Corona in den NiederlandenHärtere Massnahmen sind notwendig
In den Spitälern der Niederlande eskaliert die Lage, erste Patientinnen und Patienten müssen ins Ausland transportiert werden. Die Regierung von Mark Rutte kann nicht untätig bleiben.
Gutgelaunte Länder sind in Europa schwer zu finden dieser Tage. Aber kaum irgendwo schlägt die Novemberdepression gerade so hart zu wie in den Niederlanden. Über dem Land hängt eine dicke, schier unauflösliche Wolke der Unzufriedenheit. Das hat viel mit dem Coronavirus zu tun. Allerdings gibt es auch andere Ursachen, und das ist Teil des Problems.
Zunächst die Pandemielage, sie ist desaströs: Etwa 22'000 Menschen haben sich im Durchschnitt der vergangenen Woche angesteckt. Die Inzidenz ist mehr als doppelt so hoch wie in der Schweiz, der R-Wert liegt bei 1,21. Die Intensivstationen sind voll, Eingriffe müssen abgesagt werden, inzwischen auch Herz- oder Krebsoperationen. Erste Patienten müssen über die Grenze nach Deutschland transportiert werden. In den Spitälern droht laut dem Vorsitzenden der Intensivärzte-Vereinigung, Diederik Gommers, in spätestens zehn Tagen «Code Schwarz»: Dann müssen Triagekommissionen auswählen, wer noch behandelt werden kann.
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Das alles geschieht trotz einer vergleichsweise hohen Impfquote der Erwachsenen von 85 Prozent, was nahelegt, dass sich die Niederländerinnen und Niederländer noch immer eher sorglos bewegen. Und das hat nach Ansicht vieler Beobachter auch mit politischen Fehlern zu tun, etwa damit, dass die Regierung in Den Haag, die schon im vergangenen Jahr oft spät und sorglos agierte, im September nahezu alle Auflagen für obsolet erklärt hatte. Mehr als acht Monate nach der Wahl ist auch noch immer kein neues Kabinett in Sicht. Den geschäftsführenden Ministern um Premier Mark Rutte fehlen Kraft und Autorität für einen stringenten Kurs, manches wirkt improvisiert.
Der zunehmend schlechter werdenden Lage versuchte man dann vor zwei Wochen zunächst mit einem eher milden Teil-Lockdown zu begegnen, von Rutte «harter Schlag» genannt: Bars, Restaurants und Geschäfte müssen um 20 Uhr schliessen, Geschäfte für den nicht dringend nötigen Bedarf bereits um 18 Uhr. Die Einwohnerinnen und Einwohner sollen sich mit maximal vier weiteren Menschen in ihren Wohnungen treffen und nach Möglichkeit im Homeoffice arbeiten. Grosse Sportveranstaltungen müssen ohne Publikum stattfinden.
Verschärfungen schon morgen Freitag
Die Einschränkungen sollten drei Wochen lang gelten, um Anfang Dezember wieder weitgehend aufgehoben und von einer 2-G-Regelung bei Veranstaltungen und in der Gastronomie abgelöst zu werden. Dieser Plan geht nun nicht auf, weil die Massnahmen bei weitem nicht so wirken wie erhofft. Die wissenschaftlichen Beraterinnen und Berater werden ungeduldig. «Es muss etwas geschehen, die Politik muss Verantwortung übernehmen, sowohl das Kabinett als auch die Tweede Kamer (das Parlament)», sagte Marc Bonten vom Krisenteam OMT (Outbreak Management Team) Anfang Woche. Der Mediziner deutete an, dass an einem mehr oder weniger harten Lockdown, bis weit ins Frühjahr hinein, kein Weg vorbeiführe. Die Regierung will schon morgen Freitag Verschärfungen ankündigen.
Als erster Schritt wurde ein verpflichtender 1,5-Meter-Abstand im öffentlichen Raum wieder eingeführt. Die Polizei winkte vorsorglich schon ab, das lasse sich mit dem jetzigen Personalbestand gar nicht kontrollieren. «Wenn man in einer engen Einkaufsstrasse oder anderswo Hunderte Menschen hat, die das ignorieren: Was will man dann dagegen machen?», sagte Gerrit van de Kamp von der Polizeigewerkschaft AP.
Moral und Einsicht schwinden
Der Polizist spricht damit ein weiteres Problem an, die stark gesunkene Moral und Einsicht im Land. Eigentlich ist kaum jemand zu Einschränkungen bereit; Restaurants, Kneipen und Veranstaltungsorte wollen nicht mehr schliessen, vor allem aber sollen Schulen und Universitäten offen bleiben. Schon gegen die jüngsten Massnahmen hatte sich energischer Protest erhoben. Hinzu kommt, dass Impfgegner und Corona-Skeptiker immer militanter auftreten, befeuert von rechtsextremen Politikern.
Als auch noch ein Feuerwerksverbot für den Jahreswechsel erlassen wurde, kulminierte die Wut in den Niederlanden am Wochenende in Krawallen, wie schon Anfang des Jahres. Tagelang marodierten überwiegend Jugendliche in mehreren Städten und lieferten sich teilweise Strassenschlachten mit der Polizei. Befürchtet wird, dass dies nur ein Vorgeschmack auf die Ausschreitungen sein könnte, die bei einem härteren Lockdown zu erwarten sind.
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