Mammutprozess unter Pekings GesetzPolitische Justiz verurteilt Demokratie-Aktivisten in Hongkong
Vom Regime ausgewählte Richter sprechen 14 Menschen als angebliche Verschwörer schuldig. Den Verurteilten droht lebenslange Haft.
Das Sicherheitsaufgebot war riesig: Dutzende Polizisten bewachten seit dem Vorabend das Gerichtsgebäude im Hongkonger Stadtteil West Kowloon, fuhren Patrouille mit gepanzerten Fahrzeugen. Unterstützer der 47 Angeklagten warteten auf der Strasse. Es ist der bislang grösste Gerichtsprozess unter dem von Peking erlassenen, umstrittenen Nationalen Sicherheitsgesetz. Den Beschuldigten droht lebenslange Haft – weil sie sich für mehr Demokratie und Selbstbestimmung eingesetzt haben. Die Staatsanwaltschaft sieht in ihnen jedoch Verschwörer, die den Staat in eine Verfassungskrise stürzen wollten.
Den Angeklagten, darunter der bekannte Aktivist Joshua Wong, wird vorgeworfen, dass sie kurz nach Inkrafttreten des Sicherheitsgesetzes Vorwahlen für die später wegen der Corona-Pandemie vertagten Wahlen zum Stadtparlament 2020 organisiert hatten. Ziel sei gewesen, eine Mehrheit der Peking-kritischen Kräfte zu erreichen. Indem sie dann den Haushalt immer wieder ablehnen wollten, hätten sie die damalige Regierungschefin Carrie Lam zum Rücktritt zwingen und die Kernforderungen der inzwischen niedergeschlagenen Demokratiebewegung durchsetzen wollen. Dazu gehörten etwa die Freilassung von festgenommenen Demonstranten sowie freie Wahlen des Regierungschefs.
«Verschwörung zur Subversion»
Dafür, dass der Mammutprozess 118 Verhandlungstage gedauert hatte, ging am Donnerstag alles ganz schnell. Die 16 anwesenden Angeklagten wurden in den Gerichtssaal geführt, die meisten mussten in einer Box hinter Plexiglas Platz nehmen. Wong war nicht im Gerichtssaal, er hatte sich wie viele der Angeklagten schon vorher für schuldig erklärt. Dann betraten drei von der ehemaligen Regierungschefin ausgesuchte Richter den Saal. In einer knappen Erklärung sprachen sie 14 der 16 Angeklagten der «Verschwörung zur Subversion» für schuldig. Zwei ehemalige Lokalpolitiker wurden freigesprochen. Das Strafmass wird in Hongkong erst zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.
Nach einer vierstündigen Pause, in der die Verteidiger sich die über 300 Seiten lange Urteilsbegründung selbst durchlesen konnten, kündigte die Staatsanwaltschaft Einspruch gegen die Freisprüche an.
Laut der Nachrichtenagentur Bloomberg wurden seit dem Inkrafttreten des Nationalen Sicherheitsgesetzes im Juli 2020 etwa 300 Menschen verhaftet und knapp 160 angeklagt. Darunter ist beispielsweise der schon verurteilte Verleger Jimmy Lai, dem ebenfalls ein Leben hinter Gittern droht. Beim Urteil vom Donnerstag handelte es sich um die ersten Freisprüche bei Anklagen nach dem Sicherheitsgesetz überhaupt. Manche Experten werteten dies als Zeichen, dass die Hongkonger Richter noch ein gewisses Mass an Unabhängigkeit haben.
Menschenrechtler kritisierten das Urteil trotzdem scharf. «Es stellt eine nahezu vollständige Zerschlagung der politischen Opposition dar», erklärte die China-Direktorin von Amnesty International, Sarah Brooks. Die Botschaft an die Bevölkerung sei klar: «Sei still oder dir droht Gefängnis.» Sie forderte die sofortige Freilassung aller 47 Beschuldigten.
Die Demokratiebewegung wurde zerschlagen
Nach dem abrupten Ende der Protestbewegung 2020 gibt es kaum noch Demonstrationen in der Stadt. Einzig die als «Grossmutter Wong» bekannte Aktivistin Alexandra Wong protestierte, eine britische Flagge schwenkend, gegenüber dem Gericht. Sie war zeitweise von 14 Polizisten umstellt. Vier weitere Demokratieaktivisten wurden Berichten zufolge vor dem Gericht festgenommen.
Die Hongkonger Stadtregierung hatte zuletzt versucht, ihr durch die strikte Corona-Politik und die politische Verfolgung ramponiertes Image zu reparieren. Dazu gehörten Steuererleichterungen für Vermögensverwaltungen und ein Anwerbeprogramm für Fachkräfte. Allerdings verhafteten die Behörden in den vergangenen Tagen mehrere Menschen unter einem eigenen, erst kürzlich erlassenen Sicherheitsgesetz, das als Artikel 23 bekannt ist. Sie sollen unter anderem «aufrührerische» Inhalte auf Facebook gepostet haben.
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