Abstimmungen vom 18. Juni«Ein Elternzeit-Modell à la Genf ist auch in Basel vorstellbar»
Der Kanton Genf bietet neu 24 Wochen Elternzeit. Andere Kantone könnten nachziehen – manche wittern die Chance für eine nationale Lösung. Wie schätzt Politologe Claude Longchamp die Dynamik ein?
Es ist ein Novum in der Schweiz: Der Kanton Genf führt einen 24-wöchigen Elternurlaub ein. Das heisst: Der nationale 14-wöchige Mutterschafts- und zweiwöchige Vaterschaftsurlaub wird um acht Wochen ergänzt. Davon gehen sechs Wochen obligatorisch an jenen Elternteil, der keine Mutterschaftsversicherung hat. Zwei Wochen können nach Wunsch des Paares aufgeteilt werden.
Die Zustimmung lag bei 57,9 Prozent, alle 45 Genfer Gemeinden hiessen die Initiative gut. Diese Zusicherung soll auch für gleichgeschlechtliche Paare und Adoptiveltern gelten. Federführend waren die Grünliberalen, die in Genf nicht einmal im Parlament vertreten sind, weil sie den Einzug mit 6,8 Prozent knapp verpasst hatten. Die Linke kassierte eine Niederlage: Sie hatte die Vorlage abgelehnt, weil ihr die nun angenommene Variante als zu wenig fortschrittlich erschien.
Interesse in Basel
Die GLP in Basel-Stadt wittert nun die Chance, ein ähnliches Anliegen zu lancieren. Grossrätin Sandra Bothe-Wenk sagt: «Ein Elternzeit-Modell à la Genf ist auch in Basel vorstellbar, weil es zeigt, dass eine moderate paritätische Lösung mehrheitsfähig ist. Doch wir müssen das noch in der Partei besprechen und eine Auslegeordnung machen.»
Die Elternzeit hat im Kanton Basel-Stadt eine Vorgeschichte: Die SP versuchte es dort mit einem 38-Wochen-Modell, drang damit aber nicht durch. Die Partei lancierte darum – jetzt mit einer Mehrheit im Rücken – eine neue «freiwillige Fondslösung mit Staatsbeitrag». Sollte nun aber auch das «Genfer Modell» in Basel aufkommen, «werden wir das anschauen», sagt SP-Grossrätin Edibe Gölgeli.
Anders ist die Lage im Kanton Bern. Dort hat die Stimmbevölkerung am Sonntag eine progressivere Initiative bachab geschickt. Die Bernerinnen und Berner lehnten die Elternzeit von 24 Wochen zusätzlich zum bestehenden 16-wöchigen Urlaub mit 66,5 Prozent ab. Nur SP und Grüne hatten diese Initiative unterstützt – hier war die Berner GLP dagegen.
Auch der Kanton Zürich hatte letztes Jahr eine ähnliche Elternzeit-Initiative abgeschmettert: Dort wollte die Linke 20 Wochen Elternzeit zusätzlich ermöglichen. Ein Grund für das Nein war die GLP: Die Zürcher Partei hatte sich gegen die Elternzeit ausgesprochen und danach Stimmfreigabe beschlossen. Also ganz anders als ihre kantonale Schwesterpartei in Genf.
Gesamtschweizerische Lösung möglich?
Was ist der Grund dafür, dass die GLP in Genf so anders funktioniert als in der Deutschschweiz? Für die Zürcher GLP-Nationalrätin Corina Gredig liegt der Grund in der Ausgestaltung der Initiativen: «Während die Berner Elternzeit mit zusätzlichen 24 Wochen bis zum Kindergarteneintritt eher eine Ferieninitiative war, orientiert sich der Genfer Vorschlag am Arbeitsmarkt», so die Co-Präsidentin der Zürcher GLP. Der Genfer Vorschlag sei pragmatischer gewesen und deshalb mehrheitsfähig.
Gredig sagt, die GLP fordere aber im Grundsatz ohnehin eine gesamtschweizerische Lösung: «Viele pendeln über die Kantonsgrenzen hinaus. Eine landesweite Lösung hilft allen Eltern, egal wo sie arbeiten; das ist einfacher in der Umsetzung.»
«Genf ist ein hoch urbaner und progressiver Kanton im Gegensatz zu Bern.»
Dass nun die GLP in Genf einen grossen Erfolg verbuchen kann, betrachtet Gredig als Unterstützung für eine nationale Vorlage: «Das Thema muss nun auf die nationale Agenda kommen.» Aber: Man müsse die Wirtschaft überzeugen können, zumal Elternzeit die Arbeitstätigkeit von Müttern und Vätern fördere.
Wäre eine moderater ausgestaltete Vorlage in Bern durchgekommen? Sehr unwahrscheinlich, findet Politologe Claude Longchamp: «Genf ist ein hoch urbaner und progressiver Kanton im Gegensatz zu Bern, wo der Elternzeit-Initiative mit massiver Ablehnung in den ländlichen Regionen begegnet wurde.» Während im Kanton Bern die GLP eher rechts stehe, stelle die Partei in Genf eine neue dynamische Kraft dar, die mit Pragmatismus auffalle.
Ausserdem, so der Politikwissenschaftler, hätten es sozialpolitische Vorlagen in Genf einfacher als in der Deutschweiz. «Familien- und Sozialpolitik gehören im Westschweizer Kanton zu den staatspolitischen Aufgaben und polarisieren viel weniger als in Bern oder Zürich.»
Und wo steht das Thema Elternzeit auf Bundesebene? Das Bundesamt für Sozialversicherung arbeitet derzeit an einer volkswirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Analyse. Dies unter Einbezug internationaler Erkenntnisse aus Island, Schweden oder Deutschland. Der Nationalrat hat den Auftrag im Herbst 2021 erteilt. Die Studie könnte die Grundlage für eine nationale Vorlage bilden. Politologe Longchamp sagt: «Bevor es in einem wichtigen Deutschschweizer Kanton keinen Durchbruch gibt, denke ich nicht, dass eine nationale Vorlage entsteht.» Wenn, dann müsse der Vorstoss aus dem Zentrum (Mitte, GLP) kommen oder von diesem getragen werden.
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