Steigende KrankenkassenprämienWie die Pharmalobby gegen Mengenrabatte auf Medikamente kämpft
Die Kosten für Arzneimittel wachsen stärker als alle anderen Gesundheitskosten. Das will die Politik ändern. Doch es gibt kräftigen Widerstand dagegen.
- Die steigenden Krankenkassenprämien sind auch auf hohe Kosten für Medikamente zurückzuführen.
- Der Ständerat hat beschlossen, dass die Hersteller bei umsatzstarken Medikamenten Mengenrabatte gewähren sollen.
- Die Massnahme wird von der Pharmaindustrie bekämpft – und steht auf der Kippe.
- Eine Arbeitsgruppe mit Vertretern der Akteure klärt offene Fragen.
So geht es nicht weiter: Darin sind sich jeweils alle einig, wenn bekannt wird, dass die Krankenkassenprämien erneut steigen. Auch jetzt heisst es wieder, nun müsse endlich etwas geschehen. Dass am Ende nicht viel geschieht, wird oft dem starken Lobbying und den Verflechtungen zugeschrieben. Doch wie muss man sich das konkret vorstellen?
Zum Beispiel so, wie es aktuell mit einer Massnahme läuft, von der sich die Politik eigentlich viel verspricht – einer Massnahme gegen die hohen Medikamentenkosten: Die Pharmaindustrie soll auf umsatzstarken Medikamenten Mengenrabatte gewähren. Das hatte der Ständerat bei der Beratung des sogenannten Kostendämpfungspakets 2 beschlossen. Er fügte einen neuen Artikel ins Gesetz ein: Artikel 52e.
Sparpotenzial für Medikamentenkosten von 400 Millionen
Der Bund schätzt, dass damit jährlich bis zu 400 Millionen Franken eingespart werden könnten. Denn die 50 bis 60 meistverkauften Medikamente verursachen ein Drittel der Medikamentenkosten. Darunter sind etwa die Medikamente Keytruda zur Krebsbehandlung, Xarelto zur Schlaganfallprophylaxe oder Eylea gegen altersbedingte Augenerkrankungen. Künftig könnten teure Medikamente gegen Übergewicht hinzukommen, zum Beispiel Wegovy.
Je häufiger ein Medikament verkauft wird, desto höher wird der Gewinn für die Hersteller. Ab etwa 25 Millionen Jahresumsatz in der Schweiz sind die Kosten für Forschung und Entwicklung gedeckt. Deshalb sollen die Hersteller künftig einen gewissen Prozentsatz des Umsatzes als Mengenrabatt an die Krankenkassen zurückerstatten – was im Interesse der Krankenversicherer ist, nicht aber im Interesse der Pharmaindustrie.
Vorgeschlagen hatte die Massnahme ursprünglich FDP-Ständerat Josef Dittli, der frühere Präsident des Krankenversicherer-Verbandes Curafutura. Das Parlament nahm einen Vorstoss von ihm an, der bisher nicht umgesetzt worden ist. Im Juni baute der Ständerat die Mengenrabatte aber ins Kostendämpfungspaket 2 ein. Er beschloss das oppositionslos.
Economiesuisse warnt vor Folgen von «Schnellschuss» vom Ständerat
Im August war die Gesundheitskommission des Nationalrates am Zug. Und sie wurde mit Lobbying eingedeckt: Dieser Redaktion liegen Schreiben vor, die an die Kommissionsmitglieder gingen – ein ganzer Stapel.
Der Verband Interpharma schreibt: «Wir bitten Sie, Ihren Entscheid zu Art. 52e zu sistieren.» Scienceindustries empfiehlt: «Folgen Sie beim Kostendämpfungspaket 2 nicht dem Ständerat.» Im Brief von Economiesuisse klingt es so: «Die vom Ständerat ebenfalls vorgeschlagenen Mengenrabatte sollten aus Sicht der Wirtschaft zurückgestellt werden (d. h. Streichung von Art. 52e).»
