Debatte in der Stadt ZürichDie Stadtplanung soll gendergerechter werden
Das Zürcher Stadtparlament hat zwei Vorstösse für eine inklusivere Stadtplanung überwiesen. Die SVP sprach von «Schwachsinn».
Mit deutlichem Mehr hat der Gemeinderat am Mittwochabend zwei Vorstössen zugestimmt, die die Stadt zu einer inklusiveren Stadtplanung und zur Anwendung des Prinzips des Gender Mainstreaming bei stadtplanerischen Projekten verpflichten. Eine Motion von GLP, SP und Grünen wurde mit 85 zu 30 Stimmen an die Stadtregierung überwiesen, ein Postulat von SP und Grünen mit 75 zu 39 Stimmen.
Der englische Begriff Gender Mainstreaming bedeutet, dass die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Menschen aller Geschlechter bei Entscheidungen auf allen gesellschaftlichen Ebenen berücksichtigt werden sollen, um so die Gleichstellung durchzusetzen. Das Prinzip hatte seinen Ursprung an der UN-Weltfrauenkonferenz 1985.
«Auf den gesunden, erwerbstätigen Mann ausgerichtet»
Konkret wird der Stadtrat beauftragt, bei der nächsten Teilrevision des kommunalen Richtplans ein neues Kapitel zu inklusiver Stadtplanung und -gestaltung aufzunehmen. Zudem soll er die städtischen Angestellten für die Thematik sensibilisieren, bei der Anstellung neuer Fachkräfte auf Diversität zu achten und bei der Projektvergabe an Externe das Prinzip Gender Mainstreaming als Bedingung einzuführen.
Laut den Postulantinnen Hannah Locher (SP) und Anna-Béatrice Schmaltz (Grüne) war die Stadtplanung bisher vorab auf die traditionelle Vorstellung eines gesunden, erwerbstätigen Mannes ausgerichtet. Auf Personen mit Doppelbelastung durch Erwerbsarbeit und unbezahlte Betreuungsarbeit oder auf Personen mit körperlicher oder psychischer Beeinträchtigung habe sie dagegen wenig Rücksicht genommen.
Durch den Einbezug von Gender Mainstreaming in die Planung könnten diese «vielfältigen Bedürfnisse» künftig sichtbar gemacht und besser berücksichtigt werden, argumentierten sie. Gruppen, die in der Stadtplanung und im öffentlichen Raum tendenziell unterrepräsentiert seien, sollten dadurch gestärkt und in ihrem Alltag unterstützt werden. Dies trage zu mehr Gleichstellung bei.
«Es geht um eine Stadt für alle»
Als Vorbild nannten die Befürworterinnen die Stadt Wien, die beim Planen und Bauen systematisch eine inklusive Perspektive einnehme. Als positives Beispiel in Zürich erwähnten sie den Planungsprozess für den Pfingstweidpark im Kreis 5, bei dem im Wettbewerbsverfahren von allen Teilnehmenden eine Kriterienliste im Sinne des Gender Mainstreaming verlangt worden sei. Als Vorzeigebeispiel für inklusive Stadtplanung gilt auch die Überbauung des Hunziker-Areals in Leutschenbach, über die kürzlich tsüri.ch berichtete.
«Es geht um eine Stadt für alle», sagte Carla Reinhard (GLP). Auch Tanja Maag Sturzenegger (AL) betonte die Bedeutung einer inklusiven Stadtplanung für Zürich.
«Irrelevantes Gender-Gaga»
«Gender Mainstreaming ist ein Schwachsinn-Begriff», sagte dagegen Johann Widmer (SVP), der die Vorstösse ablehnte. Die Linke mache sich hier erneut stark für Anliegen einer «kleinen, schrillen Minderheit» und sorge mit «monströsen Worthülsen» für Verwirrung beim normalen Bürger. Wenn die Stadtverwaltung bei der Anstellung neuer Fachkräfte künftig auf Diversität achten müsse, könne sie trotz Fachkräftemangel «nur noch Personen aus der LGBTQ-Szene» anstellen. Weiter sprach Widmer von «irrelevantem Gender-Gaga», was empörte Zwischenrufe vonseiten der Grünen provozierte.
Samuel Balsiger (SVP) warf der linken Ratsseite vor, «Fantasieprobleme» zu schaffen. Statt einen «linken Kulturkampf» zu führen, sollte sie besser aktuelle Probleme wie Teuerung oder steigende Krankenkassenprämien anpacken. «Aber bringen Sie nur weiter diesen Quatsch, das hilft nur der SVP», sagte Balsiger.
Cathrine Pauli (FDP) sprach von einem «völlig unnötigen Postulat». Den Linken warf sie vor, einen «Woke-Begriff» zu benutzen, den die Mehrheit der Bevölkerung gar nicht verstehe. Gender Mainstreaming sei in der Umsetzung problematisch, das zeigten Erfahrungen in anderen Ländern. Weiter wies Pauli darauf hin, dass Zürich bereits viel in Richtung inklusiver Stadtplanung unternehme. Zudem hätten Frauen in Architektur und Planung den Stadtraum ebenfalls stark geprägt.
Odermatt: Bereits jetzt «gelebte Praxis»
Stadtrat André Odermatt (SP) zeigte Sympathien für die Vorstösse. Auch er betonte, die Stadt praktiziere bereits heute in vielen Bereichen eine inklusive Stadtplanung, die die Gleichstellung der Geschlechter sowie eine auf die Bedürfnisse aller Nutzenden ausgerichtete Planungs- und Baukultur berücksichtige. «Das ist gelebte Praxis in Zürich.»
Zudem sei die Stadt Mitglied beim Verein für gender- und alltagsgerechtes Planen und Bauen. Die Motion lehnte Odermatt als zu verpflichtend ab und wollte den Vorstoss lediglich in der Form eines unverbindlicheren Postulats entgegennehmen – worauf der Rat aber nicht einstieg. Weiter kündigte der Hochbauvorsteher an, den Richtplan bei der nächsten Teilrevision mit Blick auf inklusive Stadtplanung zu prüfen, um «allfällige blinde Flecken» aufzuspüren.
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