Zürcher Abstimmung ElternzeitElternzeit abgelehnt – nur Stadt Zürich sagt Ja
Frisch gebackene Eltern erhalten im Kanton Zürich keine 18 Wochen Elternzeit. Die Stimmberechtigten sagten mit Zweidrittel-Mehrheit Nein. Wir berichteten live.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Das Wichtigste in Kürze
Die Elternzeit scheitert im Kanton Zürich klar: Nur gut 35 Prozent der Stimmberechtigten sagen Ja zur Elternzeit.
Ja sagt als einzige Gemeinde die Stadt Zürich. Allerdings ist die Zustimmung mit knapp 53 Prozent eher bescheiden. In Winterthur hingegen ist das Nein mit gut 55 Prozent deutlicher ausgefallen als zwischenzeitlich erwartet.
Die SP hatte in einer Volksinitiative verlangt, dass Mamis und Papis nach der Geburt oder Adoption eines Kindes 18 Wochen bezahlten Urlaub erhalten.
Das deutliche Nein mache eine nationale Lösung schwierig, sagen die Befürworterinnen. Die Gegner sehen gar keinen Raum mehr dafür. Eltern bräuchten andere Verbesserungen, etwa mehr Kita-Plätze und Tagesschulen.
Nun ist es entschieden
Die Stimmberechtigten haben die Elternzeit klar abgelehnt – deutlicher als von Vielen erwartet. Die drei befürwortenden Parteien SP, Grüne und AL kamen kaum über ihren Wähleranteil hinaus. Ja, sagten einzig acht Stadtzürcher und zwei Winterthurer Stadtkreise.
SVP: Das ist Markt
Erleichtert zeigt sich SVP-Präsident Benjamin Fischer. Das Resultat sei so, «wie es sein muss.» Aus seiner Sicht ist damit auch eine nationale Elternzeit vom Tisch. Die Stimmberechtigten hätten vor nicht allzu langer Zeit Ja zu zwei Wochen Vaterschaftsurlaub gesagt: «Und wenn man dann übermarcht, dann mögen die Menschen das nicht.»
Dass künftig KMU unter Umständen einen Wettbewerbsnachteil haben, wenn grosse Firmen auf eigene Faust Elternzeitmodelle anbieten, bestreitet Fischer nicht: «Aber das ist der freie Markt, den wir alle wollen.»
Mario Fehr: Forderung überrissen
Sicherheitsdirektor Mario Fehr (parteilos) bezeichnet das Abstimmungsresultat vor den Medien als «sehr sehr deutlich», deutlicher als erwartet. Dafür gebe es drei Gründe, so Fehr. Erstens sei für ein so grosses Thema eine nationale Vorlage nötig. Zweitens seien die Forderungen in der Initiative «überrissen» gewesen. Und drittens hätten die Stimmberechtigten begriffen, dass man jetzt, nach der Pandemie, das Zürcher Gewerbe nicht mit mehr als 400 Millionen Franken belasten könne.
Der Regierungsrat sei aber natürlich offen für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, «da wo es angezeigt ist». Im Parlament seien ja diverse Vorlagen hängig.
Trend in Zürich hat gekehrt
Überraschung in der Stadt Zürich: In der zweiten Hochrechnung hat sich das Blatt gewendet. Nun rechnen die Statistiker mit gut 53 Prozent Ja. Bisher sind fünf Kreise ausgezählt. Zwei sagen Nein (11 und 12), drei Ja (3, 6 und 10)
Selbst in Zürich zeichnet sich ein Nein ab
Das dürfte die Befürworterinnen und Befürworter am meisten schmerzen: Selbst die Stadt Zürich sagt gemäss ersten Hochrechnungen Nein zur Elternzeit, wenn auch mit 52,6 Prozent relativ knapp.
In Winterthur hat das Ja-Lager hingegen etwas Boden gut gemacht, aktuell sagen die Hochrechnungen ein ganz knappes Resultat voraus. Das Nein-Lager liegt nur noch mit knapp 50.6 Prozent vorn.
Min Li Marti nimmt Wirtschaft in die Pflicht
In einem verärgerten Tweet fordert SP-Nationalrätin Min Li Marti mehr Engagement von der Wirtschaft: « Es braucht jetzt seitens der Wirtschaft etwas mehr als Lippenbekenntnisse, so à la wir brauchen mehr Kinderbetreuungsplätze, aber wollen es nicht finanzieren.» Die Schweiz habe ein Grundsatzproblem, das nicht gelöst werde, wenn sie nicht in die Vereinbarkeit von Beruf und Familie investiere.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Ein erstes Ja aus Winterthur
Nun tröpfeln langsam die Resultate aus Winterthur ein – und sie sind für die Initianten wenigstens ein bisschen besser. Hier stimmt immerhin ein Kreis Ja: Winterthur-Veltheim mit 53,1 Prozent. Laut Hochrechnung stimmt die Stadt aber dennoch mit mehr als 55 Prozent Nein.
