Hochwasser in DeutschlandOlaf Scholz steigt in die Gummistiefel
Die deutsche Bevölkerung kämpft gegen Wassermassen. Der Kanzler reist in ein besonders betroffenes Gebiet – und erinnert mit seinem Auftritt an Ex-Kanzler Gerhard Schröder.
Aufgeweichte Dämme, überspülte Strassen und immer neuer Regen: Mit Sorge beobachten die Menschen in den von Hochwasser geplagten Gebieten Deutschlands die Lage an den Deichen. In mehreren Bundesländern stehen grosse Flächen unter Wasser. Nach einer Warnung des Deutschen Wetterdienstes könnte es Dauerregen geben, stellenweise bis Samstag.
Besonders betroffen sind Niedersachsen und der Süden Sachsen-Anhalts. Wie gross die Überschwemmungsfläche insgesamt ist, lässt sich zurzeit nicht abschätzen. Aber die Wasserpegel steigen, weshalb weitere Bundesländer mit Sorge auf ihre Flüsse blicken.
Diese Redaktion sprach mit Jörn Malke, der bis vor kurzem auf das Haus seiner Eltern im norddeutschen Nienhagen aufpasste. «Seit mehreren Wochen drückt das Wasser in den Keller meiner Eltern», sagt er. Bei ihrem Wohnort ist Grundwasser eingedrungen, so wie an vielen Orten.
Um den Keller vom Wasser zu befreien, besorgte Malke Tauchpumpen und Nasssauger. So beförderte er das Wasser zuerst in den Garten. Doch das Wasser versickerte und fand den Weg zurück in den Keller. Also hat er damit begonnen, das Wasser auf die Strasse zu pumpen.
Eigentlich ist das nicht erwünscht, weil die Kanalisationen bereits stark gefüllt sind. «Aber was will man machen?», meint Malke. Täglich hat er 2000 Liter nach draussen gepumpt. Inzwischen macht das sein 84-jähriger Vater – weiterhin jeden Tag. «Immerhin ist der Schaden nicht bedauerlich, da ich es frühzeitig erkannte. Wir hatten Glück im Unglück», erklärt Malke. Andere seien viel stärker betroffen, so wie seine Nachbarn. Sie hätten nun einen Container vor der Garage, gefüllt mit durchtränkten Möbeln.
Dennoch: Das Ausmass des Hochwassers hat Malke überrascht. «So etwas habe ich in dieser Gegend noch nie erlebt.» In gewissen Landesteilen ist die Lage äusserst angespannt. Zahlreiche Deiche sind aufgeweicht, und mit jedem regnerischen Tag steigt die Gefahr, dass die Wassermassen durchbrechen.
Auch in anderen Gebieten stehen die Hilfskräfte vor grossen Herausforderungen. In der Stadt Oldenburg, im Nordwesten Deutschlands, wurde ein zwei Kilometer langer mobiler Deich errichtet. Er soll als Vorsichtsmassnahme dienen, falls ein wichtiger Deich nicht länger standhalten kann. Rund 600 Einwohner des betroffenen Gebietes sind auf eine mögliche Evakuierung vorbereitet. In der Umgebung bei Bremen dürfen zwei Wälder nicht mehr betreten werden. Die Böden sind derart aufgeweicht, dass Bäume umstürzen könnten.
Ein Zeichen für die in vergangenen Tagen schlimmer gewordene Situation könnte das Schuhwerk von Olaf Scholz sein. Der deutsche Kanzler reiste am Donnerstag in Gummistiefeln nach Ostdeutschland, was an den früheren Kanzler Gerhard Schröder erinnert.
Dieser stülpte sich 2002 ein Paar Gummistiefel um, als er die «Jahrhundertflut» an der Elbe besuchte. So präsentierte sich Schröder als «Macher» vor Ort, schnürte Hilfspakete und gewann kurz darauf die Wahlen, obwohl er in Umfragen zuvor noch hinter seinem Kontrahenten Edmund Stoiber gelegen hatte.
Eine ähnliche Chance könnte das jetzige Unwetter für Scholz sein, zumal seine Ampelkoalition in der Bevölkerung vergleichsweise wenig Rückhalt geniesst. Doch die akute Krise ist auch ein Risiko für den SPD-Politiker. Denn neben Bildern, die ihn beim Anpacken zeigen, benötigt Scholz auch finanzielle Mittel (lesen Sie hier die Analyse zum Finanzchaos in Deutschland).
Zwar versicherte er beim Besuch in Sachsen-Anhalt, die Betroffenen bei der späteren Beseitigung der Schäden zu unterstützen. Doch die aktuelle Haushaltslage gestaltet sich schwierig. Die Ampelkoalition streitet weiterhin über den Etat für das kommende Jahr.
Damit die Bundesregierung die Betroffenen finanziell entschädigen kann, fordern deshalb vor allem linke Politiker ein Aussetzen der Schuldenbremse. Auch Ökonomen wie Marcel Fratzscher schliessen sich der Forderung an. Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung rechnet mit Kosten in Milliardenhöhe. Dieser Betrag könne nicht aus den laufenden Haushalten gedeckt werden, sagte er dem «Tagesspiegel».
«Die Alternative zu einer Ausnahme der Schuldenbremse wäre ein noch härterer Sparkurs, der die deutsche Wirtschaft in eh schon schwierigen Zeiten weiter schwächen und Wohlstand kosten würde», warnte der Ökonom. Kritik daran kam von der FDP. Deren Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte am Donnerstag dem Nachrichtenportal «T-Online», «selbstverständlich» werde den betroffenen Gebieten Unterstützung zuteil. Aber: «Das Hochwasser sollte man nicht für die eigene politische Agenda instrumentalisieren.»
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