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Glukosesensor im Test
Abnehmen und fitter werden dank Blutzuckertracker?

Beautiful diabetic woman preparing for outdoor workout in the city. Young woman with insulin pump and cgm, checking her blood sugar level before exercising. Concept of exercise and diabetes.
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Ich bin kein Diabetiker. Ich habe auch keine erbliche Veranlagung für Diabetes, und mein Zuckerproblem besteht, Gott sei Dank, hauptsächlich aus Schokolade, Weisswein, Buttercroissants und Kokos-Chips. Dennoch sind die Folgen schwerwiegend. Rund sechs Kilos Übergewicht.

Hinzu kommen diese Müdigkeitsanfälle und Energieeinbrüche. Diese «Ich könnte jetzt sofort einschlafen»-Momente, vor allem während Sitzungen. Unter Stressgefühlen und Konzentrationsschwächen leide ich hauptsächlich vormittags.

(Lesen Sie hier das Experteninterview zum Selbsttest: «Wir erleben einen Glukose-Hype»)

Gegen diese Zumutungen der reifen Jahre und die Deformationen des Bürolebens gibt es nun Abhilfe – sofern man dem heissesten Gesundheitstrend glauben mag. Den Blutzucker in Echtzeit zu überwachen und zu «balancen», neudeutsch für ausgleichen: Das soll der Schlüssel zu Gesundheit und Wohlbefinden sein, so das Versprechen von Angeboten wie Hello Inside oder Millionfriends.

Bilder von der Montage von einem Glukose-Tracker im Tages-Anzeiger Gebäude. 17.10.23 

Kann ich mit einem Glukose-Tracker abnehmen?

Glukose-Tracking, Gehirndoping, Kältekammer – neueste Gesundheitstrends versprechen, unser Leben zu optimieren. Doch wie effektiv sind sie wirklich? Und wer in der Schweiz bietet diese innovativen Therapien an?

Sportler tun es, Prominente und Influencer. Und ich? Ich habe es 14 Tage lang getan.

Für 99.90 Franken liefert Hello Inside (Slogan: «Niemand kennt deinen Körper besser als du selbst») ein Glukose-Starter-Paket nach Hause, derzeit das günstigste Angebot auf dem hiesigen Markt. Es besteht aus einem Sensor in Form eines Knopfes, Durchmesser: rund zwei Zentimeter, und einer Glukose-App fürs Smartphone. Die App ist übersichtlich, sie zeigt den Glukosespiegel, enthält ein Ernährungstagebuch und bietet poppig gestaltete Informationen rund ums Zeitgeistthema Blutzucker und Gesundheit an. Als etwas befremdlich empfinde ich die esoterische Tonalität der Texte («der Sensor ist das Fenster zu deinem Körper») – aber anderen Leuten mag das gefallen.

Den Sensor klebe ich mir mithilfe eines grauen Applikators an die Rückseite des Oberarms. Dabei dringt eine haarfeine, eineinhalb Zentimeter lange Nadel ins Gewebe ein. Das klingt entsetzlich. Es ist aber kaum zu spüren.

Was unbedingt zu vermeiden ist: die Blutzucker-Achterbahn.

Es ist 11 Uhr vormittags, das Frühstück verdaut, die App zeigt den ersten Messwert für meinen Blutzuckerspiegel an: 6,2 Millimol pro Liter (mmol/l). Die Schrift ist grün, alles okay.

Was ich von den Tutorials in der App gelernt habe: Ziel ist es, möglichst ausgeglichene Werte zu erreichen, eine Linie flach wie der Horizont am Meer. Unbedingt zu vermeiden: die Blutzucker-Achterbahn. Wilde Ausschläge der Werte nach unten und oben sollen dafür verantwortlich sein, wovon ich mich verabschieden will: Müdigkeitsanfälle, Energieeinbrüche, Stimmungsschwankungen.

Bilder von der Montage von einem Glukose-Tracker im Tages-Anzeiger Gebäude. 17.10.23 

Kann ich mit einem Glukose-Tracker abnehmen?

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Wer Gewicht verlieren will, muss seinen Blutzuckerspiegel konstant niedrig halten. Grund: Bei einem Anstieg des Zuckerspiegels durch kohlenhydrat- oder zuckerreiche Nahrung wird überschüssige Energie durch das Insulin abtransportiert, in der Leber und in Fettzellen gespeichert. Pech allerdings, dass alles, was wirklich schmeckt – Süssgetränke, Weissbrot, Pasta, Kuchen, Chips –, die Werte steil nach oben schiessen lässt.

Um 13.45 Uhr öffne ich zum zweiten Mal die App. Ich sehe eine Kurve, die nach oben zeigt, auf ein Maximum von 8,2 mmol/l. Für den Gipfelwert verantwortlich: eine Portion Fettuccine Amatriciana mit Pecorino-Käse beim Italiener, der Businesslunch mit einer Kollegin.

