Konferenzstart in Sharm al-SheikhPariser Klimaversprechen im Reality-Check
Kohleausstieg, Abholzung, erneuerbare Energien: Wo steht die Welt bei der Umsetzung der Klimaziele von 2015? Ein Überblick.

So schnell können sich geopolitische Interessen verschieben. Noch vor einem Jahr war die Klimakonferenz in Glasgow zuoberst auf der Agenda, nun scheint die internationale Klimapolitik «auf Eis gelegt», wie das UN-Generalsekretär Antonio Guterres kürzlich formulierte. Der Ukraine-Krieg, die gestiegenen Kosten für Energie und Nahrungsmittel, der erhöhte Absatz fossiler Energie – der globale Klimaschutz scheint an Bedeutung verloren zu haben. Was ist aus den Plänen der Vertragsstaaten des Pariser Klimaabkommens in Glasgow geworden, waren die vielen Ankündigungen neuer vielversprechender Kooperationen nur heisse Luft? Ein Überblick, mit welchem Rucksack die Umweltdiplomaten nach Sharm al-Sheikh reisen, zur Klimakonferenz, die heute offiziell startet.
Wurden die Klimapläne nachgebessert?
Die Vertragsstaaten waren sich in Glasgow einig, dass die bisher eingereichten Klimapläne bei weitem nicht ausreichen, um die Klimaziele des Pariser Abkommens zu erreichen. Bis Ende dieses Jahres sollte nachgebessert werden. Bis dato haben 24 von 194 Staaten ihre Klimapläne aktualisiert, aber nicht unbedingt verschärft. Niklas Höhne vom New Climate Institute sagt es so: «Es hat sich eigentlich nichts getan.» Das Klimainstitut verfolgt seit Jahren die politischen Entwicklungen in der internationalen Klimapolitik. Von den grössten Emittenten von Treibhausgasen ist wohl nichts mehr zu erwarten: Die USA haben nichts angekündigt, wollen aber immerhin in den nächsten zehn Jahren 370 Milliarden in saubere Energie, elektrische Fahrzeuge und Wärmepumpen investieren.
Die EU bleibt vorläufig bei der Reduktion der Emissionen um 55 Prozent bis 2030. Von Russland ist derzeit nichts in Sachen Klimaschutz zu erwarten. Und China hat ebenfalls keine Andeutungen gemacht, die Ambitionen zu erhöhen. Die meisten der zwanzig wirtschaftsstärksten Staaten (G-20) haben zwar seit 2020 ihre Klimapläne verschärft, sind aber weit entfernt davon, sie umzusetzen. Was das heisst: Die Emissionen müssten in den nächsten acht Jahren um 45 Prozent gesenkt werden, um eine Erderwärmung um mehr als 1,5 Grad zu verhindern, heisst es im neuen UNO-Bericht, der vor der Konferenz veröffentlicht wurde. Immerhin scheinen sich die Emissionen derzeit einzupendeln – auf hohem Niveau. Eine Reduktion sei aber in den nächsten Jahren wohl nicht zu erwarten, sagt Höhne.
Ausbau bei den erneuerbaren Energien
Die Vertragsstaaten haben im Schlusspapier von Glasgow betont, dass es «dringend» sei, die erneuerbaren Energien auszubauen und den Ausstieg aus der Kohlenkraft zu forcieren. Die gute Nachricht ist: Der Ausbau von Sonnenenergie und Windkraft hat im letzten Jahr ein Rekordhoch erreicht und soll in diesem Jahr um weitere 8 Prozent wachsen. Das sind die Erwartungen der Internationalen Energieagentur. Nach wie vor ist China Spitzenreiter bei der Förderung sauberer Energie, die USA könnten künftig ebenfalls den Ausbau beschleunigen, sollten die vom Kongress gesprochenen Milliarden in den nächsten Jahren in den Bau von Sonnen- und Windkraft investiert werden. Auch in Europa wird weiterhin in die erneuerbare Stromproduktion investiert, wenn auch nicht mehr so stark wie in früheren Jahren. Dänemark will die Kapazität der Offshore-Windanlagen bis 2030 beinahe versiebenfachen.
Unsicherheit: Ukraine-Krieg