FDP-Präsident: Eltern brauchen Kitas und flexible Arbeitszeiten, nicht Urlaub
Wenn der Kanton Zürich die Elternzeit mit Zweidrittel-Mehrheit ablehne, so sei das auch ein Signal nach Bern, sagt der Zürcher FDP-Präsident Hans-Jakob Boesch: «Die Elternzeit ist der falsche und viel zu teure Weg zu einer Vereinbarkeit von Beruf und Familie.» Das müssten nun auch die Befürworter erkennen.
Jetzt müsse man zuerst einmal mit den heutigen Gegebenheiten, 14 Wochen Urlaub für Mütter und 2 Wochen für Väter, weitermachen und Erfahrungen sammeln.
Was Eltern wirklich bräuchten, sie kein massloser Urlaub, sondern die Individualbesteuerung, mehr Kitas und Tagesschulen sowie flexible Arbeitszeiten. Und gerade bei Letzterem seien SP und Gewerkschaften gefordert, wenn es ihnen ernst sei mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie: «Aber sie blockieren auf Bundesebene eine Modernisierung des Arbeitsrechts.»
Befürworterinnen enttäuscht
Viel schönzureden gibt es für Komitee-Mitglied und alt Nationalrätin Rosmarie Quadranti (Mitte) nicht: «Dieses Resultat ist eine Enttäuschung. Offenbar erkennt nur ein Drittel der Stimmberechtigten den Wert der Elternzeit.» Noch deutlicher wird Kathrin Bertschy, GLP-Nationalrätin und in Bern eine der pointiertesten Elternzeit-Befürworterinnen: «Dieses Resultat ist nicht gut.»
Es sei dem Komitee nicht gelungen, den volkswirtschaftlichen Nutzen der Elternzeit aufzuzeigen, sagt Quadranti. Einen wichtigen Grund für das magere Resultat sieht sie aber auch in der unsicheren wirtschaftlichen Lage: «Die Kosten haben eine massgebliche Rolle gespielt. Über den Gewinn aber wurde nicht geredet.»
Kathrin Bertschy sieht es ähnlich: «Neben Covid und der Ukraine war es ganz schwer, ein neues Thema zu setzen.» Generell habe Mitte-Links in dieser Abstimmung nicht gut mobilisieren können – obwohl über ihre Themen abgestimmt wurde. Die Berner Grünliberale nimmt aber auch ihre Zürcher Parteikollegen in die Pflicht. Dass sich die Zürcher GLP im Kantonsrat gegen die Elternzeit ausgesprochen und danach Stimmfreigabe beschlossen habe, sei nicht hilfreich gewesen: «Solche Pionierprojekte müsste man unterstützen.» Das Zürcher Nein mache es nun «ganz schwer», das Thema Elternzeit national weiter zu verfolgen.
Anderseits ist Bertschy aber auch überzeugt, dass die Elternzeit auf der Traktandenliste bleiben müsse. In der Schweiz zeichne sich ein massiver Fachkräftemangel ab: «Das kommt rascher als wir denken. Wir müssen die Mütter im Erwerbsleben halten.» Quadranti ist gleicher Meinung. Und sie sagt. «Zwei Wochen Vaterschaftsurlaub reichen dafür erwiesenermassen nicht aus. Es braucht eine paritätische Elternzeit.»
KMU- und Gewerbeverband erleichtert
Werner Scherrer, Präsident des KMU- und Gewerbeverbands des Kantons Zürich (KGV) zeigt sich «extrem froh» über das Abstimmungsresultat. Gerade für KMU wäre die Elternzeit schwer umzusetzen gewesen, sagt der ehemalige FDP-Kantonsrat: «Wir hätten massive Probleme damit bekommen, Fachleute während des Urlaubs zu ersetzen.»
Hinzu komme, dass die Elternzeit nur im Kanton Zürich eingeführt worden wäre. Wenn überhaupt, dann müsse «eine so wichtige Frage» national geregelt werden. Priorität hat für den KGV aber anderes, so Scherrer: «Wir müssen das Umfeld für berufstätige Eltern verbessern. Es braucht zum Beispiel mehr Kita-Plätze und mehr Tagesschulen.» Ohne diese Verbesserungen sei eine Elternzeit witzlos.