Dieses Tracking ist etwas für Menschen mit grosser Selbstdisziplin.

So geht das die nächsten Tage. Meine Glukosekurve steigt. Meine Kurve sinkt. Schön flach ist sie selten. Jetzt verstehe ich, wieso es heisst: Das Leben ist eine Achterbahn.

Die App fordert mich fortwährend auf, die Mahlzeiten zu notieren, Hochs und Tiefs zu kommentieren. Habe ich genascht? Trieb ich Sport? Leistete ich mir ein Nickerchen? Das Protokollieren ist aufwendig, auf die Dauer lästig – man muss schon sehr motiviert sein, um dies 14 Tage lang durchzuhalten. Aber ohne diese Informationen sind die Glukosewerte nicht aussagekräftig. 

Das Programm will mit spielerischen Elementen motivieren. Ein «Tagesscore» zeigt auf einer Skala von null bis hundert an, wie gut ich den Blutzuckerspiegel balanciere. Ab einem Wert von 80 darf man mit sich zufrieden sein. Am 3. Oktober erreiche ich sagenhafte 89 Punkte. Fünf Tage später dann der beschämende Tiefstwert: 52 Punkte – das Ergebnis einer ausgelassenen Feier mit Freunden. Meine Blutzucker-App gibt dazu den Ratschlag: «Mach einen kleinen Spaziergang nach dem Essen.»

Das Leben ist eine Blutzucker-Achterbahn: Glukosewerte im Tagesverlauf, aufgezeichnet von einer App.

Ach, ja?

Geheimtipps kann man diese Vorschläge der App nicht nennen, aber mit dem Sensor am Arm finde ich heraus, ob und in welchen Mass mein Stoffwechsel auf solche Glukosehacks reagiert.

Tatsächlich sinken die Messdaten, wenn ich über Mittag eine halbe Stunde spazieren gehe, um bis zu 2,5 mmol/l. Es scheint sogar, als könne nur schon Arbeiten am Stehpult statt Arbeiten im Sitzen die Werte leicht nach unten bewegen. Ebenfalls bestätigt mein Sensor den populären Glukosehack, dass Gemüse als erster Gang vor der Hauptmahlzeit die Blutzuckerkurve glättet. Schliesslich vergleiche ich, wie mein Blutzuckerspiegel reagiert, wenn ich meinen Kaffee mit Hafermilch trinke statt mit Kuhmilch: mit leicht höheren Werten. In der Hafermilch stecken mehr Kohlenhydrate drin. 

Nach einer Woche belohnt mich die App regelmässig mit Tagesscores über siebzig Punkten, meine Glukosekurve ist zwar noch lange nicht flach, allerdings etwas ausgeglichener. Habe ich mich deshalb besser gefühlt? Schwierig zu sagen. Ich war fit in diesen Tagen, zweifellos, und meist guter Laune – wegen des etwas harmonischeren Blutzuckerspiegels? Oder wegen des tollen Herbstwetters?

Das Fazit nach 14 Testtagen:

  • Dieses Biohacking ist ziemlich anspruchsvoll. Glukosetracking ist etwas ganz anderes, als mit einer App seinen Schlaf oder seine Bewegung aufzuzeichnen. Es ist ungleich anspruchsvoller. Man muss sein Essverhalten kontrollieren und protokollieren, das verlangt viel Engagement und grosse Selbstdisziplin. 

  • Ja, ich habe einiges gelernt. Über meinen Zuckerstoffwechsel, über Glukosetricks und den glykämischen Index. Mit dem Sensor am Arm hat dies aber wenig zu tun. Dieses Wissen habe ich mir erworben durch die gut gemachten Tutorials in der App.

  • Bei der Interpretation der Blutzuckerwerte stösst der Laie schnell an Grenzen. Hello Inside bietet Beratungen durch Fachleute an, gegen zusätzliche Bezahlung.

  • Glukosetracking ist offensichtlich ein attraktives Small-Talk-Thema. Die Leute hören einem endlich mal zu.

  • Der Sensor kann sich frühzeitig lösen. Zumindest passierte mir das unter der Dusche. Ich musste mir ein Ersatzgerät besorgen. Kostenpunkt: rund 70 Franken. 

  • Mein Gewicht? Wie man es sich vielleicht denken kann: Ich habe kein Gewicht verloren. (Allerdings verzichtete ich auch nicht auf die Schokolade.)

  • Und dann gibt es auch Dinge, die sind noch schwieriger zu ändern als die eigenen Essgewohnheiten. Ganz offensichtlich tut zu viel Arbeit und akuter Stress meinem Blutzuckerspiegel keinen Gefallen. Eine Kündigung ist allerdings derzeit keine Option.