Die schlechte Nachricht ist: Der Fortschritt der letzten Jahre wird durch den Krieg in der Ukraine geschmälert. Der allzu zaghafte Ausbau erneuerbarer Energie in den letzten Jahrzehnten rächt sich nun. Die berechtigte Furcht vor einem Gasstopp Russlands im nächsten Winter hat dazu geführt, dass Europa unerwartet Ausschau nach neuen und alten fossilen Quellen halten musste. So werden ehemalige Kohlekraftwerke wieder in Betrieb genommen und Gaslieferanten in Norwegen, den USA und in Ländern von Nordafrika und im Mittleren Osten unter Vertrag genommen. Die EU sieht diese Investitionen nur als vorübergehend – und die Klimaziele für 2030 seien nicht tangiert. Sie plant, die Kapazität der Solarenergie bis 2030 zu verdoppeln, bis 2030 sollen 45 Prozent des Energieverbrauchs durch Erneuerbare gedeckt werden. Die deutsche Regierung hält zudem am Termin fest, bis 2030 aus der Kohle auszusteigen. Dennoch: Es werden Milliarden in neue fossile Infrastruktur investiert. Kommt hinzu, dass China und Australien nach neuen Kohlenminen Ausschau halten, wie Reuters und Bloomberg berichten.
Anstieg Subventionen für fossile Energie
Die Vertragsstaaten haben in Glasgow nicht nur den Ausstieg aus der Kohlenenergie beschlossen, sondern sich auch gegen die Subventionspolitik für fossile Energie ausgesprochen. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Die Subventionen haben sich von 2020 auf 2021 verdoppelt, wie ein Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigt. Die Subventionen für Kohle, Erdöl und Erdgas betrugen weltweit im letzten Jahr wegen der hohen Energiepreise knapp 700 Milliarden Dollar. Auch in diesem Jahr werden sie hoch bleiben, weil der Ukraine-Krieg viele Regierungen zwingt, die Energiepreise durch Subventionen tief zu halten.

Fehlende Klimagelder
Eine der ganz grossen Enttäuschungen in Glasgow war, dass es die Industriestaaten nicht fertiggebracht hatten, die versprochenen Klimagelder zu mobilisieren: Von 2020 bis 2025 sollten jährlich 100 Milliarden Dollar bereitstehen für den Klimaschutz in Entwicklungsländern. In Glasgow zeigte sich, dass dieses Ziel nicht erreicht wurde. Bis 2025 soll das nachgeholt werden. Derzeit fehlen immer noch etwa 17 Milliarden, wie ein OECD-Bericht dokumentiert. Das schwächt das Vertrauen der armen Staaten in die Industrieländer.
Hoffnungsvolles Methan-Projekt
Die Klimakonferenz in Glasgow war auch ein Jahrmarkt der Ankündigungen, die nicht unmittelbar mit den politischen Verhandlungen zu tun hatten. Schlagzeilen machte eine Deklaration von 103 Staaten, welche die Methanemissionen bis 2030 um 30 Prozent unter das Niveau von 2020 senken wollen. Das würde kurzfristig enorm helfen, weil Methan, das in der Gasindustrie und in der Landwirtschaft verursacht wird, ein viel stärkeres Treibhausgas ist als CO₂, allerdings in geringeren Mengen vorkommt und nur etwa zehn Jahre in der Atmosphäre verbleibt. Die Methankonzentration steigt wie das CO₂ gemäss den Daten des europäischen Umweltmonitoring-Services Copernicus kontinuierlich. Die USA und China gehören zu den Aushängeschildern der Deklaration. Ein grosser Fortschritt ist gemäss World Resources Institute nicht zu sehen, zumal eine Kooperation zwischen den USA und China wegen des Taiwan-Konflikts derzeit schwierig ist.
Stopp der Abholzung

Eine andere Deklaration stand in Glasgow ebenfalls im Fokus. 140 Staaten setzten sich zum Ziel, die weltweite Abholzung und Landverwüstung bis 2030 zu stoppen. Mit dabei war auch eine Gruppe der weltweit grössten Unternehmen im Landwirtschaftssektor. Zwölf Regierungen versprachen, 12 Milliarden in den nächsten fünf Jahren zu investieren. An der diesjährigen Klimakonferenz in Sharm al-Sheikh soll der Fahrplan vorgestellt werden. Alle beteiligten Länder, darunter die Schweiz, repräsentieren zusammen 85 Prozent der globalen Waldfläche. Weil Wälder, allen voran die tropischen, viel CO₂ binden, ist der Schutz vor Abholzung ein wichtiger Faktor für den Klimaschutz. Jedes Jahr gehen Millionen Hektaren, vor allem in Brasilien, verloren. Um das Ziel der Deklaration zu erreichen, müsse die Abholzung jedes Jahr kontinuierlich sinken, schreibt das World Resources Institute. Das sei in den Tropen bis jetzt noch nicht der Fall. Ausnahmen seien die Regenwälder in Indonesien und Malaysia, wo der Verlust an Primärwald von Jahr zu Jahr sinke.
Boom der Elektroautos
Mehr als hundert Staaten, Städte und Unternehmen unterschrieben in Glasgow eine Deklaration, bis 2035 in führenden Märkten den Verkauf von Verbrennungsmotoren zu beenden. Wie realistisch dieses Ziel ist, lässt sich heute noch nicht abschätzen. Allerdings haben mehr als ein Dutzend Autohersteller, vor allem in Europa, angekündigt, innerhalb der nächsten zehn Jahre nur noch Elektroautos zu verkaufen. Die USA will in den nächsten Jahren Milliarden in die Förderung von Elektroautos und den Aufbau der Ladeinfrastruktur investieren.
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