Die Verbände bringen unterschiedliche Argumente vor. So warnt Economiesuisse, der «Schnellschuss» des Ständerates werde sich negativ auf Innovation und Versorgung auswirken. Interpharma hält fest, Artikel 52e führe zu einer massiven Veränderung des herkömmlichen Preisbildungssystems bei Medikamenten. Zuerst müsse eine «Gesamtmodernisierung» ausgearbeitet werden. Andere monieren, zu dieser Massnahme habe es keine Vernehmlassung gegeben.
Ganz anders tönt es in den Briefen der Krankenversicherungsverbände. «Artikel 52e annehmen», schreibt Santésuisse. Auch Curafutura appelliert an die Kommission, dem Ständerat zu folgen. Es handle sich um ein wichtiges Instrument zur Kostendämpfung bei den Medikamenten.
Kommission verschiebt Entscheid
Wie reagierte die Gesundheitskommission des Nationalrates drauf? Sie trat auf die Bremse. Nach ihrer August-Sitzung teilte sie mit, sie sei zwar grundsätzlich offen gegenüber der Massnahme, habe aber entschieden, erst darüber zu beraten, wenn zusätzliche Erkenntnisse zu Umsetzungsfragen vorlägen.
Nach dem Willen des Ständerates würde der Bundesrat die Details regeln. Die Nationalratskommission hingegen will wissen, wie die Umsetzungsverordnungen aussehen könnten, bevor sie über den Gesetzesartikel befindet. Und sie will, dass die Akteure mitreden: Eine vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) eingesetzte Arbeitsgruppe mit Vertretern der Pharmaindustrie und der Krankenversicherer soll offene Fragen klären.
Mitte Oktober steht die nächste Kommissionssitzung an. Dem Vernehmen nach gibt es nun Bestrebungen, die Massnahme aus dem Kostendämpfungspaket 2 herauszulösen, um sie später separat zu beraten. SVP-Nationalrat Thomas de Courten findet das eine gute Idee. Bevor eine solch einschneidende Massnahme getroffen werde, brauche es sorgfältige Abklärungen, sagt er. So sei etwa unklar, welche Medikamente betroffen wären. Das hatte der Verband Intergenerika, den de Courten präsidiert, auch in seinem Schreiben an die Kommissionsmitglieder des Nationalrates moniert.
SP-Nationalrätin Mattea Meyer hält die Idee, die Massnahme aus dem Paket herauszulösen, für einen Trick der Gegnerinnen und Gegner von Mengenrabatten. «Das ist der erste Schritt, um die Massnahme zu versenken», sagt sie, «auf Druck der Pharmaindustrie.»
«Widerstand ist zwecklos»
FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt geht davon aus, dass die Massnahme kommen wird, da Dittlis Vorstoss überwiesen wurde. «Deshalb ist Widerstand zwecklos», sagt er. Es sei aber sinnvoll, wenn sich die Akteure – die Pharma, das BAG und die Krankenversicherer – erst auf die Details einigten. Denn es müsse ein Gleichgewicht mit anderen Massnahmen gefunden werden. Die Mengenrabatte irritierten die Pharma, eine andere beschlossene Massnahme – die Vergütung ab dem Zeitpunkt der Zulassung – irritiere die Krankenversicherer.
Das BAG bestätigt, dass die Arbeitsgruppe mehrere Sitzungen abgehalten hat. Weitere seien geplant. Zu den von den Akteuren eingebrachten Vorschlägen kann das BAG inhaltlich noch nichts sagen. Dem Vernehmen nach könnte es etwa um Kompensationen für die Pharma in anderen Bereichen gehen – die allerdings den Spareffekt infrage stellen würden.
Wie hatte es Mitte-Ständerat Erich Ettlin in der Juni-Debatte formuliert? «Mir hat einmal jemand gesagt, wir würden nach dem Motto agieren, ‹Es muss etwas geschehen, aber es darf nichts passieren›. Das ist vielleicht eine Eigenschaft, die wir hier manchmal haben.»
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