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Gesteuerte Migration aus Belarus
Polnische Grenzwächter sollen schneller schiessen dürfen

Polish servicemen patrol the area around the Polish and Belarusian border in Gobiaty, Poland, Saturday, Aug. 12, 2023. Poland’s defense minister said Saturday, that the country has increased the number of troops protecting its border with Belarus as a deterrent amid “destabilising” actions by its pro-Russian neighbour.  (AP Photo/Michal Dyjuk)
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Ihre Schusswaffen einzusetzen, soll für polnische Soldaten, Grenzschützer und Polizisten in Zukunft einfacher werden. Das polnische Abgeordnetenhaus Sejm hat einem Gesetzentwurf zugestimmt, laut dem den Beamten praktisch keine Strafe mehr droht, wenn sie im Dienst ihre Waffen unsachgemäss nutzen. Besonders im Blick haben die Abgeordneten den Selbstschutz von Grenzschützern. Er wolle das «Sicherheitsgefühl» der Mitarbeiter bei Polizei und Militär erhöhen, erklärte der Verteidigungsminister. Kritiker fürchten einen unkontrollierten Gebrauch von Schusswaffen – möglicherweise gegen wehrlose Unbewaffnete.

Das Gesetz würde letztlich für alle Uniformierten gelten, es hat aber vor allem die Grenzschützer im Blick. Schon seit längerer Zeit wird an der etwa 400 Kilometer langen Grenze zu Belarus auch polnisches Militär eingesetzt. Zum 1. August wurden erneut 700 Soldaten an die Grenze zu Belarus versetzt. Und zwar zum Schutz vor russischer Aggression sowie zur Bekämpfung der Migration, wie es in der Behördensprache heisst. Konkret also, um Menschen fernzuhalten, die illegal über die EU-Grenze einreisen wollen.

Freibrief zum Schiessen?

Kritiker sehen in dem Gesetz einen Freibrief zum Schiessen – möglicherweise auf Unbewaffnete, die etwa versuchen, den Stahlzaun an der Grenze zu überwinden. In einer Stellungnahme des staatlichen Ombudsmannes für Bürgerrechte heisst es, der Gesetzentwurf genüge «nicht dem Gebot der Verhältnismässigkeit im Hinblick auf den Schutz des Lebens» und verstosse zudem teilweise gegen die Verfassung.

Die polnische Batory-Stiftung weist darauf hin, dass die Gesetze es bereits jetzt erlaubten, dass Uniformierte ihre Waffen zur Verteidigung in Notsituationen nutzen. Auch der Menschenrechtskommissar des Europarates, Michael O’Flaherty, riet in einem Brief an Ministerpräsident Donald Tusk davon ab, das Gesetz zu beschliessen. Es könne zu Unverhältnismässigkeit im Waffengebrauch führen.

Berichte über aggressive Migranten und Schüsse von Soldaten

Schon seit langem gibt es Berichte über aggressiv auftretende Migranten, die mit Ästen und Steinen nach Grenzschützern werfen. Ende Mai ging ein Flüchtling mit einem improvisierten Messer auf einen 21-jährigen Soldaten los und verletzte ihn durch den Grenzzaun hindurch schwer am Hals. Der Soldat starb Anfang Juni an seinen Verletzungen. Etwa zur gleichen Zeit nahm die Militärpolizei zwei Soldaten fest, die Anfang des Jahres ihre Schusswaffen abgefeuert haben sollen, um Menschen am Grenzübertritt zu hindern. Die rechte Opposition im polnischen Sejm, allen voran die PiS-Partei, reagierte empört. Sie führt sich gern als Beschützer aller Uniformierten auf.

Auch Ministerpräsident Donald Tusk und sein Verteidigungsminister kritisierten das in ihren Augen zu ruppige Vorgehen der Militärpolizei gegen die Soldaten deutlich. Der Gesetzentwurf entstand nun auch in Reaktion auf die beiden Vorfälle. Anfang Juni, nach dem Tod des jungen Soldaten, hatte Tusk an der Grenze eine sogenannte Pufferzone einrichten lassen. Eigentlich eine Sperrzone, die nur von Grenzschützern betreten werden darf.

Proteste von Anwohnern im Bialowieza-Urwald

Das hatte zu Protesten von Anwohnern im Bialowieza-Urwald an der belarussischen Grenze geführt. Protestiert hatten auch jene, die sich seit Jahren gegen illegale Pushbacks engagieren und den Flüchtlingen humanitäre Hilfe zukommen lassen möchten. Diese sind nach tagelangen Märschen durch den Wald auf belarussischer Seite oft entkräftet, dehydriert, manche verletzt. Laut den Hilfsorganisationen, die sich zur Grupa Granica (Grenzgruppe) zusammengeschlossen haben, sind in diesem Jahr zehn Flüchtlinge an der polnisch-belarussischen Grenze gestorben.

Darüber, wie viele Menschen die Grenze überwinden, hat auch der polnische Grenzschutz keine exakten Daten. Es sind jedoch im Schnitt eher mehrere Hundert pro Monat als Tausende, Tendenz seit diesem Jahr wieder steigend.

Politiker: Machthaber in Minsk und Moskau locken Menschen

Der Sejm-Abgeordnete Pawel Kowal, Mitglied in Tusks Fraktion Bürgerkoalition, sagte im Juli im Gespräch mit dieser Redaktion: «Der grösste Teil von ihnen sind keine wirklichen Flüchtlinge. Sie sind gut trainiert zu provozieren.» Auf der anderen Seite gebe es Menschen, etwa Mütter mit Kindern oder andere, die wirklich Hilfe bräuchten. «Aber auch sie werden manipuliert.» Erhielten etwa falsche Informationen über Polen oder die EU.

Es sei völlig klar, sagte Kowal, dass «Lukaschenko und Putin», also die Machthaber in Minsk und Moskau, dahintersteckten. Sie lockten weiterhin gezielt Menschen auf diesen Weg Richtung EU. «Sie beobachten genau, wie die polnische Gesellschaft reagiert, und daraus ziehen sie ihre Schlussfolgerungen und handeln danach.»

«Kein Grund, einen Krieg zu beginnen»

Als Politikwissenschaftler und Historiker, so Kowal weiter, sei ihm klar, dass ein Land, das es nicht schaffe, seine Grenzen zu schützen, grosse innenpolitische Probleme bekomme. Denn dann würden radikale Kräfte stark, die mit der Angst vor Migranten Stimmen fingen und die letztlich auch antidemokratisch eingestellt seien.

Eine Beschreibung, die eigentlich recht gut auf die PiS-Partei passt, die acht Jahre lang regierte und erst im Dezember abgelöst wurde. Sie sehe keinen Unterschied zwischen der Grenz- und Migrationspolitik der alten und der neuen Regierung, sagte kürzlich die frühere Europaabgeordnete Janina Ochojska aus Tusks Partei. Im Interview mit der «Gazeta Wyborcza» sagte sie, natürlich müsse die Grenze geschützt werden, und zwar indem man genau erfasse, wer sie überquere. «Aber dass jemand einen Stein wirft», so Ochojska, «ist kein Grund, einen Krieg zu beginnen.»