EM 2021: AchtelfinalTschechien wirft ideenlose Niederländer raus
Nach dem Platzverweis gegen De Ligt geht beim Favoriten gar nichts mehr. Tschechien gewinnt 2:0 und steht im Viertelfinal.
Oh weh, Oranje! Nach einem Rot-Schock ist der vage Titeltraum der Niederlande bei der EM gegen Patrik Schicks Tschechen schon im Achtelfinal zerplatzt. Die ideenlose Mannschaft um Captain Georginio Wijnaldum scheiterte nach 35-minütiger Unterzahl in Budapest an ihrem Angstgegner.
Tomas Holes (68.) und Schick (80.) mit seinem vierten Endrundentreffer schossen den leidenschaftlich kämpfenden Aussenseiter zum ersten Mal seit 2012 wieder in den Viertelfinal, wo am Samstag in Baku Dänemark wartet. In der 55. Minute hatte der niederländische Abwehrchef Matthijs de Ligt nach Videobeweis Rot gesehen. Bezeichnend: Erstmals seit 1980 hat Oranje an einer WM oder EM keinen Schuss direkt aufs Tor abgegeben.
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«Mir fehlen die Worte. Ich bin stolz auf die Mannschaft, wir sind verdient im Viertelfinal», sagte Hoffenheims Pavel Kaderabek. Und Torschütze Holes sagte: «Das Gefühl ist unwirklich. Die Niederlande 2:0 vor vollem Haus und vielen eigenen Fans zu schlagen, ist klasse. Wir waren unangenehm, haben ihnen keinen Platz gelassen.»
Wijnaldum hingegen konnte das Aus nicht fassen. «Das tut sehr weh, es ist schwer zu verkraften. Wir hatten einen kompletten Offday. Nach der Roten Karte waren wir recht machtlos. Es ist ein sehr komisches Gefühl, weil ich den Eindruck hatte, dass wir im Turnier gewachsen sind», sagte er.
Zeichen gegen Ausgrenzung
Zum Abschluss der Co-Gastgeberrolle von Budapest stand zunächst die Diskussion um Vielfalt und sexuelle Gleichberechtigung im Fokus. Ungarns Verband hatte im Vorfeld die heimischen Fans zu Fairness aufgerufen. Verbandschef Sandor Csanyi bat die Zuschauer darum, die Nationalhymnen der jeweiligen Mannschaften nicht auszubuhen und «jegliche ausgrenzenden (rassistischen, homophoben, chauvinistischen) Äusserungen zu unterlassen».
Zuletzt waren ungarische Anhänger mit rassistischen Äusserungen gegen Frankreichs Kylian Mbappé aufgefallen. Zudem hatte die Uefa wegen des Verdachts «diskriminierender Vorfälle» beim letzten EM-Gruppenspiel der Deutschen gegen Ungarn ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Dabei ging es unter anderem um «homophobe Sprechchöre».
Passend dazu trug der niederländische Captain Wijnaldum eine spezielle Armbinde mit der Aufschrift «One Love», womit die Mannschaft und er ein Zeichen gegen Ausgrenzung setzen wollten. Sponsoren unterlegten im Stadion ihre Bandenwerbung mit den Regenbogenfarben, zahlreiche der 52'834 Zuschauer hatten Utensilien wie Fächer, Fähnchen oder Masken in Regenbogenfarben dabei.
Tschechien hält körperlich dagegen
Die Tschechen, die wegen einer technischen Panne an ihrem Flugzeug erst verspätet angereist waren, mussten ohne ihren Captain Vladimir Darida auskommen. Der Mittelfeldspieler hatte sich im Training eine nicht näher genannte Verletzung zugezogen und wurde durch Tomas Soucek vertreten.
Dennoch war der nominelle Aussenseiter lange ein ebenbürtiger Kontrahent für die höher eingestuften Niederländer. Spielerisch agierte Oranje bieder, mit zu wenig Tempo und zu wenig Pässen in die Tiefe. Die Tschechen hielten körperlich gut dagegen und hatten durch Ersatzkapitän Soucek (22.) und Schick (28.) die ersten nennenswerten Chancen. Zudem stand die Abwehr sicher und stoppte die spielbegabten Memphis Depay und Co. mit grossem Einsatz. Antonin Barak (38.) hatte gar die Halbzeitführung für die Tschechen auf dem Fuss, doch De Ligt vereitelte die Möglichkeit in höchster Not.
Der Profi von Juventus musste dann in der 55. Minute vom Platz, weil er als letzter Mann gegen Schick den Ball mit der Hand gespielt und so eine Torchance verhindert hatte. Referees Sergej Karasew zeigte Rot nach Videobeweis.
