AboInterview mit StarhistorikerHerr Winkler, hat sich Deutschland von der Schweiz entfernt?
Heinrich August Winkler ist der Doyen der deutschen Geschichtsschreiber. Er sagt, was er sich von der neuen Regierung erhofft, was Merkels grösster Fehler war und was am kleinen Nachbarn irritiert.
Herr Winkler, die Bundesrepublik hatte seit der Gründung 1949 nur acht Bundeskanzler und mit Angela Merkel eine Kanzlerin. Umso mehr Bedeutung kommt dem Regierungschef respektive der Regierungschefin zu. Ist Merkel mit einem ihrer Vorgänger vergleichbar?
Man kann zwischen Krisenkanzlern und Gestaltungskanzlern unterscheiden. Gestaltungskanzler haben sich durch die Lösung einer Jahrhundertaufgabe dem Gedächtnis eingeprägt. Ich denke vor allem an den Gründungskanzler Konrad Adenauer, dessen grosses historisches Werk die Westbindung des freien Teils von Deutschland war. Ich denke an Willy Brandt mit seiner Politik der Ostverträge. Das sind wahrscheinlich diejenigen Bundeskanzler, die auch die politische Kultur und das politische Bewusstsein Deutschlands am nachhaltigsten beeinflusst haben. Als Dritten nenne ich Helmut Kohl, der 1990 zum «Kanzler der deutschen Einheit» wurde.