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Meinung

Gastbeitrag zu steigenden Prämienkosten
So könnte unser Gesundheits­system besser und günstiger werden

Das Kostenwachstum wird einem wehrlosen Sündenbock angehängt: Der Alterung. Dabei macht uns die Alterung gar nicht kränker.
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Die Gesundheitskosten wachsen schon lange. Gemäss Bundesamt für Statistik stiegen sie von 1970 bis 2000 von 5,5 auf 43 Milliarden Franken. Im Jahr 2022 beliefen sie sich schon auf 91,5 Milliarden. Doch angesichts von Inflation, Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum ist der Anteil des Gesundheitswesens am Bruttoinlandprodukt interessanter. Dieser Anteil und sein Wachstum waren in den letzten Jahren ähnlich hoch wie in den reichen EU-Ländern, aber leicht tiefer als etwa in Deutschland. Aber Vorsicht! Unser Bruttoinlandprodukt pro Kopf ist rund 90 Prozent höher als in Deutschland. Folglich sind auch die Schweizer Gesundheitskosten pro Kopf etwa 90 Prozent höher als in Deutschland.

Im internationalen Vergleich ist also weniger das Wachstum als das Niveau der Kosten problematisch. Über dieses wollen aber weder Leistungserbringer und Versicherer noch Patientenverbände und Politiker reden. Denn eine Senkung ginge ans Eingemachte. Das Kostenwachstum hingegen können sie einem wehrlosen Sündenbock anhängen: der Alterung. Dabei macht uns die Alterung gar nicht kränker. Vielmehr werden wir älter, weil wir länger gesund bleiben. Auch die viel gescholtenen hohen Kosten in den letzten zwei Lebensjahren bringen kein Kostenwachstum. Denn wir sterben weiterhin nur einmal, einfach später.

Unsere Gesundheitspolitik starrt nur aufs Geld

Der enge Fokus auf das Kostenwachstum blendet aus, was wirklich zählt: der Nutzen der Behandlungen sowie die nicht-monetären Kosten, etwa Zeitkosten, die Risiken und Nebenwirkungen. Pointiert gesagt: Unsere Gesundheitspolitik starrt nur aufs Geld, leidet also an «Geldsucht». Dabei werden viele Eingriffe zwar teurer, aber die Patienten werden oft auch schneller gesund und arbeitsfähig, sodass ihre Lebensqualität steigt und die volkswirtschaftlichen Kosten sinken, was die finanziellen Mehrkosten weit überkompensieren kann. Aber leider gibt es auch Verschlechterungen, etwa Hausarztmangel und Wartezeiten.

Eine bessere Gesundheitspolitik braucht verlässliche Daten zu Niveau und Entwicklung der Qualität und den nicht-monetären Kosten. Das System kann nur dann gesunden, wenn diese Geldsucht der Gesundheitspolitik kuriert wird.

Zur Senkung der Kosten und Steigerung der Qualität müssen die Anreize aller relevanten Handlungsträger – Konsumenten, Leistungserbringer und Krankenkassen – zum effektiven und sparsamen Einsatz der knappen Ressourcen verbessert werden. Dafür braucht es nicht mehr Zentralismus und Planwirtschaft, sondern mehr Eigenverantwortung der Bürger sowie wirksameren Wettbewerb zwischen den Leistungserbringern und den Krankenkassen. Dafür schlagen wir Folgendes vor:

Intelligente Franchisen bringen Anreize zu sparsamem Verhalten

Das grösste Sparpotenzial liegt bei der Behandlung von Patienten mit hohen Kosten. Die Franchisen von 300 bis 2500 Franken pro Jahr sowie die Selbstbeteiligung von 10 Prozent und höchstens 700 Franken gelten heute als wichtige Anreize für sparsamen Leistungskonsum. Deshalb wollen viele Experten diese Beiträge erhöhen. Wir empfehlen einen anderen Weg.

Entscheidend ist die intelligente «Platzierung». Mit den heutigen Franchisen trägt jeder Versicherte die ersten 300 bis 2500 Franken seiner Kosten selbst. Wer erwartet, über das Jahr hohe Kosten zu verursachen, wählt vernünftigerweise die tiefste Franchise. Diese ist dann völlig wirkungslos. Kosten zu sparen, bringt den Versicherten nichts mehr, weil ihre Kosten die Franchise sowieso übersteigen.

