Emmi-Chef im Interview«Harte Massnahmen sind nötig, doch wir sollten nicht die Bevölkerung generell sanktionieren»
Urs Riedener spricht über Milch als Klima-Sündenbock, Schweizer Butterberge und Käse, den Emmi weiterhin nach Russland liefert.
Herr Riedener, Emmi beliefert Russland nach wie vor mit rund 90 Produkten. Kommen die Lieferungen überhaupt noch an?
Da es sich um Grundnahrungsmittel handelt, ist dies grundsätzlich weiterhin möglich. Allerdings gestaltet sich die Logistik äusserst schwierig. Auch bei der Zahlungsabwicklung ergeben sich zusätzliche Compliance-Themen. Zudem ist völlig unklar, wie die von Russland gegenüber der Schweiz ausgesprochenen Retorsionsmassnahmen konkret umgesetzt werden.
Andere Lieferanten von Lebensmitteln – etwa Lindt oder McDonald’s – ziehen sich zurück. Lohnt sich das Russland-Geschäft überhaupt unter diesen Umständen?
In Anbetracht der zutiefst verstörenden Ereignisse erscheint mir dies absolut sekundär und ist wohl auch kaum der Fall. Ich möchte klarstellen, dass wir die durch Russland verursachte militärische Eskalation mit aller Deutlichkeit verurteilen und die auf politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger abzielenden Sanktionen vollumfänglich unterstützen.
Wie schwierig ist es mit dem öffentlichem Druck, auf diesem Standpunkt zu bleiben?
Emotional sind wir alle betroffen vom unfassbaren Leid, aber auch vom Mut der Menschen in der Ukraine, das spüre ich auch intern sehr stark. Letzte Woche haben wir entsprechend auch erste Hilfslieferungen ins Krisengebiet auf den Weg gebracht. Um jene Kreise in Russland zu treffen, die für diese Situation verantwortlich zeichnen, sollten wir weiterhin gezielte Massnahmen mit aller Härte ausschöpfen, nicht aber die russische Bevölkerung generell sanktionieren. Diese differenzierte Betrachtung ist emotional schwierig.
In den letzten Jahren ist die Milch zunehmend in Kritik geraten. Hat sich das bei Ihrem Start vor 14 Jahren bei Emmi abgezeichnet?
Nein. Ich sehe nicht, dass der Milchkonsum weniger populär geworden sein sollte. Es wird zwar viel über Milch geschrieben – darunter auch vermeintlich Negatives. Doch der Konsum wächst weltweit um rund 2 Prozent und verlagert sich. In der Schweiz wird zwar weniger Milch getrunken, dies vor allem deshalb, weil die Familien – die Pandemie ausgenommen – morgens nicht mehr gemeinsam frühstücken.
Viele finden es unnatürlich, Kuhmilch zu trinken. Und die Produktion gilt als klimaschädlich.
Diese Argumente nehmen wir ernst. Wir haben erkannt, dass auch wir als Milchverarbeiter klare Massnahmen ergreifen müssen, um den Treibgasausstoss der Milchwirtschaft insgesamt zu verringern. Klar ist für uns: Die Menschen haben einerseits ein echtes Bedürfnis, Milch konsumieren zu können, denn sie beinhaltet lebenswichtige Nährstoffe, die andere Lebensmittel nicht haben. Andererseits fordern die Konsumentinnen und Konsumenten eine nachhaltigere Milchproduktion. Dabei gibt es jedoch auch Missverständnisse.
«Die Milchproduktion im Grasland Schweiz ist meiner Meinung nach sehr natürlich.»
Welche?
Die Milchproduktion im Grasland Schweiz ist meiner Meinung nach sehr natürlich – mit Sicherheit ist sie natürlicher, als wenn jemand einen Drink aus brasilianischem Soja zu sich nimmt. Kuhmilch ist in puncto Klimabilanz pro Nährstoffeinheit – Eiweisse und Spurenelemente – vielen Milchalternativen überlegen.
