Popdiva gegen Erdogan«Ich bin die Beute, du bist der Jäger»
Sezen Aksu sang über Adam und Eva und wird deshalb vom türkischen Präsidenten heftig attackiert. Die Sängerin wehrt sich mit einem neuen Lied.
Sie hat schon mal klargestellt: «Es geht hier nicht um mich, sondern um mein Land.» In einem Tweet, nachdem der türkische Präsident gedroht hatte, man sollte denen die Zunge herausreissen, die einen Propheten beleidigten. Recep Tayyip Erdogan hat ihren Namen nicht genannt, aber wen sollte er sonst meinen? Nachdem in der Türkei seit Tagen eine Hatz läuft gegen Sezen Aksu, die Grande Dame des türkischen Pop, eine der erfolgreichsten und kreativsten Künstlerinnen des Landes.
Sezen Aksu hatte als Neujahrsgruss ihren schon fünf Jahre alten Song «Das Leben ist wunderbar» ins Netz gestellt. Tanzbar, aber mit melancholischem Unterton und den Liedzeilen: «Wir sind unterwegs in die Apokalypse. Grüsst mir Eva und Adam, die Unwissenden.»
Nun gilt wie in der Bibel Adam im Islam als erster Mensch, zugleich Konservativen aber als Prophet. So duellierten sich nach Silvester erst einmal via Twitter konservative Islamisten und Säkulare über Aksus Lyrics, wobei man auch den Einwand lesen konnte: Zu wem wurde Adam als Prophet geschickt, wenn es noch keine anderen Menschen gab?
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Dann mischte sich auch noch die oberste staatliche Religionsbehörde ein und forderte, «heilige» Persönlichkeiten zu achten. Nach dem Freitagsgebet in Istanbuls grösster Moschee folgte schliesslich Erdogans Donnerspruch, in dem die Worte «die Zunge herausreissen» und «Pflicht» vorkamen, nicht aber der Name Aksu.
Die Künstlerin hat zu alldem erst geschwiegen, nun aber hat sie einen neuen Liedtext veröffentlicht. Der Titel lautet «Jäger». Darin finden sich die Zeilen: «Schmerzen, wohin ich schaue. Ich bin die Beute, du bist der Jäger.» Hinzu fügte sie das Versprechen: «Ich schreibe seit 47 Jahren … Ich werde weiterschreiben.»
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Aksu, 1954 in der anatolischen Provinz Denizli geboren, schreibt nicht nur ihre Songtexte, sie komponiert auch ihre Lieder selbst und Songs für andere Musiker. Sie schöpft dabei aus dem klassischen westlichen Musikerbe sowie aus der türkischen Tradition. Seit Jahrzehnten gehört sie zu den auch international erfolgreichsten Künstlerinnen ihres Landes und hat viele jüngere Musiker gefördert, wie den türkischen Superstar Tarkan.
Prominente Unterstützung für die Sängerin
Prominent sind jetzt auch ihre Verteidiger. So versicherte der renommierte Pianist Fazil Say: «Natürlich sind wir an der Seite Sezen Aksus.» Die Filmdiva Müjde Ar erinnerte den Präsidenten daran, dass die laizistische Verfassung der Türkei dem Staat vorschreibe, Kunst und Künstler zu schützen. «Soweit ich weiss, gibt die Verfassung der Regierung, dem Staat und den Menschen in der Politik keine Pflicht, die Zunge herauszureissen.» Und sie fand: «Die Situation ist schlimm.»
Aksu hat immer wieder Mut bewiesen. Schon in den 1980er-Jahren thematisierte sie Frauenrechte und die Opfer des damaligen Militärputsches in ihren Songs. Sympathie bekundete sie auch für die LGBT-Bewegung. In Deutschland arbeitete sie einst mit Udo Lindenberg. 2005 gehörte sie zu den Protagonisten in Fatih Akins gefeiertem Istanbul-Musikporträt «Crossing the Bridge».
AKP im Umfragetief und Wut radikaler Gruppen
Im von Erdogan kritisierten Silvester-Song gibt es auch eine Zeile, die sinngemäss lautet: Wir stehen aufrecht. Erdogans seit 2002 regierende konservativ-islamische AKP und ihr ultranationalistischer Partner MHP können nach Umfragen derzeit nicht sicher sein, die 2023 geplanten Wahlen zu gewinnen. (Lesen Sie zum Thema den Artikel «Erdogan führt sein Land in den wirtschaftlichen Abgrund».) Das dürfte die Wut radikaler Gruppen anfachen. Etwa 20 Demonstranten einer solchen fundamentalistischen Gruppe zogen schon nachts vor Aksus Istanbuler Wohnhaus und protestierten laut.
Mitten in der Nacht wurde nun auch eine TV-Journalistin von der Polizei aus dem Bett geholt und inhaftiert. Sedef Kabas hatte in einem Oppositionssender Freiheitseinschränkungen kritisiert und gesagt: «Ein Ochse im Palast wird kein König, aber der Palast wird ein Stall. Tscherkessisches Sprichwort.» Der Vorwurf: Präsidentenbeleidigung. Die Journalistin hat diese Absicht bestritten.
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