Grosses Jubiläumskonzert von Gölä im HallenstadionDer reinste Schwansinn
Die anhaltende Gölä-Begeisterung ist nichts anderes als die Rache der Provinz an den blasierten Städtern. In Zürich sang der Berner Büezer-Barde gemeinsam mit 10’000 Fans Loblieder auf sich selbst.
Jetzt sind sie alle da, die «abartig geile Fans», wie ihr Idol sie nennt. 10’000 Gölä-Anhängerinnen und -Anhänger jeden Alters, Kinder auch, die Mehrzahl aber zwischen vierzig und sechzig Jahre. Frauen mit hennarotem, dauergewelltem Haar, ergraute Männer mit farbigen Brillengestellen. Kaum Lederjacken, kaum Lederleggings. Dafür Fleecepullover und Mom-Jeans. Freundliche Menschen, anständig gekleidet. Abartig? Ach wo. Dieses Publikum ist so spektakulär wie das von Gewerbeausstellungen.
Gölä, 57, laut Veranstalter der «erfolgreichste Schweizer Rockstar», hat ins Zürcher Hallenstadion geladen, um ein Vierteljahrhundert Bühnenkarriere und seine Community zu feiern. Die Halle ist an zwei Abenden ausverkauft, das muss ihm einer aus der hiesigen Rockbranche erst mal gleichtun. Zweieinhalb Stunden Show mit den besten Songs sind versprochen. Keine Experimente! Kein Risiko! Nur Hits!
Er hat sich wieder mal für ein schwarzes, ärmelloses T-Shirt entschieden. Ja, die Bauarbeiter-Bizeps sind noch da. Der Bauch allerdings deutlich runder als auch schon. Auf Göläs Kopf unverändert dieser fürchterliche Irokesen-Kurzschnitt; davon wird er sich wohl nie trennen. Es gibt eine Art Wunschkonzert heute Abend: Vor dem Konzert konnten die Fans online abstimmen, welche der Lieder sie unbedingt hören möchten. Das Ergebnis war absehbar – Gölä-Fans sind ebenso wenig experimentierfreudig wie Gölä selbst.
«Gib nid uf», «Keini Träne meh», «Büezer»: Die alten Songs, die meisten vom Debütalbum «Uf u dervo» (1998), rollen mit der Souplesse von 40-Tönnern in die Halle. Die Band spielt breit und mit viel Druck, das Publikum singt von Anfang an mit, und zwar mit einer Textsicherheit, als wären Göläs Hits seit langem schon Teil des Lehrplans; im Kanton Bern zumindest. Der Mann, der immer wieder «Geili Sieche!» ins Publikum ruft, manchmal auch «I liäb öich», und eigentlich Marco Pfeuti heisst, hat sich nie Illusionen gemacht. «Ich bin kein Künstler, ich bin ein Dienstleister», sagte er schon mehrfach. Und heute Abend liefert er ab.
«Ohni Di», «Indianer», «Tu tuesch mehr guet» – ob ganz am Anfang der Karriere geschrieben oder in den vergangenen Jahren: In diesen Songs triumphiert Pathos über Poesie und Kraft über Subtilität. Und während man verzweifelt versucht, doch irgendwelche Ironie zu entdecken, wo es Ironie nicht geben kann, trinkt der Gölä-Fan im Hallenstadion bereits sein drittes Bier.
Moment. Wieso heisst es 25-Jahr-Jubiläum? «Uf u dervo», das bis heute meistverkaufte Mundartrockalbum überhaupt, ist doch schon 27 Jahre her? Und die ersten grossen Bühnenauftritte ebenso. Nach Päpsten und Königen ist Gölä der erste Büezer, der sich eine eigene Zeitrechnung leistet.
Das alte Lied
Gölä, dieser sperrige und kantige Brocken, kann durchaus charmant sein, sehr sogar. Er macht dem Publikum Komplimente, bedankt sich für die Treue, spricht von der «grossä Familie». Gleichzeitig teilt er Seitenhiebe aus gegen die «linggi Kulturszene» und witzelt müde darüber, dass er, der Berner, hier in Zürich auftrete.
