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Mamablog: «Unwohlsein der modernen Mutter»
«Ich habe keinen Bock auf die Tabus, die Mütter klein halten»

«In Mutterschaft steckt die Utopie, wie eine Gesellschaft aussehen könnte, in der Fürsorge die Leistung ersetzt»: Mareice Kaiser.
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Wer in diesem Frühling nur ein Buch lesen wird – was auf die meisten Eltern natürlich zutreffen dürfte –, sollte sich Mareice Kaisers «Das Unwohlsein der modernen Mutter» besorgen. Die Berliner Journalistin behandelt darin beinahe alle Themen, die im Spannungsfeld zwischen Mutterschaft, Politik und Gesellschaft aufeinandertreffen: von Mutterliebe und bereuten Kindern über Erfüllung und Einsamkeit bis zum eigenen Körper und Kontostand. Es ist ein schonungsloses, manchmal auch hart zu lesendes Buch, aber vor allem ein sehr empathisches.

Was «Das Unwohlsein der modernen Mutter» hingegen nicht ist: ein klassischer Elternratgeber. Statt nach einfachen Lösungen für kleinere Wehwehchen zu suchen, plädiert Kaiser dafür, gross und ganzheitlich zu denken. Nicht nur unsere Vorstellungen von Elternschaft und Mutterrollen gehören auf den Prüfstand, sondern auch die Verhältnisse, in denen Menschen diese Rollen übernehmen. «Wenn wir die politisch-strukturellen Rahmenbedingungen an Menschen mit Kindern ausrichten», schreibt Kaiser, «werden auch Menschen ohne Kinder ein besseres Leben haben.»

Mareice Kaiser, Ihr Buch heisst «Das Unwohlsein der modernen Mutter», aber ich würde fast sagen, dass es vor allem Männer lesen sollten.

Endlich sagts mal einer! Na klar habe ich das Buch für Männer geschrieben. Und für nicht binäre Menschen. Und für Frauen und für Mütter und für Menschen, die niemals Mütter werden wollen und für Menschen, die unbedingt Mütter werden wollen, es aber nicht können, und so weiter und so fort. Ich finde, das Thema Mutterschaft geht alle an. Denn fast alle Menschen haben eine Mutter und eine Beziehung zu ihr. Meistens ist das eine der wichtigsten Beziehungen des Lebens. Und in Mutterschaft und all den Idealbildern, die Mütter betreffen, steckt neben dem Druck auch ganz viel Liebe und Utopie, wie eine Gesellschaft aussehen könnte, in der Fürsorge die Leistung ersetzt. Ciao, Kapitalismus.

Anstelle des Worts «Unwohlsein» hätten im Titel vielleicht auch Begriffe wie «Ärger», «Dilemma» oder «Kampf» stehen können, die in ähnlicher Weise zu den Verhältnissen und oft existenziellen Problemen gepasst hätten, die Sie beschreiben. Warum also «Unwohlsein»?

Der Begriff kommt aus einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, die zur Grundlage eines Essays von mir wurde, der wiederum Grundlage des Buchs ist. Ich habe mich total darin wiedergefunden, weil der Begriff so eine grosse Spannbreite hat. Von einem kurzen Bauchgrummeln über Depressionen und Panikattacken bis hin zum Besuch in der psychiatrischen Notfallambulanz oder einem Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik ist alles drin.

Es ist ein sehr offenes, ehrliches Buch, Sie thematisieren darin viele Unsicherheiten oder auch Unzulänglichkeiten Ihrer Mutterschaft, mit denen ich mich als Leser total identifizieren konnte. Gleichzeitig ist mir aufgefallen: Es fällt mir schwer, sie offen auszusprechen, mich dazu zu bekennen. Ich behalte mein Unwohlsein eher für mich. Ist diese Sprachlosigkeit ein entscheidender Faktor für die Probleme, die Sie beschreiben? Hat sie Sie darin bestärkt, so offen über Sex und Ihren Körper zu schreiben, über Geld und Überforderung?

