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Umfrage zu Minderheiten-Anliegen
Gewinnt man mit Woke-Debatten Wählerinnen und Wähler?

SVP-Politiker finden das «Wahnsinn»: Dragqueen Tralala Lita liest in Martigny aus Jugendbüchern vor.
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SVP-Programmchefin Esther Friedli hat das Thema auf die politische Bühne gehievt. In einem Interview mit dieser Redaktion sagte sie der Gender- und Woke-Kultur den Kampf an. Eine kleine Minderheit, die für sich in Anspruch nehme, auf der moralisch richtigen Seite zu stehen, und die ihre Gefühle verletzt sehe, wolle einer Mehrheit ihre Meinung aufzwingen, so Friedli: «Das ist doch Wahnsinn.» Tatsächlich holt die SVP mit diesem neuen Punkt in ihrem Parteiprogramm, der sich diesem «Gender-Terror» widmet, viele Leute ab, insbesondere wenn es um konkrete Ereignisse geht. (Lesen Sie dazu das Interview mit SP-Co-Chefin Mattea Meyer: «Die SVP würde die Frauen am liebsten zurück an den Herd schicken»)

Das bestätigt eine bisher noch unveröffentlichte, repräsentative Onlineumfrage von Marketagent Schweiz. So äusserten 62 Prozent der Befragten beispielsweise grosses Unverständnis darüber, dass die Migros 2020 die Dubler-Mohrenköpfe aus ihrem Sortiment nahm, weil sich der Hersteller geweigert hatte, sie umzubenennen. Ebenfalls auf grosses Kopfschütteln stiess der Entscheid eines Online-Detailhändlers, das Kartenspiel Schwarzer Peter wegen des Schürens von rassistischen Vorurteilen aus dem Sortiment zu nehmen – nur gerade 24 Prozent der Befragten begrüssten diese Massnahme.

Schweizerinnen und Schweizer haben andere Sorgen

Müssten die Leute jedoch «Woke» definieren, seien sie oft am Berg, so die Studie. Dieses Bild ändere sich, wenn man ihnen erkläre, was die Ziele der Woke-Bewegung seien. Das Wort stammt aus dem afroamerikanischen Slang und ist eigentlich eine grammatikalisch falsch benutze Vergangenheitsform von  «awake», also wach. Verwendet wird der Begriff heute umgangssprachlich vor allem für die Aufmerksamkeit und die Feinfühligkeit gegenüber Menschen von Minderheiten und Momenten von Diskriminierungen. Im Fokus der Wokeness-Bewegung stehen vor allem Themen wie Rassismus, Sexismus und ähnliche Diskriminierungen. Der Begriff «woke» wurde in den letzten Jahren vor allem durch Social Media verbreitet und geprägt.

38 Prozent glauben laut der Umfrage, dass Massnahmen und Forderungen der Woke-Bewegung kontraproduktiv seien, 17 erachten sie als wirkungslos. Nur gerade 37 Prozent sind der Ansicht, sie würden dem Kampf gegen Rassendiskriminnierung nützen. Ein Viertel der Befragten ist sogar «genervt» von dieser Bewegung. Etwa als in Bern und Zürich Konzerte abgesagt wurden, weil weisse Musiker mit Rastafrisuren auf die Bühne kamen – 73 Prozent beurteilen die Absagen als falsch.

Im Alltag befassen sich die meisten wenig mit Anliegen von Minderheiten – trotzdem sorgen Zeitungsberichte über die Woke-Bewegung für hochgehende Emotionen. Menschen an der Pride in Zürich.

Ohne Zweifel enervierten sich viele Leute, wenn sie davon in der Zeitung lesen, analysiert Politologe Michael Hermann: «Aber im Alltag spielt das alles kaum eine Rolle – die wenigsten müssen den Genderstern anwenden oder werden wegen der Frisur geächtet.» Das sei deshalb ein «Knallkörperthema»: Es mache zwar viel Lärm, entwickle dennoch wenig politische Sprengkraft. Schweizerinnen und Schweizer beschäftigen laut dem jüngsten Sorgenbarometer tatsächlich vielmehr der Klimawandel (39 Prozent), die Altersvorsorge (35) oder Energiefragen (25) – erst auf Rang 20 folgen das Zusammenleben in der Schweiz und die Toleranzfrage (9).

Vor allem junge Menschen glauben, dass solche Aktionen eine positive Wirkung erzielen können.

Hermann kann nachvollziehen, dass die SVP auf die Genderthematik setzt, da man damit ein eher rechtes Publikum bediene: «Verlieren wird die Volkspartei damit niemanden, und ein gewisses Emotionalisierungspotenzial hat das durchaus.» Man bediene damit am ehesten ältere Männer, die sich durch die Woke-Bewegung ausgegrenzt oder zurückgewiesen fühlten. 

Auch die Marketagent-Umfrage zeigt: Personen zwischen 50 und 74 Jahre lehnen Woke-Aktionen signifikant deutlicher ab als Personen anderer Altersklassen. Vor allem junge Menschen sind überzeugt, dass solche Aktionen im Kampf gegen Rassendiskriminierung und Unterdrückung durchaus eine positive Wirkung erzielen können.

Kein Wunschszenario für linke Parteistrategen

Entscheidend für Hermann ist zudem, dass woke Forderungen heute selten von den etablierten Parteien kommen, sondern eher von akademischen Milieus oder aus der linken Kulturszene. Mit ihren Forderungen stelle die SVP jedoch jetzt eine «Genderfalle». Und in die könnte laut Hermann am ehesten die SP tappen. Diese habe sich in letzter Zeit bewusst auf populäre soziale Themen wie das Frauenrentenalter konzentriert und sich bei der Genderstern-Debatte zurückgehalten. 

Wenn nun jedoch die SVP mit konkreten Forderungen kommt, könne die Linke nicht einfach schweigen: «Ein solches Hochschaukeln zwischen links und rechts kann man in linken Grossstädten wie Zürich heute bereits beobachten.» Und dies sei nicht das, was sich die linken Parteistrategen im Wahljahr wünschten.