Türkei empfängt TerroristenErdogan umarmt die Hamas-Chefs und verfolgt ein neues Ziel
Der türkische Präsident behandelt die Führer der Islamisten wie gute, alte Freunde. Im Nahostkonflikt scheint er gerade eine Chance für sich zu sehen.
Recep Tayyip Erdogan ist in der Regel kein Politiker, dem die Worte fehlen. Erst vergangene Woche zum Beispiel fand er welche für den israelischen Premier Benjamin Netanyahu, dem er vorwarf, er habe mit dem Krieg in Gaza inzwischen «Hitler übertroffen». Am Sonntag aber, als er in Istanbul die Führung der Hamas empfing, begnügte sich Erdogan mit Körpersprache.
Er nahm sie in den Arm, die Vertreter der Organisation, die am 7. Oktober Israel überfiel. Erst den Chef des Politbüros der Hamas, Ismail Haniya, dann die Männer aus dessen Delegation. Umarmungen, dazu Wangenküsse – das lässt der türkische Präsident bei offiziellen Anlässen sonst nie zu. Ismail Haniya wollte er offenbar besonders innig begrüssen, den «Führer der palästinensischen Sache», wie Erdogan ihn kürzlich nannte.
Zweieinhalb Stunden lang hatte er für die Gäste Zeit. Was sie besprachen, erfuhr man nur von Erdogans Büro: Der Präsident kondolierte Haniya, der gerade erst bei einem israelischen Angriff in Gaza drei Söhne verloren hat. Die Türkei, so Erdogan, werde weiterhin auf die «Gräueltaten» der Israelis verweisen und «ein Ende der Brutalität» fordern. Den Angriff vom 7. Oktober oder die israelischen Geiseln, die sich nach wie vor in der Hand der Hamas befinden, erwähnte Erdogan nicht.
Türkei will sich als Hamas-Sprecherin ins Spiel bringen
Der türkische Präsident scheint im Nahostkonflikt gerade eine Chance für sich zu sehen. Die Hamas-Delegation flog aus Doha ein, wo die Organisation seit Jahren ihren Hauptsitz hat. Das Emirat Katar vermittelt seit Monaten zwischen Israel und der Hamas. Nun aber liessen die Katarer wissen, dass sie ihre Rolle «neu überdenken» wollen – offenbar verlieren sie die Lust, sich von allen Seiten unter Druck setzen zu lassen, während weder Netanyahu noch die Hamas ernsthaft einen baldigen Frieden anstreben.
Am Mittwoch schickte Erdogan seinen Aussenminister Hakan Fidan nach Doha. Ein Signal, dass die Türkei sich als eine Art Sprecherin der Hamas ins Spiel bringen will. Fidan sagte in Doha, dass die Hamas zu einem Abkommen bereit sei. Israel müsse sich hinter die Grenzen von 1967 zurückziehen, also auch das Westjordanland verlassen, die Hamas würde im Gegenzug ihren militärischen Flügel auflösen.
Neu ist dieser Hamas-Vorschlag nicht, er entstammt offenbar dem Politbüro um Haniya. Dass sich die Kämpfer der Hamas, also die Qassam-Brigaden, würden entwaffnen lassen, darf man bezweifeln.
Möglicher Umzug der Hamas-Führung in die Türkei
Ebenso, dass Israel die Türkei als Friedensmittlerin akzeptieren würde. Erdogan hat zwar bis heute die diplomatischen Beziehungen zum jüdischen Staat nicht angetastet. Die Rhetorik aber ist inzwischen dermassen eskaliert – siehe die ständigen Hitler-Vergleiche –, dass der türkische Präsident kaum noch als neutraler Mittler infrage kommt. Seine Sympathie für die Hamas ist zu deutlich.
Am Wochenende kursierten sogar Gerüchte über einen möglichen Umzug der Hamas-Führung in die Türkei. Abwegig ist das nicht. Präsident Erdogan hat Ismail Haniya schon öfter empfangen, es gibt zwischen ihm und der Hamas als palästinensischem Arm der Muslimbrüder auch eine ideologische Nähe. Erdogan nennt sie eine «Befreiungsorganisation», er hat Funktionäre wie Haniya mit türkischen Pässen ausstatten lassen.
Als Ersatz für Katar würde sich allerdings auch Oman anbieten, sollten Haniya und seine Leute tatsächlich Doha verlassen müssen. Das Sultanat wäre in einer Mittlerrolle wohl auch für Israel eine Alternative, denn es ist im Auftritt deutlich leiser als die Türkei.
Erdogan bekommt diese Woche weiteren Besuch – aus Deutschland, dem er gerade mal wieder vorwarf, es sei wegen seiner Geschichte im Nahostkonflikt «schweigsam» und Israel gegenüber «gebeugt». Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird am Mittwoch in Ankara erwartet. Die Begrüssung wird vermutlich kühler ausfallen als beim Besuch der Hamas.
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