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Historisches Urteil in Rorschach
«Juri Garawski taugt nicht zum Kronzeugen gegen das belarussische Regime»

Der Rorschacher Kreisgerichtspräsident Olav Humbel (hinten Mitte) verkündet das Urteil gegen Juri Garawski (vorne Mitte).
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Freispruch für den 45-jährigen Weissrussen Juri Garawski. Ist das ein überraschendes Urteil? Nein, es war eine reelle Möglichkeit. Das hat einerseits mit der Aussergewöhnlichkeit des Falles zu tun, nämlich dass ein mutmassliches ausländisches Staatsverbrechen im Mittelpunkt eines Schweizer Gerichtsverfahrens steht.

Es hat andererseits damit zu tun, dass zum ersten Mal in der Schweiz, mutmasslich auch überhaupt auf europäischem Boden, ein Mann wegen Verschwindenlassens vor Gericht stand. Verschwindenlassen ist in der Schweiz seit dem 1. Januar 2017 eine Straftat (Artikel 185bis) und darf verfolgt werden, selbst wenn der ausländische Täter die Tat im Ausland an einem Ausländer verübt hat.

Gericht folgte im Ergebnis der Verteidigerin

Das Kreisgericht Rorschach sprach Juri Garawski nicht nur vom Vorwurf des Verschwindenlassens frei, sondern auch vom Vorwurf der Irreführung der Justiz. Letzterer Tatvorwurf hätte bedeutet, dass Garawski eine Geschichte erzählt hätte, von der er wusste, dass sie nicht stimmt. Das konnte ihm nicht nachgewiesen werden. Mit dem Urteil folgte das Kreisgericht im Ergebnis der Verteidigerin Vy Huyhn, wenn auch mit anderer Begründung.

Wie begründet das Kreisgericht den Freispruch? Auf einen kurzen Nenner gebracht: Mit den widersprüchlichen Angaben, die Juri Garawski im Asylverfahren, im Strafverfahren und vor Gericht gemacht hat. Bei konkreten Nachfragen habe er sich teilweise herausgeredet oder falsche Übersetzung geltend gemacht. In einem Fall habe man ihm auch eine klare Lüge nachweisen können. «Das zeigt», sagte Gerichtspräsident Olav Humbel, «dass er die Fähigkeit hat, Geschichten zu erfinden».

Vernünftige Zweifel an den Schilderungen blieben

Das Gericht hielt es für durchaus wahrscheinlich, dass der heute 45-Jährige damals als gut 20-Jähriger tatsächlich Mitglied des staatlichen Killerkommandos war. Es sei aber «unklar», ob er beim Verschwinden der drei Oppositionellen tatsächlich dabei war. Möglich sei auch, dass er Details aus Erzählungen von Kameraden kenne.

Es sei nicht Aufgabe des Gerichts gewesen, das Verschwinden der drei Menschen abzuklären, sondern nur festzustellen, ob im Zusammenhang mit Garawskis Schilderungen jeder vernünftige Zweifel an seinen Aussagen ausgeschlossen werden kann. Das könne man nicht. Juri Garawski «taugt nicht zum Kronzeugen gegen das belarussische Regime».

Das Kreisgericht ging auch auf den Straftatbestand «Verschwindenlassen» im Schweizer Strafgesetzbuch ein. Es zitierte kritische Stimmen, die den Straftatbestand aufgrund seiner Unklarheit und Unbestimmtheit für nicht anwendbar halten. Nicht nur aus subjektiver, sondern auch aus objektiver Sicht sei Garawski deshalb freizusprechen.

Ein Geständnis führte zum Strafverfahren

Juri Garawski hatte im Asyl- und Strafverfahren im Wesentlichen behauptet, dabei gewesen zu sein, als im Jahre 1999 ein Killerkommando drei Oppositionspolitiker in Weissrussland entführte und tötete – darunter den früheren Innenminister Juri Sacharenko und den ehemaligen stellvertretenden Premierminister Viktor Gonchar.

Nachdem sein Asylgesucht abgelehnt worden war, hatte er sich via den Auslandrundfunk Deutsche Welle an die Öffentlichkeit gewandt. Daraufhin reichte die Genfer Nichtregierungsorganisation Trial International, die gegen die Straflosigkeit bei internationalen Verbrechen kämpft, eine Strafanzeige ein.

Staatsanwaltschaft prüft Weiterzug

Das Kreisgericht Rorschach, dem neben Präsident Olav Humbel ein Apotheker und ein Kantonspolizist als Laienrichter angehörten, hätte Garawski nur verurteilen können, wenn es überzeugt gewesen wäre, dass er damals dabei war, als den drei Oppositionellen, wie es das Gesetz verlangt, die Freiheit und der Schutz des Gesetzes entzogen wurde. Und wenn in der Folge über ihr Schicksal oder ihren Verbleib jede Auskunft verweigert wurde.

Staatsanwalt Peter Hangartner und Verteidigerin Vy Huynh waren an der Hauptverhandlung in der vergangenen Woche von den Schilderungen Garawskis überzeugt gewesen. Sie hatten daraus aber unterschiedliche Schlüsse gezogen. Während Hangartner eine teilbedingte Freiheitsstrafe von 36 Monaten beantragte, hatte Huynh einen Freispruch verlangt, weil die Straftat Verschwindenlassen bereits im Jahre 2016 verjährt sei.

Nach der Verhandlung zeigte sich die Verteidigerin zufrieden mit dem Urteil. Die Staatsanwaltschaft wird vorsorglich Berufung anmelden, macht einen Weiterzug aber von der schriftlichen Begründung des Urteils abhängig, wie ein Sprecher sagte.