Ja, diese These unterschreibe ich. Dass Verletzlichkeit in unserer Gesellschaft ein Tabu ist, ist eines der Grundprobleme – neben dem Kapitalismus. Ich arbeite seit zehn Jahren zum Thema Mutterschaft und weiss mittlerweile, welche Resonanz es gibt, wenn eine Mutter ihre Verletzlichkeit, ihr Scheitern sichtbar macht. Ich habe keinen Bock mehr auf all die Tabus, die Mütter klein halten. Also breche ich sie – und das macht übrigens die meiste Zeit ziemlich viel Spass. Abgesehen davon, dass es auch einige Themen und Geschichten gibt, die ich für mich behalte. Die zu privat sind. Zum Beispiel Geschichten rund um meine Kinder.

Egal, ob Sie über Sex, Arbeit, Liebe oder Kunst schreiben: Vieles, was Eltern häufig als individuelle Sorgen wahrnehmen, analysieren Sie als strukturelles Problem. Man könnte leicht vereinfacht sagen: Eigentlich ist immer der Kapitalismus schuld. Hatten Sie Sorge, dass diese Diagnose als Klischee wahrgenommen werden könnte?

Nein. Im Gegenteil. Wenn es einmal KLICK gemacht hat, liegt so vieles auf der Hand. Übrigens auch die Überwindung der vielen Schieflagen zu den Themen, die Sie nennen. Ich empfinde das als sehr befreiend, das zu benennen. Ich merke bloss manchmal, zum Beispiel auf Twitter, dass ich zu sehr vielen Dingen bestimmte Tweets auch einfach immer wieder Retweeten könnte, weil sie einfach immer passen. Zum Beispiel:

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Ein zweiter Punkt, der sich aus strukturellen Problemen ergibt: Es erscheint oft schwieriger, sie zu lösen als bei individuellen Problemen. Es gibt keine schnellen oder leichten Lösungen. Auch in diesem Punkt fand ich Ihr Buch sehr ehrlich. Aber es kann natürlich auch erdrückend wirken, wenn die beschriebenen Missstände überlebensgross erscheinen.

Mich persönlich macht das Wissen, dass die Lösung eine politisch-strukturelle sein muss, fröhlicher. Stellen Sie sich vor, Sie hätten jeden Tag das Gefühl, es läge an Ihnen, dass es Ihnen scheisse geht! Und so geht es ja vielen Müttern. Also nein, mich macht die Möglichkeit einer politischen Wende zuversichtlich.

Ein Ansatz gegen das Unwohlsein, den Sie in Ihrem Buch beschreiben, ist die politische Partizipation. Selbst in meinem Freund*innenkreis, der sich selbst vermutlich als progressiv, feministisch und für die eigenen Privilegien sensibilisiert beschreiben würde, fällt mir immer wieder auf, dass Elternrollen nicht politisch begriffen werden, sondern als reine Privatsache. Was glauben Sie, woran das liegt?

Dazu müsste ich mit Ihren Freund*innen sprechen. Ich selbst habe sehr, sehr schnell gemerkt, wie politisch meine Mutterrolle ist. Das fängt doch spätestens mit der Wahl der Kita an. Wo und wie wohne ich, welche Kitas kommen infrage und welche nicht? Bei der Schulwahl dann noch krasser. Neukölln zum Beispiel ist ein Bezirk von Berlin, in dem weisse, privilegierte Eltern ihre Kinder oft nicht zur Stadtteilschule schicken. Was kann es Politischeres geben, als diese Entscheidungen zu treffen? Darüber habe ich 2019 schon einmal eine Reportage geschrieben.

Wir sind beide Eltern in der Grossstadt, und zumindest zu meinem elterlichen Unwohlsein trägt die Stadt immer wieder bei: durch Krach, durch Verkehr, durch Dreck, das Fehlen von Natur und so weiter. Andererseits finde ich die Stadt als Ort, an dem Menschen mit verschiedenen Backgrounds und Kulturen aufeinandertreffen, total wichtig, gerade wenn man Kinder hat. Deshalb hat mich interessiert: Welche Rolle spielt die Stadt in Ihrer Mutterschaft?

Ich denke, sie ist als Ort der Geschichte wichtig. Wie Sie es beschreiben. Genauso wichtig ist aber auch meine Kindheitsgeschichte auf dem Land. Beides hängt ja auch miteinander zusammen. Ich weiss nicht, ob ich so glücklich in der Stadt wäre, wenn ich nicht 18 Jahre auf dem Land verbracht hätte. Ich weiss auch nicht, ob ich immer in der Stadt leben werde. Aber ja, man merkt hier, dass die Welt nicht für Kinder gemacht wurde – vielleicht ein bisschen mehr als auf dem Land.