vereinen, in Heimen oder im Umweltbereich.
Während das Anliegen in der Bevölkerung populär ist – Umfragen ermittelten Zustimmungswerte zwischen 57 und 71 Prozent –, kann der Bundesrat wenig anfangen damit. Wie er jüngst bekannt gab, empfiehlt er dem Parlament, die Initiative ohne Gegenvorschlag abzulehnen.
Hohe Kosten befürchtet
Sorgen machen der Landesregierung unter anderem die «beträchtlichen» volkswirtschaftlichen Folgen. Heute belaufen sich die Erwerbsersatzkosten für Militär, Zivilschutz und Zivildienst auf rund 700 Millionen Franken. Wären die Frauen ebenfalls dienstpflichtig, dürften sich diese Kosten laut Bund annähernd verdoppeln.
Daneben ortet der Bundesrat weitere Probleme. Es sei unklar, ob die Personalbestände von Armee und Zivilschutz mit dem Modell auf Dauer alimentiert werden könnten. Der Wirtschaft werde Personal entzogen. Zudem seien Konflikte mit dem Zwangsarbeitsverbot möglich, wenn ein Grossteil der Bevölkerung zu Diensten ausserhalb von Armee und Zivilschutz verpflichtet wird.
Noémie Roten ist enttäuscht, aber nicht überrascht: «Leider zeigt sich schon lange, dass der Bundesrat in dem Bereich keine Visionen hat.» Die Geschäftsleiterin des Vereins Service Citoyen warnt: Wenn sich die Menschen immer weniger gemeinsam engagierten und immer mehr in ihre sozialen Blasen zurückzögen, bedeute das für die Gesellschaft nichts Gutes. (Mehr dazu: Noémie Roten will uns alle in den Gemeinschaftsdienst schicken.)
Freiwilligenurlaub als Alternative?
Die Antwort des Bundesrats beschäftigt auch Freiwilligenorganisationen. Andreas Müller, der früher Bundesräte beraten hat und Vizedirektor der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse war, betreut heute bei der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG) den Themenschwerpunkt «Freiwilligenarbeit». Er findet es falsch, dass der Bundesrat primär mit volkswirtschaftlichen Argumenten und nicht gesellschaftspolitisch auf die Initiative reagiert. Die Regierung agiere «desinteressiert, defensiv und nicht auf der Höhe der Zeit», kritisiert Müller.
Zwar hat die SGG, auch bekannt als Rütli-Verein, noch keine Parole zur Initiative gefasst. Für Müller ist jedoch klar: Es brauche eine Grundsatzdebatte. Wer die Initiative ablehne, müsse bereit sein, über andere Wege zu sprechen, um das zivilgesellschaftliche Engagement im Land zu stärken. Auf Anfrage bringt er selbst einen Vorschlag ins Spiel: die Einführung eines Freiwilligenurlaubs.
Die Idee knüpft beim sogenannten Jugendurlaub an. Bereits heute sieht das Gesetz vor, dass unter 30-Jährige eine Arbeitswoche pro Jahr freinehmen können, um sich ehrenamtlich zu engagieren. Ihren Lohn erhalten sie in dieser Zeit nicht. Erst am Mittwoch hat sich der Ständerat dafür ausgesprochen, diesen unbezahlten Jugendurlaub auf zwei Wochen zu verdoppeln.
Der Rütli-Verein möchte noch weitergehen. Müller sagt: «Eine Möglichkeit wäre, diesen Urlaub auch auf Personen über 30 auszudehnen.» Zu dieser Forderung haben sich auch andere Freiwilligenorganisationen in einem Manifest bekannt. Unternehmen sollten aus Müllers Sicht zudem dazu ermutigt werden, den Lohn ihrer Angestellten während des Urlaubs weiterzuzahlen.
SP und SVP lehnen Initiative ab
Hinter der Service-Citoyen-Initiative stehen die Grünliberalen, die EVP, die Piratenpartei und mehrere Jungparteien. Auch einige Exponentinnen von FDP und Mitte sowie vereinzelte linke Politiker sitzen im Komitee.
Zu den Gegnerinnen gehört die SP. Priska Seiler Graf, die Präsidentin der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats, sieht keine Notwendigkeit, der Initiative einen Gegenvorschlag gegenüberzustellen. «Ich bin überzeugt, dass die Zustimmung in der Bevölkerung bröckelt, sobald sich die Leute eingehender mit dem Bürgerdienst befassen», so die Sozialdemokratin.
Zu viel spreche gegen die Initiative: Es drohe Lohndumping, ausserdem sei es problematisch, junge Leute zu einem Arbeitseinsatz zu zwingen. Die Idee eines Freiwilligenurlaubs hat für sie aber «einen gewissen Reiz».
Norwegisches Modell?
Auch SVP-Sicherheitspolitiker Thomas Hurter lehnt die Initiative ab. Anderweitige Anreize, um die Freiwilligenarbeit zu fördern, braucht es aus seiner Sicht nicht. «Das entspricht nicht dem Gedanken unseres Milizsystems.» Die Debatte über die Zukunft der Armee wiederum müsse separat geführt werden. Dazu sagt Hurter: «Um die Personalprobleme in der Armee zu lösen, ist ein Bürgerdienst die falsche Lösung.»
Das Verteidigungsdepartement prüft derzeit zwei Varianten für eine mögliche Weiterentwicklung der Dienstpflicht: das sogenannt norwegische Modell, bei dem auch Frauen stellungspflichtig wären, und eine Zusammenlegung von Zivilschutz und Zivildienst. Noémie Roten betont, es gehe der Service-Citoyen-Initiative explizit nicht darum, Armee und zivilgesellschaftliches Engagement gegeneinander auszuspielen. Beide Bereiche müssten gestärkt werden.
Fehler gefunden?Jetzt melden.