Drei Minuten zuvor hätte die Niederlande in Führung gehen können nach einem sehenswerten Angriff von Depay und Donyell Malen. Doch Tschechiens Keeper Tomas Vaclik liess sich nicht düpieren. Auf der anderen Seite blieb ein Schuss von Pavel Kaderabek (64.) am Fuss von Denzel Dumfries hängen.
Dann aber nutzten die Tschechen ihre Überzahl zur Führung. Einen Freistoss von Barak legte Tomas Kalas per Kopf auf Tomas Holes vor, der wuchtig einköpfte (68.). Als Reaktion darauf verstärkte Bondscoach Frank de Boer die Offensive und brachte den Wolfsburger Wout Weghorst. Doch statt Weghorst war es Tschechiens Schick, der nach einem Konter zum 2:0 traf (80.) und mit seinem vierten EM-Tor das Aus der Favoriten besiegelte.
13'
Wieder haben die Tschechen Abstimmungsprobleme. Vaclik eilt in bester Manuel-Neuer-Manier aus dem Tor, wird dann aber einfach überlaufen. Kalas kann gegen Dumfries gerade noch klären.
10'
Ganz sattelfest wirken die Tschechen noch nicht in der Abwehr. Es gibt den nächsten Corner nach einem Vorstoss von Depay, doch Schick klärt. Hm, Schick, der Name schreit halt schon nach Wortspielen. Aber lassen wir das. Oder verschieben es auf später.
8'
Diesmal kommt Malen über rechts und provoziert einen Corner. Kurz ausgeführt, schnell geflankt – und schon wirds gefährlich. Allerdings stand de Ligt vor seinem Kopfball im Abseits.
Lautstarke Fans
Die Niederländer haben eine stattliche Anzahl Fans mitgebracht. Und die machen mächtig Stimmung. Dass sie das können, wissen wir ja nicht erst seit der EM 2008, als sie Bern einnahmen.
2'
Auf der Gegenseite versuchts Holes aus der Distanz. Hat ja bei einem Kollegen schon einmal geklappt, denkt er sich. Klappt bei ihm aber nicht. Vielleicht zieht er das nächste Mal ja aus 45 Metern ab.
1'
Die Niederländer lancieren den ersten Angriff über die linke Seite. Und hätte Malen seine Flanke etwas genauer adressiert, hätte Dumfries eine Topchance gehabt.
Spielbeginn
So, die Spieler sind bereit, die Schiedsrichter sind bereit, die Fans sind bereit – und vor allem wir sind bereit. Auf ein gutes Spiel. Los gehts!
Gänsehaut
Und ja, wir geben es zu, wenn ein Stadion die Hymne mitsingt wie nun bei den Niederländern, dann ist das schon ein schöner Moment. Ein Gänsehaut-Moment.
Die Teams sind da
Die Spieler sind eben eingelaufen, in wenigen Minuten gehts los. Zuerst gibts aber noch die Hymnen.
Die rasenden Holländer
Die Niederlanden haben heute übrigens schon einen grossen Sieg gefeiert. Max Verstappen hat Rekordweltmeister Lewis Hamilton beim Formel-1-GP in Spielberg bezwungen. Falls Sie also schon vor dem Anpfiff auf der Suche nach orangen Glücksgefühlen sind, dann sei Ihnen dieser Artikel empfohlen: Verstappen führt Hamilton vor, die Schweizer tappen in eine Falle.
Hoppla, wir wollen Ihnen ja keine Erfolgsmeldungen unterschlagen. An der Tour de France kommt der Sieger der zweiten Etappe ebenfalls aus den Niederlanden und heisst Mathieu van der Poel. Und während Verstappen die Formel-1-WM anführt, trägt sein Landsmann nun das Maillot jaune. Holländer sollte man sein.
Der Schiedsrichter
Das Spiel leitet der Russe Sergej Karasew.
Aufstellung Tschechien
Tschechien hält mit dieser Startformation dagegen. Was auffällt: Captain Vladimir Darida fehlt. Der Mittelfeldspieler von Hertha BSC hatte sich im Training eine Verletzung zugezogen, Details nannte der Verband nicht. Er wird von Antonin Barak ersetzt, Tomas Soucek übernimmt die Binde.
