Zertifikatspflicht an Hochschule«Ich musste mich zwischen Impfung und Studium entscheiden»
Corona-Tests sind einem Luzerner Studenten zu teuer. Doch ohne Nachweis kommt er nicht an die Hochschule. Laut einem Staatsrechtler ist das unschön, aber rechtfertigbar.
Seit heute Montag gilt in der Gastronomie, in fast allen Kultur- und Freizeiteinrichtungen sowie für viele sportliche Aktivitäten eine Zertifikatspflicht.
Der oberste Gesundheitsdirektor Lukas Engelberger (Die Mitte) hofft darauf, dass sich die epidemiologische Situation im Land dadurch beruhigt. Für den kommenden Winter kann er sich auch eine Anwendung in den Skigebieten vorstellen. Im Interview mit der «SonntagsZeitung» sagt er: «Ski fahren und Winterferien sind freiwillig und zum Vergnügen. Da ist eine Zertifikatspflicht zu rechtfertigen.»
Anders sehe es im öffentlichen Verkehr aus: In einer Grundinfrastruktur scheine ihm eine Zertifikatspflicht nicht legitim. Und auch eine generelle Zertifikatspflicht am Arbeitsplatz lehnt er aus dieser Überlegung ab: «Der Grundsatz sollte bleiben, dass das Zertifikat dort gilt, wo man freiwillig hingeht.»
Er fühlt sich zur Impfung gezwungen
Unter Studierenden wundert man sich über diese Aussage. Denn: Ab dem neuen Semester kennen auch zahlreiche Hochschulen eine Zertifikatspflicht.
Der 27-jährige Markus (Name geändert) studiert an der Fachhochschule Luzern. Er sagt, er sei kein grundsätzlicher Impfkritiker. Er respektiere die Corona-Massnahmen und habe sich seit Beginn der Pandemie eingeschränkt, habe auf Ausgang und Fahrten ins Ausland verzichtet. Mit der Impfung habe er aber noch zuwarten wollen, bis Langzeitstudien vorlägen.
«Dass ich ohne Zertifikat nicht an die Hochschule kann, geht aus meiner Sicht aber zu weit. Von Freiwilligkeit kann in diesem Fall keine Rede sein!», ärgert er sich. Er sei faktisch gezwungen gewesen, sich zwischen einer Impfung und seinem Studium zu entscheiden. Denn ab Oktober sind Corona-Tests kostenpflichtig.
«Als Student kann ich mir die zusätzlichen Ausgaben von 90 bis 130 Franken pro Woche für Tests nicht leisten», sagt Markus, der im Kanton Luzern lebt und neben dem Studium bei einem KMU jobbt. Um lückenlos an den Lehrveranstaltungen teilnehmen zu können, müsste er nach eigenen Berechnungen rund 500 Franken pro Monat ausgeben. Auch die Öffnungszeiten der Testzentren in der Region seien ein Problem. Und anders als im vergangenen Jahr könne er die Vorlesungen nun nicht mehr via Livestream absolvieren.
In seinem Dilemma habe er sich schliesslich zu einer Walk-in-Impfung entschieden. Im Formular des Impfzentrums hat Markus die Frage «Lassen Sie sich freiwillig impfen?» zunächst mit Nein angekreuzt. Der Arzt erklärte ihm darauf, er könne ihn nicht impfen, solange er bei dieser Antwort bleibe. Weil er auf die Impfung angewiesen sei, habe er das Nein schliesslich durchgestrichen und mit dem erwünschten Ja ersetzt, sagt der Luzerner.
Der Bundesrat überlässt es den Kantonen und Hochschulen, ob sie den Unterricht auf Bachelor-, Master- und Doktoratsstufe auf Personen mit einem Zertifikat beschränken wollen. Im Falle einer Zertifikatspflicht empfiehlt er, die Vorlesungen auch digital zu übertragen. Allerdings ist noch unklar, ob alle Hochschulen dieser Empfehlung folgen. So schreibt die Hochschule Luzern in einer internen Mitteilung, es sei ihr ein Anliegen, «dass wir dieses Semester im Präsenzmodus durchführen können». Digitale Übertragungen von Vorlesungen sind bisher noch nicht organisiert. Eine Sprecherin sagt auf Anfrage, die Hochschule Luzern wolle jedoch sicherstellen, dass die wichtigsten Unterrichtsinhalte auch in anderer Form zugänglich seien, man arbeite an konkreten Umsetzungen.
Für Felix Uhlmann, Professor für Staatsrecht an der Universität Zürich, kann man sich zwar durchaus die Frage nach der Verhältnismässigkeit stellen, wenn Studentinnen und Studenten jedes Mal ein Zertifikat vorlegen müssen, bevor sie ein Unigebäude betreten. Klar ist für ihn aber auch, dass Universitäten Hörsäle nicht einfach vollbesetzen können, als ob es kein Corona gäbe, denn der Bundesrat verbietet eine Besetzung der Hörsäle zu mehr als zwei Dritteln, wenn das Zertifikat nicht eingesetzt wird. Aus epidemiologischen Gründen lässt sich die Zertifikatspflicht an Hochschulen deshalb aus Sicht des Juristen rechtfertigen.
Auch Uhlmann betont jedoch: Die Möglichkeit, per Video von zu Hause aus an den Vorlesungen teilzunehmen, sollten die Universitäten im Rahmen ihrer Kapazitäten ermöglichen, mindestens für eine Übergangsfrist.
«Bizarr» findet Uhlmann, dass Student Markus auf dem Formular im Impfzentrum ankreuzen musste, er tue das freiwillig. «Es müsste auch möglich sein, zum Ausdruck zu bringen, dass man sich lediglich aufgrund von Sachzwängen impfen lässt.» Eine vorbehaltlose Freiwilligkeitserklärung könne von keinem Impfwilligen verlangt werden.
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