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Meinung

Bald öffnen die Säle wieder
Und es gibt sie doch: Die Magie des Kinos

Die Zuschauer können im Kino dem Film nur entfliehen, wenn sie den Saal verlassen.
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Es gibt im Kino diesen wuchtigen Moment der Stille. Da läuft längst der Abspann, aber die Zuschauerinnen und Zuschauer bleiben sitzen, oft minutenlang, von den Emotionen des Films erstarrt. Kollege Pascal Blum hat dem Kinobesuch gestern in dieser Zeitung die Magie abgesprochen – zu Unrecht. Auch das ausgeklügeltste Home-Cinema kombiniert mit der umfangreichsten Streaming-Plattform kann nicht, was das richtige Kino kann. Ein Glück, dass ab diesem Samstag endlich wieder Filme auf den ganz grossen Leinwänden zu sehen sind.

Daheim beginnt die Mühsal schon mit der Filmauswahl: Auf Streaming-Plattformen wie Netflix verliert man sich wie an einem unendlichen Buffet. Jede Speise mutet verführerisch an und schmeckt dann doch nicht wirklich. Wenn man sich für einen Film entschieden hat, schaufelt man ihn in sich hinein. Er wird beiläufig. Langweilige Szenen? Vorspulen. Auf Whatsapp chatten. Oder einschlafen.

Im besten Fall ist das Kino ein Ort kollektiver Überwältigung, wo man die Emotionen mit den andern teilt.

Ganz anders in guten Kinos: Das Programm ist minimalistisch kuratiert. Den Entscheid, ob und welchen Film man sich ansieht, trifft man sehr bewusst – 19.30 Uhr, Saal 3, E/d/f. Der Raum ist ablenkungsfrei. Es ist still. Es ist dunkel. Und jeder schämt sich, wenn er sein Smartphone zückt. «Wer ins Kino geht, ist für die Welt verloren», schrieb Autor Willi Winkler, der mit seiner Kino-Begeisterung ein ganzes Buch füllte. Was kümmerten den Kinogeher die gewöhnlichen Händel draussen, wenn er drinnen vor Schmerz vergehe.

Im weichen Sessel bleiben die Zuschauer auch bei schweren Stoffen länger dran. Sie können dem Film nur entfliehen, wenn sie den Saal verlassen – ein viel grösserer Schritt, als auf Apple TV ein paar Knöpfe zu drücken. Im Kino sind die Menschen zum Eintauchen verdammt: die Bedingung, um wirklich berührt zu sein.

Das Kino ist auch ein wichtiger sozialer Ort. Es ist das Pendant zum Stadion, zur Konzerthalle und zum kleinen Theater: Im besten Fall ist es ein Ort kollektiver Überwältigung, wo man die Emotionen mit den andern teilt. Zu Hause allein vor dem Laptop ergriffen zu sein, ist ein selbstbezogener Moment. Dieses Gefühl im vollen Saal zu erleben, ist hingegen ein gesellschaftlicher Akt.

Mit jedem Kinogang setzt sich auch der eigene innere Film fort.

«Inception»- und «Dunkirk»-Regisseur Christopher Nolan hat kürzlich einen Essay in der «Washington Post» geschrieben (hier zu finden, allerdings hinter einer Bezahlschranke). Wenn die Corona-Krise vorbei sei, werde der Wunsch, gemeinsam zu leben, zu lieben, zu lachen und zu weinen, stärker sein denn je. Genau das sei Kino.

Und obwohl Kino auch bedeutet, doofe Werbespots über sich ergehen zu lassen und Nachos in zweifelhafte Salsa-Sauce zu tunken, hebt sich der nachfolgende Film davon ab. Am Ende brechen alle Gedanken aus einem heraus, die sich während gut 90 Minuten aufgestaut haben, und münden in einem aufgekratzten Gespräch mit Freunden: Wieso zum Teufel ist die Heldin so eigensinnig? Ist das Ende nicht völlig realitätsfremd? Hast du das auch so verstanden?

Kinoerlebnisse sind mitunter magisch. Die Coming-of-Age-Geschichte, für die man dreimal knapp 20 Franken investierte, nur um die Bilder nochmals auf der grossen Leinwand zu sehen oder die Musik aus den lauten Boxen zu hören. Das erste Mal die Hand des Schwarms halten. Und von einem Drama so mitgenommen sein, dass eine Träne in den Popcornsack rinnt.

Mit jedem Kinogang setzt sich so auch der eigene innere Film fort. Neue Bilder, Melodien und Szenen kommen hinzu.