Kommentar zu Gewalt in den NiederlandenExtreme Wellen
Selbst idyllische Provinzstädte sind Orte von Exzessen und somit Abbild gesellschaftlicher Krisen, die sich in der Pandemie besonders zeigen.
Sind da etwa ein paar feurige Jungs gefrustet, weil die Kneipen jetzt schon wieder um 20 Uhr zumachen? Weil ihre Stadiontickets nichts mehr wert sind?
Die Niederlande erleben gerade düstere, hooliganeske Tage, brennende Autos, fliegende Steine, verletzte Menschen und eine entsetzte Bevölkerung. Leider nicht zum ersten Mal, was auch daran liegt, dass durch das Land seit fast zwei Corona-Jahren extremere Wellen rollen als etwa in Deutschland: Fest und Frust, Lockerung und Lockdown – je mehr Laisser-faire die Regierung in Den Haag in guten Zeiten gestattet, desto radikaler wirken die Bremsen, die auch nun wieder fällig sind.
Die Niederlande hatten es ja sogar anfangs mit Herdenimmunität versucht, dann wiederum liberaler und früher als andere Länder wieder geöffnet. Das weckt stets besondere Erwartungen, die besonders enttäuscht werden.
Eine gefährliche Melange aus Interessen erschwert einen klaren Kurs in Den Haag.
Allein damit aber lassen sich der Furor und die Gewalt in den Niederlanden nicht erklären. Denn sie entzünden sich ja nicht nur in Rotterdamer Problemvierteln; auch die idyllischen Provinzstädte Roermond und Urk sind Orte von Exzessen und somit Abbild gesellschaftlicher Krisen, die sich in der Pandemie besonders zeigen. Hässliche Wortgefechte finden in den Niederlanden längst ungeniert im nationalen Parlament statt und vergiften die öffentliche Atmosphäre. Führungsschwache Parteien treffen dort auf gnadenlos populistische, das trägt erheblich dazu bei, das Vertrauen in den Staat zu verringern.
Der Liberalismus, der Freiheitsdrang sind gesellschaftlich prägend in den Niederlanden und setzen die politischen Pandemiemanager in Den Haag unter Druck. Aber auch der konservative Bibelgürtel ist ein Fundament des Landes – Urk gehört dazu –, jene Regionen also, in denen treue Calvinisten sich ungern über ihr Verhalten belehren lassen. All dies strömt in eine gefährliche Melange aus Interessen, die einen klaren Kurs in Den Haag erschwert – und dem Virus das Leben erleichtert.
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