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Mamablog: Verletzendes Mom-Shaming
Haltet zusammen, Mütter!

Doofer Spruch oder fieser Vorwurf: Mom-Shaming gibts in vielen – ziemlich verletzenden – Varianten. Szene aus «Working Moms».
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Kürzlich las ich in dieser Zeitung folgenden Titel: «Emanzipiert, gut ausgebildet – und Hausfrau» und darunter folgenden Lead: «Das ist die Geschichte zweier Frauen, die Karriere machen wollten und dann doch zu Hause gelandet sind. Nun verfolgen sie zwei Wege, um ihre finanzielle Unabhängigkeit zurückzuerlangen.» Weiter im Text las ich dann: «Seme und ihr Mann Pit haben alles geplant: Für sie kommt nur eine gleichberechtigte Partnerschaft infrage. Er hilft nicht nur im Haushalt mit – sie teilen sich die Aufgaben.»

Beim Lesen fragte ich mich: Welches Rollenverständnis zeigt sich in der Tatsache, dass der Mann im Haushalt lediglich mithilft? Wohnt er nicht auch in diesem Haushalt, ist es nicht auch sein Geschirrspüler, auch seine Klobürste? Hatten wir all das nicht schon längst durch? Wenn ich so was von meinen Grosseltern höre, okay, aber warum muss ich Ende 2022 noch immer von diesem mithelfen lesen?

Warum lese ich nicht öfters von der Tatsache, dass Väter in der Schweiz bis vor kurzem einen einzigen Vaterschaftstag bekamen? Dass die neuen zwei Wochen nach wie vor lächerlich wenig sind, um eine Gleichstellung zu erreichen, in der Männer ihren Anteil an Care-Arbeit stemmen? Und Frauen entsprechend nicht mehr ausbrennen? Und warum steckt da so viel Wertung, in diesem «Karriere machen» und in diesem «zu Hause geblieben»?

Geld als Lieblingsthema des Mom-Shamings

Eine der grössten Verletzungen meines bisherigen Lebens waren die plötzlichen Verurteilungen und ungebetenen Ratschläge, die ich als werdende und dann frischgebackene Mutter erfahren musste. Wie kleine Pfeile flogen sie auf mich zu, gerichtet von allen Seiten. Von sogenannten Profis wie Gynäkolog:innen oder Hebammen. Von nahen Verwandten. Aber auch von wildfremden Menschen – wie eine Kommilitonin, die früher nie ein Wort mit mir wechselte, oder der eine Nachbar, den ich zum zweiten Mal im Leben im Lift sah. Je grösser mein Bauch wurde, desto mehr Pfeile flogen auf mich zu.

Bei mir hinterliessen diese subtilen Pfeile des Mom-Shamings viele kleine Stiche.

Und als ich dann hormonüberschwemmt und schlafentzogen im Wochenbett lag, taten diese Pfeile umso mehr weh:

  • Still doch endlich ab! (Als ich versuchte zu stillen.)

  • Muttermilch ist das Beste fürs Kind! (Als ich zu wenig Milch hatte und zufüttern musste.)

  • Was, ein geplanter Kaiserschnitt! (Damit wurde jedes Wochenbett-Problem von mir und meinem Baby begründet.)

  • Ist Dir denn nicht langweilig als Hausfrau? (Als ich mich endlich getraute, das Wohnzimmer zu verlassen.)

  • Wozu hast Du ein Kind, wenn Du es in die Kita bringst? (Als ich dabei war, wieder ins Berufsleben einzusteigen.)

Diese Pfeile haben einen Fachnamen: Mom-Shaming. Über Mom-Shaming wurden bereits viele Artikel und Bücher veröffentlicht. Mom-Shaming schadet der Gesundheit. Und es findet dennoch sehr oft statt. Das Lieblingsthema des Mom-Shamings ist Geld, also ob und wie viel eine Mutter erwerbsarbeitet und entsprechend Geld verdient oder nicht verdient.

Bei mir hinterliessen diese subtilen Pfeile des Mom-Shamings viele kleine Stiche. Stiche, die ich zunächst als unwichtig abtat. Retrospektiv weiss ich: Diese Stiche trugen zu meinen langen postnatalen Depressionen bei. Von den Depressionen konnte ich mich zum Glück gut erholen. Über die misogynen Abwertungen hinwegzukommen, finde ich aber gar nicht so einfach. Weil ich sehe, dass sie nicht nur mich trafen, damals vor sieben Jahren, sondern noch heute fast jede Mutter treffen, die ich kenne. Weil ich sehe, dass Mom-Shaming nicht nur im unachtsamen Small Talk in Treppenhäusern stattfindet, sondern auch in meinen liebsten Tageszeitungen mit riesig grosser Reichweite.

Solidarität und Zusammenhalt

Die Tatsache, dass wir in einer patriarchalen Gesellschaft leben, in der Frauen und FLINTA* generell gerne abgewertet werden, die Tatsache, dass wir in einer kapitalistischen Kultur leben, in der Geldbeschaffung höher gewichtet wird als füreinander zu sorgen, macht das Leben als Mutter, als Care-Giver schwer genug. Mom-Shaming untereinander brauchen wir da nicht auch noch. Die Zeiten ändern sich, wie wir denken und berichten auch, der eingangs erwähnte Artikel wird später mal bestimmt ein spannendes Zeitdokument. Doch bis es so weit ist, können wir Mütter schon mal einen Widerstand leisten, in dem wir uns radikal untereinander solidarisieren. Ich mache mal einen Versuch:

  • Danke an alle berufstätigen Mütter da draussen. Für eure Zeit und Energie und fürs Vorbild sein für die Kinder. Danke fürs Stemmen der Erwerbsarbeit. Dafür, dass ihr die finanzielle Verantwortung übernehmt.

  • Danke an alle Hausfrauen da draussen. Für eure Zeit, Energie und Zuwendung, die ihr euren Kindern schenkt. Danke fürs Stemmen der Care-Arbeit. Dafür, dass ihr die fürsorgliche Verantwortung übernehmt.

  • Jede macht es gut! Jede gibt ihr Bestes!

Dieser Text erschien zuerst in kürzerer Form auf dem Instagram-Account der Autorin: @chezmamapoule

*FLINTA steht für Frauen, Lesben, Inter-Menschen, nicht-binäre Personen, trans-Menschen, agender Personen und alle nicht cis, hetero, Männer.