Gender-Schilder für Zürich«Liebe SP, haben wir denn keine anderen Probleme?»
Lesbische Paare und Schwangere auf Verkehrstafeln: SP-Gemeinderätin Rahel Habegger sagt, die Stadt Zürich sei von Männern für Männer gebaut worden. Das will sie ändern.
Die Verkehrssignalisation in der Stadt Zürich soll diverser werden, fordert die SP. Denn Verkehrstafeln seien nach wie vor von Männern definiert – das suggeriere, dass der öffentliche Raum vor allem den Männern gehöre. Geht es nach der SP, sind künftig auch Schwangere, lesbische Paare und Seniorinnen auf den Schildern zu sehen. Das Postulat haben Rahel Habegger, Leah Heuri und Marco Denoth (alle SP) diese Woche im Zürcher Gemeinderat eingereicht.
Zur Meldung dieser Redaktion sind in kürzester Zeit über 200 Kommentare aus der Leserschaft eingegangen. Verständnis gab es kaum, dafür Spott und Häme. Die Erstunterzeichnerin Rahel Habegger erklärt, was sie zum Vorstoss bewegt hat.
Rahel Habegger, herzliche Gratulation: Ihr Vorstoss für gendergerechte Verkehrsschilder ist Stadtgespräch! Haben Sie damit gerechnet?
(lacht) Nein, das habe ich nicht. Schliesslich haben wir ja erst den Vorstoss eingereicht. Ich rechne damit, dass es einen Gegenantrag geben und der Vorstoss nicht einfach so zur Prüfung an den Stadtrat überwiesen wird. Und erst dann folgt die Debatte im Gemeinderat.
Die negativen Reaktionen, etwa in unserer Kommentarspalte, waren aber absehbar.
Dass der Vorstoss Emotionen auslöst, damit musste ich rechnen. Ich gehöre aber nicht zu jenen Parlamentarierinnen oder Politikerinnen, die die grosse Bühne suchen oder möglichst provozieren wollen. Das zeigen meine anderen Vorstösse und die Art, wie ich in der Kommission und im Parlament politisiere. In meinem allerersten Vorstoss habe ich gefordert, dass die Stadt Zürich bei ihren Stelleninseraten die Lohnklassen offenlegt.
Und nun also die Gender-Tafeln. Viele Leserinnen und Leser fragen: Haben wir denn keine anderen Probleme?
Doch, wir haben ganz viele andere Probleme. Und mit diesen befassen wir uns auch jede Woche im Gemeinderat. Man darf verschiedene Probleme aber nicht gegeneinander ausspielen. Mein Vorstoss soll eine Debatte zu den Themen Sichtbarkeit und Repräsentation anstossen. In was für einer Stadt leben wir, für wen ist diese Stadt, und wer ist sichtbar in dieser Stadt? Das sind wichtige Fragen.
Mit Ihrem Vorstoss lenkt die SP erfolgreich von ihrer wohnpolitischen Irrfahrt ab, die Einkommenslimiten für günstige Wohnungen zu streichen.
Diese Absicht kann ich überhaupt nicht bestätigen. Das Timing ist pur ein Zufall, nachdem ich wochenlang am Vorstoss gearbeitet habe.
Warum denn so lange?
Das war vor allem Recherche. Ich musste klären, welchen Handlungsspielraum die Stadt Zürich bei der Verkehrssignalisation überhaupt hat. Zum Beispiel schlugen Alan David Sangines und Simone Brander (damals Gemeinderatsmitglieder, heute SP-Kantonsrat respektive SP-Stadträtin, Anm. d. Red.) 2018 vor, die Signalisation anlässlich des Pride-Jubiläums zu ändern.
Und?
Die damals vorgeschlagenen regenbogenfarbenen Zebrastreifen durfte die Stadt nicht umsetzen, weil sie gegen die Vorgaben auf Bundesebene verstossen würden. Bei den Hinweisschildern hingegen hätten wir auf städtischer Ebene einen Handlungsspielraum, also zum Beispiel beim «Mann mit Hut» bei den Zebrastreifen.
Ihr Vorstoss ist Wasser auf die Mühlen all jener, die sich über «Gender-Gaga» und «Woke-Wahnsinn» beklagen.
Nun gut, wer diese Schlagwörter bedienen will, findet sowieso immer einen Grund dazu. Es würde die SP schwächen, wenn sie gewisse Themen aus Angst vor negativen Reaktionen nicht ansprechen würde.
Dass Sie einen Teil der SP-Wählerschaft vergraulen könnten, nehmen Sie in Kauf?
Ich hoffe doch sehr, dass das nicht der Fall ist. Natürlich gibt es Menschen, die die Hände verwerfen, wenn sie nur die Schlagzeile lesen. Darum ist es wichtig, eine sachliche Debatte zu führen. Aufzuzeigen, dass Zürich eine Stadt ist, die von Männern für Männer gebaut wurde. Das gilt für andere Städte selbstverständlich auch. Die Verkehrssignalisation kann ein Puzzleteil sein, um dem entgegenzuwirken.
Wäre es dann nicht sinnvoller, geschlechtsneutrale Piktogramme statt lesbischer Paare zu zeigen?
Das kann man finden, und ich bin gespannt auf die Diskussionen. Mir als Frau und als Mutter ist es zunächst einmal wichtig, dass Frauen sichtbarer werden. Andere freuen sich, wenn Händchen haltende Männer dargestellt werden, wieder andere möchten Personen im Rollstuhl sehen. Die Gesellschaft ist divers, und das kann in der Verkehrssignalisation zum Ausdruck gebracht werden.
Aber aus Gründen der Sicherheit sollten Verkehrsschilder doch möglichst einheitlich sein.
Deshalb macht das Bundesrecht gewisse Vorgaben – lässt aber gleichzeitig einen Spielraum zu. Ob das Schild nun eine Frau oder einen Mann zeigt, scheint mir unerheblich zu sein. Diese Fragen kann der Stadtrat im Detail klären, falls der Vorstoss eine Mehrheit findet.
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