EVP begrüsst das Nein
Als erste Partei hat die EVP mit einer Medienmitteilung auf die Abstimmungsresultate reagiert. Sie begrüsst das Nein der Stimmbürger. Entscheidend sei wohl die zu erwartende, grosse Mehrbelastung für KMU gewesen, schreibt die EVP.
Zwar anerkenne man «den fortschrittlichen Ansatz» einer erweiterten Elternzeit, so die EVP weiter. Aber eine solche müsse national einheitlich geregelt und finanzierbar sein.
Es zeichnet sich ein deutliches Nein ab
Gemäss ersten Hochrechnungen sagt nur ein Drittel der Stimmberechtigten Ja zur Elternzeit im Kanton Zürich. Das ist eine überraschend deutliche Niederlage.
Vor allem in ländlichen Gemeinden hat das Anliegen keine Chance. Vielerorts kommen nicht einmal zwanzig Prozent Ja-Stimmen zusammen. In Berg am Irchel und Humlikon liegt der Nein-Anteil sogar bei über 86 Prozent. Im traditionell linken Rifferswil sagen 63 Prozent der Stimmenden Nein.
Ablauf
Um 12 Uhr gibt es die ersten Resultate aus den Gemeinden. Zeitnah wird auch mit einer Hochrechnung der kantonalen Statistikerinnen und Statistiker gerechnet.
«Elternzeit ist ein Standortvorteil» – «Der Staat kann einem nicht alles abnehmen»
Nicht nur die Parteien, auch Unternehmerinnen und Unternehmer sind uneins über die Elternzeit. Währen die einen überzeugt sind, dass langfristig kein Weg an der Elternzeit vorbeiführt, wenn die Schweiz für Arbeitnehmende attraktiv bleiben will, halten andere es für eine zu grosse Belastung, wenn auch Väter nach der Geburt länger daheim bleiben.
Diese Zeitung hat bei vier Firmen im Kanton Zürich nachgefragt, wie sie die Elternzeit sehen. Die Argumente könnten unterschiedlicher nicht sein. So sagt IT-Unternehmer Reto May offen, er hätte nach der Geburt seines Kindes nicht so lang daheim bleiben wollen. Und: Für seinen kleinen Betrieb sei eine so lange Absenz kaum organisierbar.
Ganz anders sieht Damiano Urbinello von der Pharmafirma MSD die Sache. MSD hat bereits auf eigene Faust eine bezahlte Elternzeit von 16 Wochen eingeführt. Die Erfahrungen seien nur positiv.
Ausgangslage
Frisch gebackene Väter und Mütter, die im Kanton Zürich leben und arbeiten, sollen in Zukunft gemeinsam Zeit erhalten, sich an ihr Baby zu gewöhnen. Die SP schlägt in einer Volksinitiative 18 Wochen Elternzeit für beide Geschlechter vor. Eltern, die im Kanton Zürich arbeiten, aber nicht hier leben, sollen Anspruch auf immerhin noch 14 Wochen erhalten.
Die Idee ist, dass Mami und Papi den Urlaub gemeinsam verbringen; auf Antrag kann ein Teil aber auch aufeinanderfolgend bezogen werden. Die Elternzeit wird mit 80 Prozent des bisherigen Lohns entschädigt. Finanziert werden soll das Ganze analog zum Militärdienst und dem heutigen Mutter- und Vaterschaftsurlaub über die Erwerbsersatzordnung.
Unterstützt wird die Volksinitiative nur von den Grünen und der AL. Die drei Parteien sind überzeugt, dass eine paritätische Elternzeit für beide Geschlechter der Wirtschaft nützt, weil Mütter dann erwiesenermassen öfter und mit höherem Pensum in den Beruf zurückkehren. Ausserdem wirke es sich positiv auf die Gesundheit von Kindern und Müttern aus, wenn auch die Väter nach der Geburt ein paar Wochen daheim bleiben.
Die GLP ist zwar grundsätzlich für eine Elternzeit, sie sagt aber Nein zu einer rein Zürcherischen Lösung. Ähnlich argumentieren Mitte und EVP. Wenn der Kanton Zürich allein eine Elternzeit einführe, so habe das Schäden für die Wirtschaft zur Folge. Der Regierungsrat sieht das genauso, weshalb auch er die Initiative ablehnt.
Hinzu kommt die vorgeschlagene Dauer von 18 Wochen: Das ist vielen Gegnerinnen und Gegnern zu lang. Die FDP etwa hält maximal 8 Wochen für zumutbar. Fundamental gegen die Elternzeit ist nur die SVP. Sie findet, Familien sollten sich selbst organisieren.
Fehler gefunden?Jetzt melden.