Hochwasser in Österreich«Es ist nicht vorbei, es bleibt kritisch, es bleibt dramatisch»
Niederösterreich ist besonders stark von den Fluten betroffen. Das wirkt sich auf das ganze Land aus. Noch kann Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner keine Entwarnung geben.

Purkersdorf in Niederösterreich, die Region rund um Wien, ist bekannt für seine prächtigen Villen aus der Jahrhundertwende und die Nähe zum Wienerwald. Der Wienfluss plätschert hier durch, und er ist unter anderem der Grund, warum sich in dem pittoresken Ort am Wochenende fast apokalyptische Szenen abspielten.
Er schwoll im Dauerregen an, trat über die Ufer, überschwemmte die Strassen und flutete die Unterführungen. Irgendwann sei das Wasser von allen Seiten gekommen, erzählt Sabina Kellner, eine Anwohnerin, am Telefon. Aus den beiden Bächen im Ort und aus dem Wienerwald, in dem das Regenwasser nicht mehr versickern konnte.
Zwei alte Männer kamen in Österreich ums Leben
Purkersdorf gehört zu jenem Teil von Österreich, der inzwischen zum Katastrophengebiet erklärt wurde. Der Starkregen der vergangenen Tage hat weiten Teilen Mitteleuropas schwer zugesetzt, aber wenige Regionen waren so stark betroffen wie Niederösterreich.
Zwei alte Männer kamen ums Leben, als ihre Häuser geflutet wurden, ein Feuerwehrmann starb beim Auspumpen eines Kellers. Tausende Häuser mussten geräumt werden, die Feuerwehr war mit Booten unterwegs, um Menschen zu retten, ein Helikopter des österreichischen Bundesheeres musste gestrandete Einsatzkräfte an einem Seil aus den Fluten ziehen.
In der Nacht zum Montag hatte sich die Lage zwar etwas entspannt, als der Regen nachliess und sich die Pegelstände stabilisierten. Man sei aber weit davon entfernt, sich in Sicherheit zu wiegen, sagte die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) bei einer Pressekonferenz. Am Tag drei der Unwetter wurde dann auch deutlich, was das Hochwasser für das öffentliche Leben in Österreich bedeutet. Hunderte Strassen und eine Autobahn standen unter Wasser oder waren gesperrt.

In einem Teil des Landes konnten Züge und Busse nicht mehr fahren, in Wien waren mehrere U-Bahn-Linien lahmgelegt oder unterbrochen, nachdem Wasser aus dem Wienfluss auf das Trassee gelangt war; ein Flusskreuzfahrtschiff hing fest.
Zahlreiche Schulen waren geschlossen oder hatten nur einen Notbetrieb eingerichtet, Tausende Haushalte waren ohne Strom. In Niederösterreich waren mehrere Gemeinden nicht erreichbar, Menschen mussten bei Verwandten unterschlüpfen. Und es wurde klar, wie viel noch immer passieren kann, bis der Regen am Dienstag gemäss der Wetterprognose nachlassen soll. In Niederösterreich gaben die ersten Dämme nach, weitere drohen zu brechen. «Es ist nicht vorbei, es bleibt kritisch, es bleibt dramatisch», so Mikl-Leitner.
Wenn Schwalben vom Himmel fallen
In Purkersdorf erzählt Sabina Kellner, dass sie schon einige Hochwasser mitbekommen hat. Was das derzeitige Hochwasser von anderen unterscheide, sei die «unglaubliche Flächigkeit». Punktuelle Überflutungen gebe es in Niederösterreich immer wieder, aber in ihrer Erinnerung habe es «noch nie auf einer so grossen Fläche so viel geregnet». Am Wochenende hat sie den Stadtsaal aufgeschlossen, damit Leute eine Anlaufstelle haben, falls sie ihre Häuser verlassen müssen.
Und sie hat mitbekommen, dass buchstäblich Schwalben vom Himmel fallen. Weil die Zugvögel in dem Starkregen nicht in den Süden fliegen können und auch kein Futter finden, bleiben sie verendet auf Strassen und unter Brücken liegen. Kellner ist jetzt in einer Whatsapp-Gruppe, in der Leute verletzte Tiere melden oder zu bergen versuchen.

Immer wieder wurden am Wochenende Vorwürfe laut, die Wetterlage sei in Österreich anfangs unterschätzt, es sei nicht ausreichend gewarnt worden. Dagegen berichten viele Betroffene von einem weitgehend reibungslosen Umgang mit der Krise. Schnell wurden Sandsäcke aufgeschüttet, freiwillige Feuerwehren losgeschickt, Häuser evakuiert, Autos aus dem Wasser gezogen, Keller ausgepumpt.
Österreich hatte auch lange genug Zeit, um aus Katastrophen zu lernen. 1997 gab es in dem Land ein schweres Hochwasser, das sich über zwei Wochen hinzog und noch dazu in zwei Wellen kam. Und auch von den schweren Überflutungen Mitteleuropas 2002 war Österreich stark betroffen. Damals wurde bereits klar, wo die Ursachen solcher Naturkatastrophen liegen. In der Versiegelung von Flächen etwa, dem Gebrauch der Böden für die Agrarwirtschaft oder der massenweisen Begradigung von Flussläufen. Und natürlich im menschengemachten Klimawandel, der immer wieder zu extreme Wetterlagen hervorbringt.
Es gibt keinen hundertprozentigen Schutz
Seither ist einiges passiert. Das österreichische Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft investiert jedes Jahr 220 Millionen Euro in Projekte, die vor Naturgefahren schützen sollen. Es gehe bei den Massnahmen unter anderem darum, «das Wasser in der Region zu halten», sagt Wolfgang Paal vom Österreichischen Wasser- und Abfallwirtschaftsverband, der Experten zu diesem Thema zusammenbringt. Indem man Rückhaltebecken baue oder Flächen an Flüssen so gestalte, dass das Wasser im Notfall versickern könne. Generell gebe es bei solchen Katastrophen keinen hundertprozentigen Schutz, sagt Paal.
Am wichtigsten sei, dass im Fall des Falles die Einsatzkräfte gut kooperierten. Zuletzt hat Paal Vertreterinnen und Vertreter von Gemeinden, Behörden, Feuerwehren und Verbänden bei einer Tagung zusammengebracht, damit sie sich genau darüber austauschen. Das Programm des «ersten österreichischen Hochwasseraktionstages» sah auch eine Exkursion zu einem der neu gebauten Rückhaltebecken vor. Sie fand ausgerechnet am Donnerstag statt. Da tröpfelte es bereits.
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