Aufstellung Niederlande
So, schauen wir, welche elf Spieler Frank de Boer aufs Feld schickt:
Volles Haus und Affenlaute
Wie wir eingangs gelernt haben, findet der Match in Budapest statt. Das ist jener Spielort, von dem uns schon zu Turnierbeginn Bilder erreichten, an die wir uns zuerst wieder gewöhnen mussten. 55'000 Zuschauer füllen jeweils die Puskas-Arena und sorgen für eine Stimmung, wie wir sie aus früheren Zeiten kennen, als die Pandemie noch weit weg war. Einheimische, die ins Stadion wollen, müssen übrigens geimpft sein oder in den letzten drei Monaten nachweislich eine Covid-19-Erkrankung überstanden haben. Ausländische Fans müssen einen negativen PCR-Test vorlegen, der nicht älter als 72 Stunden ist.
Budapest ist aber auch der Spielort mit den unflätigen Fans. Frankreichs Kylian Mbappé war zuletzt von den Rängen mit Affenlauten rassistisch beleidigt worden. «Wenn es wieder passiert, muss die Uefa eingreifen«, sagt Wijnaldum zu diesem Thema. Der dreifache Turniertorschütze wird mit dem Schriftzug «One Love» auf seiner Captainbinde auflaufen, um ein Zeichen gegen Diskriminierung und Ausgrenzung zu setzen.
Und so sieht das heute aus:
Und die Niederländer?
Über die Niederländer haben wir noch gar nicht gross gesprochen. Sie haben natürlich prominente Namen im Team, sie heissen de Jong, de Ligt, Depay, Wijnaldum. Eine überraschend auffällige EM spielt bisher aber ein anderer: Denzel Dumfries. Der Aussenverteidiger von PSV Eindhoven macht über rechts mächtig Dampf, schoss in der Gruppenphase häufiger aufs Tor als Stürmer wie Serge Gnabry, Harry Kane oder Antoine Griezmann und traf zweimal – einmal beim Auftakt gegen die Ukraine, einmal gegen Österreich.
Das sagen die Trainer
Frank de Boer tut, was man als Trainer des Favoriten halt so tut: Er redet den Gegner stark. Wobei er natürlich recht hat, wenn er sagt: «Tschechien ist eine Einheit, sie wissen, was sie wollen. Sie sind nicht schüchtern, sie halten sich nicht zurück. Traditionell ist es immer schwer gegen sie.»
Sein tschechischer Amtskollege Jaroslav Silhavy glaubt: «Wenn wir wie im Spiel gegen Schottland, als Vaclik und Schick brilliert haben, individuell einen guten Tag erwischen, haben wir eine gute Chance zu gewinnen.»
Der Goalie mit FCB-Vergangenheit
Natürlich gibt es bei den Tschechen noch andere Schlüsselspieler als Schick. Einer davon ist Tomas Vaclik, der Goalie. Er spielte einst vier Jahre beim FC Basel und dürfte den FCB-Fans als sicherer Rückhalt in Erinnerung geblieben sein. Aktuell ist er noch beim FC Sevilla angestellt, doch der Vertrag des 32-Jährigen läuft Ende Monat aus, der Abschied ist besiegelt. Einen neuen Club hat Vaclik noch nicht.
Schick, Schick, Schick
Was wissen wir eigentlich über die Tschechen? Genau: Patrik Schick. Der Stürmer von Bayer Leverkusen hat der EM ein frühes Highlight beschert, als er gegen Schottland aus rund 50 Metern traf. Oranje-Coach Frank de Boer sagt über diesen Geniestreich: «Schick hat vielleicht das schönste Tor des Turniers erzielt. Ich glaube nicht, dass das irgendwer noch schlagen wird.»
Schick hat übrigens noch zwei weitere Treffer geschossen – und ist damit für sämtliche tschechischen Tore an dieser Euro verantwortlich.
Die Rollen: wirklich klar verteilt?
Zu dieser scheinbar klaren Ausgangslage sollte man wissen: Die Tschechen spielen gegen keine grosse Fussballnation lieber als gegen die Niederlande. Sagt zumindest die Statistik. Von bisher elf Duellen gewannen sie fünf, bei nur drei Niederlagen. Der letzte Vergleich liegt ein Weilchen zurück, im Oktober 2015 siegten die Tschechen in der EM-Qualifikation 3:2.
An einer EM begegneten sich die beiden Nationen bisher zweimal. 2000 entschieden die Niederlande das Gruppenspiel 1:0 für sich, vier Jahre später gabs, ebenfalls in der Gruppenphase, ein 3:2 für Tschechien.
Die Rollen: klar verteilt
Führen wir uns das jeweilige Personal und die Auftritte in der Vorrunde vor Augen, sind die Rollen klar verteilt. Hier die Niederlande, die die Gruppe C mit dem Punktemaximum und den meisten Toren (8) aller EM-Teilnehmer auf Platz 1 beendet haben, dort Tschechien, das sich in der Gruppe D als Dritter hinter England und Kroatien für den Achtelfinal qualifiziert hat.
dpa
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