Unsere AAA-Franchisen (Franchisen mit Automatischer Anreiz-Anpassung) stärken die Anreize zu sparsamem Verhalten, indem sie statt für die ersten für die letzten zu erwartenden Kostenteile gelten. So müsste ein AAA-Versicherter, von dem die Kasse erwartet, dass er Kosten von 3000 Franken verursacht, die Ausgaben von 2700 bis 3000 Franken tragen. Dadurch hätte er permanent Anreize, kostenbewusst zu handeln, sodass er gar nicht in den Bereich kommt, in dem er selbst zahlen muss. Als Folge müsste er zumeist weniger selbst bezahlen als heute und würde in keinem Fall schlechtergestellt. Zugleich wäre es auch für Versicherte mit hohen erwarteten Kosten attraktiv, hohe AAA-Franchisen zu wählen, da sie gute Chancen hätten, den Betrag nicht voll übernehmen zu müssen, wenn sie sich sparsam verhalten. Das würde weitere Kosteneinsparungen bringen. 

Für die optimale Platzierung der AAA-Franchisen bedarf es neutraler individueller Kostenprognosen. Mit den Daten zu den Ausgaben nach Alter und Geschlecht, die heute schon für die Berechnung des Risikoausgleichs zwischen den Kassen verwendet werden, können sie einfach erstellt werden.

Höhere Rabatte für ältere und weniger gesunde Personen

In der Grundversicherung darf heute jede Krankenkasse ihre eigenen Prämien festlegen. Aber jede Kasse muss all ihren über 25 Jahre alten Kunden aus derselben Region die gleiche Prämie verrechnen, gleich ob Mann, Frau, alt, jung, krank oder gesund. Entsprechend müssen auch die den Versicherten gewährten Rabatte bei Eintritt in ein sparorientiertes Versicherungsmodell mit mehr Budgetverantwortung der Leistungserbringer für die verschiedenen Kunden einheitlich sein.

In sparorientierte Versicherungsmodelle wechseln deshalb vor allem relativ junge und gesunde Versicherte, bei denen aber kaum viel zu sparen ist. Hingegen sind die mit dem Versicherungsmodell einhergehenden Beschränkungen gerade für diejenigen Versicherten, bei deren Behandlung ohne Qualitätsverlust viel gespart werden könnte, belastender. 

Mit dem Modell der «Äquivalenzprämie» würde es den Kassen erlaubt, älteren und weniger gesunden Personen beim Übertritt in sparorientierte Versicherungsformen höhere, ihren speziellen Belastungen äquivalente Rabatte zu gewähren. Dadurch würde es für alle Versicherten attraktiver, in sparorientierte Versicherungsmodelle zu wechseln. So könnten massiv Kosten eingespart werden – alles ohne Plan und Zwang dank freierem Wettbewerb und freien individuellen Entscheidungen.

«Transfersummen» für gesunde Kunden – vom Sport lernen

Weil die Kassen die Prämien nicht risikogerecht differenzieren dürfen, machen sie Jagd auf gute Risiken. Diese wird heute durch engste Regulierungen eingeschränkt. So gibt es einen einheitlichen Leistungskatalog, der den Kassen auch Zusatzleistungen für Prävention verbietet, und sie dürfen den Versicherten keine finanziellen Sparanreize geben. Und mit dem Risikoausgleich werden die unterschiedlichen Belastungen der Kassen durch Mann, Frau, alt, jung sowie durch hohe Krankheitskosten ausgeglichen. Damit befindet sich die Politik auf dem Holzweg. All die Vorschriften zerstören die Anreize und Möglichkeiten der Kassen, die Gesundheit ihrer Kunden zu entwickeln und zu erhalten. Was also tun?

Wir sollten vom Sport lernen: Viele Sportclubs neigen dazu, den sportlichen Erfolg durch die Jagd auf gute Spieler statt durch die teure Ausbildung junger Talente zu suchen. Dagegen wurde in Fussball und Eishockey eine Regel eingeführt: die Transferpreise. Clubs, die von anderen gute Spieler abwerben, müssen dafür eine Abgeltung leisten. Das gibt den Clubs starke Anreize, den eigenen Nachwuchs zu fördern, gut auszubilden, gesund zu halten und – gegen Abgeltung – an andere Vereine abzugeben.

Analog dazu sollten Krankenkassen nicht dann mehr Geld erhalten, wenn sie besonders kranke Kunden haben, sondern wenn sie von anderen Kassen Kranke übernehmen und ihnen Gesunde geben. Das gäbe den Kassen starke Anreize, das medizinisch Beste für die Gesundheit ihrer Kunden zu tun. Deshalb könnte dann der Wettbewerb von seinen heutigen Fesseln durch all die schrecklichen Regulierungen befreit werden. Damit würde er erst richtig fruchtbar.

Reiner Eichenberger ist Professor für Theorie der Wirtschafts- und Finanzpolitik an der Universität Freiburg und Forschungsdirektor von Crema.

Fabian Kuhn ist Diplomassistent am Lehrstuhl für Theorie der Wirtschafts- und Finanzpolitik an der Universität Freiburg.