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Meinung

Heilige Höchstarbeitszeit

Die Gesundheitskosten der Kantone haben zugenommen. Dies steht zweifellos in Zusammenhang mit der hohen Belastung am Arbeitsplatz. Foto: iStock
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Die Wirtschaftskommission des Ständerats sagt Stopp. Nachdem sie drei Jahre lang an einer Liberalisierung des Arbeitsgesetzes gefeilt hat, sistiert sie die Beratungen. Gewerkschaften, Arbeitsmediziner und Kirchen wehren sich seit längerem gegen die Aufweichung von Höchstarbeitszeiten und Bestimmungen zu Nacht- und Sonntagsarbeit. Und nun warnt mit dem Luzerner Gesundheitspolitiker Guido Graf (CVP) auch ein Bürgerlicher vor diesem Schritt – ein Parteikollege von Ständerat Konrad Graber, der die Reform angestossen hatte. Das Einknicken ist bedauerlich. Denn das Ziel, die Arbeitszeiten zu liberalisieren, ist eigentlich zeitgemäss.

Die Liberalisierungsgegner haben gewichtige Argumente. Der Arbeitsstress sei schon heute gross, sagte Graf, Präsident der Gesundheitsför­derung Schweiz. Er zitierte den sogenannten Job-Stress-Index, nach welchem der Anteil Überforderter 2018 auf 27 Prozent gestiegen ist. Der Index misst das Verhältnis von Ressourcen und Belastung.

Der Luzerner verwies auch auf die Gesundheitskosten seines Kantons: Die Kosten in der Psychiatrie haben seit 2012 um 63 Prozent zugenommen, mehr als doppelt so stark wie jene für die nicht psychiatrischen Spitalbehandlungen. Das stehe zweifellos in Zusammenhang mit der Belastung am Arbeitsplatz.

Digitalisierung birgt Leistungsdruck

Das mag stimmen. Nur: Höchstarbeitszeiten schaffen keine Abhilfe. Schliesslich hat sich die Situation trotz des geltenden, restriktiven Arbeits­gesetzes derart ungünstig entwickelt. Die Volksgesundheit hängt nicht davon ab, ob die tägliche Arbeitszeit auf 8 und die wöchentliche auf 45 Stunden beschränkt ist. Der Stress hat andere Ursachen: Angst, nicht zu genügen, mangelnde Wertschätzung durch Vorgesetzte, überhöhte Erwartungen und fehlender zwischenmenschlicher Austausch. Der Job-Stress-Index weist noch eine weitere Grösse aus: die emotional Erschöpften. Auch ihr Anteil steigt. Mittlerweile ist ein Drittel der rund 5 Millionen Erwerbstätigen in der Schweiz emotional erschöpft.

Heute fürchtet man sich vor dem sozialen Abstieg.

Einer der wichtigsten Stressfaktoren ist die Digitalisierung. Sie bringt eine horrende Geschwindigkeit in unseren Alltag und eine hohe Belastung. Zwar sind viele Arbeitnehmende durch die zunehmende Mobilität freier und können Beruf, Familie und Freizeit dadurch besser vereinbaren. Doch dieser Effekt ist tückisch. Denn das schnellere, einfachere und effizientere Arbeiten führt zu steigender Produktivität und zu noch mehr Leistungsdruck.

Mehr Tempo heisst ausserdem auch mehr Oberflächlichkeit, weniger Sorgfalt, mehr Fehler, mehr Ärger, mehr Aggressivität. Eine weitere Folge der Digitalisierung: Wo früher Präsenz gefragt war, gibt es heute Leistungsvereinbarungen – und die Ziele sind oft unrealistisch hoch. Arbeitnehmende sagen aber nicht Nein, sondern opfern lieber ihre Freizeit, um mithalten zu können. Das macht krank.

Höchstarbeitszeiten sind heilig

Aber anders als vor 200 Jahren, als mit der Industrialisierung Fabrik­gesetze eingeführt wurden, geht es für die meisten Schweizer Angestellten heute nicht mehr ums Überleben. Arbeitnehmende könnten es sich leisten, auf annehmbaren Arbeitsbedingungen zu bestehen. Dank Arbeitslosenversicherung und sozialem Auffangnetz sind sie weniger erpressbar als seinerzeit. Paradoxerweise ist die Angst dadurch nicht kleiner geworden. Heute fürchtet man sich vor dem sozialen Abstieg.

Nichts deutet darauf hin, dass es den Angestellten besser geht, wenn die Arbeitszeiten für alle im Detail vorgeschrieben sind. Ein treffendes Argument für den Übungsabbruch ist eher die Einschätzung der Wirtschaftskommission, dass eine Liberalisierung der Arbeitszeiten ein Referendum provozieren und vom Volk abgelehnt würde. Bis heute haben die Stimmberechtigten Vorlagen, die in eine ähnliche Richtung gingen, verworfen. Höchstarbeitszeiten sind heilig.

Dabei könnte eine Flexibilisierung allen Beteiligten Vorteile bringen, wenn die Arbeitgeber für ein Klima sorgen würden, in dem Arbeitnehmende gesund bleiben. Offenbar trauen die Stimmberechtigten das den Unternehmen nicht zu.