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Protest in Genf
Lehrer streiken – genau in der Prüfungswoche

Seit Montagmorgen streiken Genfs Oberstufenlehrkräfte. Ihren Streik wollen sie bis Ende Woche weiterführen.
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Wie viele Unterrichtsstunden pro Woche können einer Oberstufenlehrkraft zugemutet werden? Das ist die Frage, um die sich in Genf Lehrerinnen und Lehrer mit Bildungsdirektorin Anne Hiltpold (FDP) und auch dem Grossen Rat seit Monaten streiten. «Die heutigen maximal 24 Wochenstunden sind genug», ist die Position der Lehrerschaft. Zwei zusätzliche Stunden seien vertretbar, so die Haltung der Bildungsdirektorin Hiltpold. Sie vermochte damit auch die Regierung zu überzeugen, in der die Bürgerlichen die Mehrheit haben. Selbst sechs zusätzliche Stunden seien verkraftbar, meinen die bürgerlichen Parteien im Kantonsparlament und haben ein entsprechendes Gesetz in die parlamentarische Beratung gebracht. 

Zum Vergleich: Gemäss Angaben der Konferenz der Eidgenössischen Erziehungsdirektorinnen und Erziehungsdirektoren (EDK) liegt die Unterrichtsverpflichtung auf der Sekundarstufe im schweizweiten Vergleich «in der Regel zwischen 22 und 26 Lektionen».

Mit einer Erhöhung ist ein Grossteil der rund 2000 Genfer Oberstufenlehrerinnen und -lehrer nicht einverstanden. Sie fühlen sich von der Politik übergangen. Darum sind sie am Montagmorgen in einen Streik getreten und unterrichten diese Woche gar nicht mehr. Den Entscheid trafen sie letzte Woche an einer öffentlichen Kundgebung vor dem Regierungssitz und bekräftigten ihn am Montagmorgen. «Statt die Besorgnis seitens der Lehrenden zu verstehen, verweigert sich Bildungsdirektorin Anne Hiltpold jeglichen Dialog», schreiben die Oberstufenlehrkräfte in einer Medienmitteilung. 

Genève, le 1 février 2024.
Anne Hiltpold à l'occasion d'un interview.
©Frank Mentha

Dass der Streik gerade diese Woche stattfindet, ist pikant. Sämtliche Genfer Schülerinnen und Schüler der dritten Oberstufe müssen diese Woche eine identische Prüfung ablegen, um die Leistungen über den gesamten Jahrgang miteinander vergleichen zu können. Am Morgen stehen jeweils schriftliche und am Nachmittag mündliche Prüfungen an. Die Note zählt ein Fünftel an die Noten im zweiten Trimester und als ein Sechstel der Jahresnote. 

Die Streikankündigung hat in den letzten Tagen einen Teil der Schüler und deren Eltern verunsichert. Bildungsdirektorin Anne Hiltpold ermahnte die Lehrerschaft der dritten Oberstufe deshalb, die Prüfungen reibungslos und wie geplant abzuhalten. In dieser Einschränkung sehen Lehrer und Gewerkschaften «einen schweren, nie da gewesenen Angriff auf das Streikrecht», wie sie in einem Communiqué schreiben, kommen der Aufforderung aber dennoch nach.

Immer mehr zu tun

Unter den Streikenden ist auch Patrick Chappuis, seit 15 Jahren Oberstufenlehrer und seit 10 Jahren Lehrervertreter in der Gewerkschaft VPOD. Er sagt: «Wir Lehrerinnen und Lehrer lieben den Präsenzunterricht. Aber unsere Aufgaben ausserhalb des Schulzimmers sind in den letzten Jahren derart stark angewachsen, dass mehr Unterrichtsstunden schlicht nicht drin liegen.» Zwei zusätzliche Unterrichtsstunden seien in der Realität vier Stunden, da man zwei zusätzliche Stunden zur Lektionsvorbereitung aufwenden müsse. Mit dem Korrigieren von Aufgaben und Prüfungen, dem Organisieren von schulischen Projekten, Elterngesprächen und Sitzungen im Lehrerteam sei man abseits des Unterrichts schon sehr ausgelastet.

Chappuis wird emotional. Ein Lehrer sei heute «Pädagoge, Sozialarbeiter und Psychologe in einem», sagt er. Auch er sei jede Woche ausserhalb des Klassenzimmers mit Krisen und unvorhersehbaren Ereignissen konfrontiert, die ihn physisch und psychisch extrem forderten. Als Lehrer spüre er heute mehr denn je sozioökonomische Unterschiede. Es gehe darum, die Chancengleichheit der Schülerinnen und Schüler zu gewährleisten. Bei der Schule als Teil des Service public dürfe es keine Abstriche geben. 

Mit ein Grund für die geplante Erhöhung der Unterrichtsstunden ist, dass der Kanton Genf sparen muss und die Bürgerlichen auch die Bildungsausgaben senken wollen. Ihre Idee ist, die Pensen zu erhöhen, um so den Lehrkörper zu verkleinern und damit auch die Lohnsumme zu reduzieren. Zumindest ein Teil des freigespielten Geldes soll in eine grundlegende Reform der Oberstufe fliessen, die aber der Öffentlichkeit noch nicht präsentiert wurde. Bildungsdirektorin Anne Hiltpold (FDP) verspricht der Lehrerschaft derweil Entlastungen, etwa beim Informatikunterricht. Doch Lehrer wie Patrick Chappuis sehen die bisherigen Vorschläge nicht wirklich als Entlastungsmassnahmen.

Françoise Weber, Sekretärin bei der Genfer Gewerkschaft SIT, beobachtet, dass die Lehrerinnen und Lehrer «kein Vertrauen in die Bildungsdirektorin» haben. Der Streik sei beschlossen, «jetzt gibt es kein Zurück mehr», so Weber. «Wenn die Bürgerlichen bei den Schulen sparen wollen, sparen sie am falschen Ort.»

Einen Lehrerstreik wie in Genf gab es letztes Jahr in der Waadt. Im Nachbarkanton kämpften die Pädagogen auf der Strasse dafür, dass die Regierung die Löhne der Staatsangestellten der Teuerung anpasst.