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Wirrwarr bei den Zahlen
Schweizer Corona-Statistik? «Wie in einem Entwicklungsland»

Stirbt eine Person, die mit Corona infiziert war, muss der behandelnde Arzt dem Bund zwingend Meldung erstatten.
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Die Diskussion flammt immer wieder auf: Sind die Menschen, die als Corona-Tote in die Statistik eingehen, «am» oder «mit dem» Virus gestorben? Dass diese Frage zuweilen durchaus berechtigt ist, verdeutlicht der Fall eines jungen Zürchers. Der 29-Jährige tauchte über die Festtage in der Corona-Todesfallstatistik des Bundes auf – als erster Toter in dieser Alterskategorie. Frühere Meldungen zu Opfern in den Zwanzigern waren auf Datenfehler zurückzuführen.

Der Zürcher Todesfall ist zum Leid der Angehörigen real: Der junge Mann ist tatsächlich noch vor seinem dreissigsten Geburtstag verstorben. Allerdings hält die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich unmissverständlich fest: «Aufgrund des ärztlichen Befundes kann ausgeschlossen werden, dass Covid die Todesursache war.»

Will heissen: Der Mann war zwar positiv auf das Virus getestet worden. Sein Tod hatte aber eine andere Ursache, zu welcher der Kanton aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes keine näheren Angaben macht.

Todesursache: Unbekannt

Warum also wird der Fall in der Corona-Statistik des Bundesamts für Gesundheit (BAG) gelistet? Wie das Amt auf Anfrage bestätigt, umfasst die Statistik alle Todesfälle von Personen mit positivem Covid-19-Test. Unabhängig davon, ob das Virus zum Tod geführt hat oder nicht.

Ärztinnen und Ärzte sind angehalten, jeden Verstorbenen mit bestätigter Covid-Diagnose innert 24 Stunden dem BAG und dem Kantonsarzt zu melden. Das Meldeformular enthält kein Feld, das darüber Auskunft gibt, ob Corona die vermutete Todesursache ist. Allerdings besteht die Möglichkeit, unten auf dem Formular eine Bemerkung anzubringen.

Im Fall des verstorbenen 29-Jährigen habe der zuständige Arzt dort explizit festgehalten, dass Covid nicht die Todesursache sei, heisst es bei der Zürcher Gesundheitsdirektion. Sprecher Patrick Borer sagt: «Die behandelnden Ärzte sind imstande einzuschätzen, ob Covid als Todesursache infrage kommt. Wenn sich das ausschliessen lässt, sollten Todesfälle nicht in einer Covid-Todesfallstatistik auftauchen.» So handhabe es der Kanton Zürich jedenfalls in seiner eigenen Statistik.

Auswertung erst Ende 2022

Die Datenerfassung des Bundes folgt einer anderen Logik. Während die BAG-Aufstellung alle Todesfälle positiv Getesteter erfasst, führt das Bundesamt für Statistik eine separate Statistik zu den Todesursachen. Sie gibt detailliert Auskunft über die Grundursache von Todesfällen, ebenso über allfällige Nebendiagnosen. Die dafür notwendigen Informationen werden dem Todesschein entnommen.

Nur: Bis die gesammelten Angaben verfügbar sind, dauert es noch eine ganze Weile. Wie es beim Bundesamt für Statistik heisst, dürfte die Auswertung für das Pandemiejahr 2020 «aller Voraussicht nach gegen Ende 2022 verfügbar werden». Die Todesbescheinigungen müssten erst codiert werden, dieser Prozess sei aufwendig, sagt ein Sprecher.

Ist die Zahl der Covid-Toten in der Schweiz also tiefer als angenommen? Nein, antworten Behörden und Wissenschaftler einhellig. Ein BAG-Sprecher verweist darauf, dass die Übersterblichkeit während des Höhepunkts der ersten und der zweiten Corona-Welle in der gleichen Grössenordnung lag wie die Zahl der gemeldeten Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19. Dies deute darauf hin, dass die meisten der gemeldeten Todesfälle «tatsächlich aufgrund von Covid und nicht nur in Zusammenhang mit Covid verursacht wurden».

«Die Schweiz ist gesundheitsstatistisch ein Entwicklungsland.»

Willy Oggier, Gesundheitsökonom

Auch ETH-Professor Sebastian Bonhoeffer, Datenspezialist in der wissenschaftlichen Taskforce, sagt: «Die Daten zur Übersterblichkeit deuten nicht darauf hin, dass die Zahl der Covid-Toten überschätzt wird – im Gegenteil.» Zwar möge es Einzelfälle wie jenen des 29-Jährigen aus Zürich geben. Gleichzeitig würden aber auch Todesfälle verpasst, etwa weil Verstorbene nicht getestet würden. Was die Qualität der Daten betrifft, sieht Bonhoeffer weiterhin Verbesserungspotenzial. «Leider werden in der Schweiz viele Informationen noch immer mangelhaft erfasst, was den Kampf gegen die Pandemie unnötig erschwert.»

Gesundheitsökonom Willy Oggier geht mit den zuständigen Behörden hart ins Gericht: «Ganz grundsätzlich muss man sagen: Die Schweiz ist gesundheitsstatistisch ein Entwicklungsland.» Andere Länder in Europa verfügten über deutlich besseres statistisches Material. Gerade in einer Pandemie sei es von zentraler Bedeutung, die verfügbaren Daten zeitnah aufzubereiten, betont Oggier. «Denn auf diesen Erkenntnissen fusst ja die Corona-Politik von Regierung und Parlament.»

Gleichzeitig erinnert er aber auch daran, dass Medizin nie eine exakte Wissenschaft ist. «In einer alternden Gesellschaft nimmt das Risiko für Mehrfacherkrankungen zu.» Häufig sei es daher schwierig, die Todesursache zweifelsfrei zu bestimmen.