Das alte Lied. Göläs phänomenale Karriere war und ist offenbar unverändert eine Art Rache der Provinz an den angeblich blasierten Städtern. Überhaupt: Gute Rockmusik kommt vom Land, denken sich Schollenmenschen wie Gölä («In der Provinz ist man ständig am Üben, weil sonst nichts los ist»). Mit den Texten seiner Songs erklärt er allen berndeutsch und deutlich, wie Verlachte und Verlierer am Ende doch triumphieren («Schwan», 1998); wer in diesem Land wirklich den Laden schmeisst («Büezer», 1998); und dass Städte wie Zürich von «Penner u Haubschueh» und «fuule Arschbacke» («I wärche hert», 2016) bevölkert sind.
Aber gut, es ist eben der Abend der Gölä-Gemeinde. Das muss man nun aushalten.
Alle paar Songs stoppt die Band, in kurzen Einschüben erzählt Gölä aus seiner Karriere. Der Screen hinter der Bühne zeigt Fotos, manche vergilbt, andere in Schwarzweiss: Gölä mit DJ Bobo, mit Polo Hofer, mit Peter Maffay. Und Gölä mit den Bellamy Brothers, dem US-amerikanischen Country-Duo.
Keine Erwähnung finden die Jahre, in denen Gölä es so satthatte, Gölä zu sein. Fans mit einem guten Gedächtnis erinnern sich: 2004 schockte Gölä seine Community mit dem Entschluss, nie mehr Mundart, sondern fortan nur Englisch zu singen. Dieser versuchte Ausbruch aus seiner Rolle als Berner Büezer-Rocker floppte schnell. Niemand hatte auf einen englisch singenden Marco Pfeuti gewartet. Und Gölä-Fans wollten sich das ohnehin nicht antun. Diese Leute sind eben nicht nur eine grosse Familie, sondern haben auch eine sehr genaue Vorstellung davon, was sie von ihrem Idol hören wollen.
Man sieht sich garantiert wieder
Im Gegensatz zum Ausflug ins Fremdsprachliche haben Gölä die rechtspopulistischen Töne, in die er immer wieder verfiel, augenscheinlich nicht geschadet. Was hat der Mann nicht alles abgesondert: Die Schweiz sei überbevölkert. Das Land benötige einen Einwanderungsstopp. Ebenso die Todesstrafe. Und für alle müsse das Recht auf eine Waffe eingeführt werden.
Glaubt er das wirklich? Schwer zu sagen. Wenn man mit Pfeuti spricht oder sich ein für einmal gut geführtes Interview mit ihm anhört, gewinnt man eigentlich den Eindruck, er sei im Grunde viel zu differenziert und zu intelligent für diese Sprüche.
Das alles interessiert hier niemanden. Gölä und Band lassen sich zur Zugabe herausklatschen, es ist klar, was nun kommen muss: «Schwan». Von der ersten Strophe an singt das Publikum mit. Gölä selbst hat mehrmals schon gebeichtet, dass er seinen grössten Hit eigentlich nicht mehr hören könne und noch weniger singen. Aber er macht es gut heute, man merkt ihm das nicht an. Der Chor der zehntausend erreicht beim Refrain beinahe die Lautstärke einer Gospeltruppe, Wahnsinn: «Ä Schwan, so wiss wie Schnee / Vrgässe, was isch gscheh, jeeh / U d’Flüguu trage sie so wit / Wius keni Gränze meh git». Schweizer Volksgut.
Es ist schon spät. Der Dienstleister will pünktlich schliessen. Deshalb noch «I hätt no viu blöder ta» – und dann ist Schluss.
Geili Sieche! Tschou zäme! I liäb öich!
Man sieht sich wieder, garantiert. Spätestens zum 30-Bühnenjahre-Jubiläum. Wann genau das immer sein wird.
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