Wirklich effektiv gegen Treibhausgase wäre, wenn wir Menschen gar keine Milchprodukte mehr konsumieren würden.
Treibhausgase aus Milchwirtschaft machen nur gerade 3 Prozent des weltweiten Ausstosses aus. In dieser ganzen Klimadebatte stört mich, dass jeweils der eine dem anderen vorschreibt, was er zu verbessern habe. Wichtig wäre es zu fragen: Was kann ich dazu beitragen? Wie kann ich persönlich ein klimaschonenderes Leben führen? Solche Fragen sollte sich jede und jeder von uns stellen. So könnten wir echte Fortschritte erzielen.
Was tut Emmi?
Wir haben Anfang Jahr im Verbund mit den Milchproduzentenorganisationen das Projekt «KlimaStaR Milch» lanciert. Gemeinsam wollen wir wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen, um die Schweizer Milchwirtschaft im Hinblick auf Klimaschutz sowie Ressourceneffizienz nachhaltiger zu machen.
Mit den Detailhändlern Migros und Coop, die als harte Verhandlungspartner gelten, haben Sie Anfang Jahr höhere Preise vereinbaren können, etwa für Joghurts oder Caffè Latte. Wie schwierig war das?
Beide Detailhändler haben ein gewisses Verständnis für offensichtliche Kostenerhöhungen. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich Handelspartner unseren Forderungen entgegenstemmen, doch schliesslich haben auch Migros und Coop ein Interesse daran, dass wir als Milchverarbeiter leben können. Ansonsten könnten wir keine Handelspromotionen mehr machen oder keine neuen Produkte entwickeln. Hier ist seitens der Detailhändler eine gewisse Vernunft spürbar. Doch diese muss man sich teilweise hart erkämpfen.
Mitte April werden Sie den Bauern 5 Rappen mehr für die für Milch bezahlen. Auch Transport- und Verpackungskosten bleiben teuer. Bei welchen Produkten werden Sie von den Schweizer Detailhändlern weitere Preiserhöhungen fordern müssen?
Die den Milchproduzenten zugutekommende Richtpreiserhöhung von 5 Rappen pro Liter Milch werden wir über das gesamte Sortiment weitergeben müssen.
«Seitens der Detailhändler ist eine gewisse Vernunft spürbar, doch diese muss man sich teilweise hart erkämpfen.»
Auch Butter ist spürbar teurer geworden. Der Bund musste für das zweite Halbjahr erneut die Importkontingente erhöhen. Warum ist Schweizer Butter knapp?
Die Milchproduktion ist in der Schweiz leicht rückläufig, der Konsum hingegen nicht. Hinzu kommt, dass letztes Jahr relativ viel Schweizer Käse exportiert wurde. Eiweiss und Milchfette befinden sich also – einfach gesagt – im exportierten Käse, fehlen hingegen für Schweizer Butter. Strukturell ist es besser, etwas zu wenig Schweizer Milch zu haben als nötig, statt auf Butterbergen zu sitzen, sodass viele beklagen, dass die Schweizer Butter billig irgendwohin verhökert werden muss.
Wenn nun im Sommer Importbutter in die Schweizer Läden kommt: Werden Sie sie in neue Verpackungen hüllen – ohne Schweizer Flagge?
Sie sprechen den Fehler an, der der Branche letztes Jahr unterlaufen ist. Die Branche hat sich zu lange gegen Importe gewehrt, sodass aufgrund der erhöhten Nachfrage Schweizer Butter mit ausländischer gemischt werden musste. Aufgrund der Kurzfristigkeit des Entscheids musste man pragmatisch entscheiden, damit keine Lücken in den Regalen entstehen. Daraus haben alle aber Konsequenzen gezogen. Wir werden die Importbutter entsprechend deklarieren und sie sicher nicht in einer Verpackung mit Schweizer Flagge in die Läden liefern.
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