Joe Biden trifft Boris JohnsonHinter den Kulissen sprachen die Amerikaner Klartext
Der US-Präsident und der britische Premier zeigten sich bei ihrem Treffen glänzender Laune. Johnson überschlug sich mit Komplimenten, doch Biden blieb reserviert.
Für Joe Biden war es die erste Gelegenheit zu einem Übersee-Auftritt seit seiner Amtsübernahme. Und die Ehre des ersten Tages bei diesem Auftritt galt dem Vereinigten Königreich. Noch vor Beginn des G-7-Gipfels trafen sich der Gast aus Washington und Premierminister Boris Johnson zu ersten Gesprächen. Johnson durfte sich durch diese Vorzugsbehandlung geschmeichelt fühlen.
Die beiden Männer trafen in Carbis Bay zusammen, im Westzipfel Cornwalls, um hoch über dem Meer eine «neue Atlantische Charta» aus der Taufe zu heben. Diese Aktion sollte Reminiszenzen wecken an die ursprüngliche Atlantische Charta, mit der vor achtzig Jahren Winston Churchill und Franklin D. Roosevelt mitten im Zweiten Weltkrieg eine Neuordnung der Welt anvisierten, die später zur Gründung von UNO und Nato führen sollte.
Johnson sieht sich zuständig für die ganze Welt
Damals hätten sich Churchill und Roosevelt gefragt, wie sie die Welt nach einem vernichtenden Krieg wieder auf die Beine kriegen könnten, sagte Boris Johnson. Nun hätten es Briten und Amerikaner mit einer «anderen, so doch nicht weniger furchterregenden Herausforderung zu tun.» Johnson sprach damit auf die Frage an, «wie man nach der Coronavirus-Pandemie den Wiederaufbau einleiten und die Welt besser gestalten» könne, beiderseits des Atlantik.
Schliesslich, fügte der Brite in der für ihn typischen wenig bescheidenen Art an, sei «das Zusammenwirken des Vereinigten Königreichs und der USA, dieser engsten Partner und grossartigsten Verbündeten, ausschlaggebend für die künftige Stabilität und Wohlfahrt der Welt».
Für den US-Präsidenten war vor allem wichtig, was sich in der Erklärung fand. Zu den aktuellen Herausforderungen zählt die Charta unter anderem die globale Klima-Krise und die Gefahr künftiger Pandemien. Internationale Aktion sei in allen diesen Bereichen nötig, bekräftigte Biden, «weil keine einzige Nation mehr im Alleingang mit all den Problemen fertig werden kann, denen wir uns heute gegenübersehen». 500 Millionen Dosen Pfizer-Impfstoff will Washington an hundert der ärmsten Staaten der Erde verteilen.
Bidens Reise nach Europa sollte vor allem die Beziehung zu Verbündeten und befreundeten Staaten wiederbeleben – und die Donald-Trump-Jahre vergessen lassen. «An jedem Punkt» seines Aufenthalts wolle er deutlich machen, «dass die Vereinigten Staaten wieder da sind und dass die Demokratien der Welt gegen alle Herausforderungen zusammenstehen».
Sein Land sei «die Gürtelschnalle, die alles zusammenhält», sagte Johnson.
Während Russland und China in der Atlantischen Charta ungenannt blieben, liess das Gewicht auf Sicherheitsfragen und die Warnung vor Cyberattacken wenig Zweifel an der Stossrichtung der Amerikaner. Die USA suchten «keinen Konflikt mit Russland», würden aber «ganz robust» auf «schädliche Aktivitäten» Moskaus reagieren, erklärte der US-Präsident.
Gastgeber Johnson versicherte pflichtschuldigst, Grossbritannien sei sich seiner grossen Verantwortung bewusst: Es trage «mehr als irgendein anderes Land in Europa zur Verteidigung und Sicherheit des Kontinents» bei. Sein Land sei «die Gürtelschnalle, die alles zusammenhält», sagte Johnson. Es sei «der Bindestrich, der alles zusammenfügt».
Dankbar nahm der Premier die Gelegenheit wahr, sich dem Demokraten aus dem Weissen Haus als neuer, treuer Gefolgsmann anzudienen, obwohl er einst Trump den Friedensnobelpreis zuschustern wollte und von Biden als «ein physisches und emotionales Ebenbild» Trumps abgetan worden war. Nicht vergessen liess Biden Johnson freilich, dass er den Chef-Brexiteer keineswegs für einen «Bindestrich» hält, sondern eher für einen unverbesserlichen Spaltpilz in Europa.
Weil die Briten sich zurzeit gegen die Umsetzung des sogenannten Nordirland-Protokolls im Brexit-Vertrag mit der EU sperren und die Verhandlungen mit Brüssel seit dieser Woche praktisch festgefahren sind, hat der US-Präsident, der sich den Iren eng verbunden fühlt, erneut seine «tiefe Sorge» um den Frieden in Nordirland zum Ausdruck gebracht.
Johnson «heize» die Spannungen in Irland an
Informationen zufolge, die jetzt der Londoner «Times» zugespielt wurden, hat Yael Lempert, die US-Gesandte in Grossbritannien, Johnson im Namen ihres Chefs sogar vorgeworfen, er «heize» auf rücksichtslose Weise die Spannungen in Irland an, statt sich um eine Einigung mit der EU zu bemühen. Das kommt einer gewaltigen diplomatischen Ohrfeige gleich.
Der Präsident werde eine Untergrabung des Belfaster Friedensabkommens auf keinen Fall hinnehmen, hatte zuvor schon Bidens Berater für Nationale Sicherheit, Jake Sullivan, versichert. Hinter den Kulissen des G-7-Gipfels hatte Biden Johnson dazu zweifellos einiges zu sagen. Von all dem war aber natürlich auf der offiziellen Bühne keine Rede.
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