Angriff auf World Central Kitchen«Israel muss dieses wahllose Töten beenden»
Starkoch José Andrés trauert um seine Mitarbeiter. Seine Hilfsorganisation führt im Gazastreifen siebzig Feldküchen. Der Beschuss erfolgte laut Israel unbeabsichtigt.
Der weisse Geländewagen trägt das Logo der Hilfsorganisation World Central Kitchen (WCK) auf dem Dach, daneben sieht man ein grosses Loch. Dort ist die Rakete eingeschlagen. Um das Fahrzeug herum liegen die orangefarbenen Westen der Insassen, an der Karosserie ist Blut zu erkennen; Einschusslöcher sind unübersehbar. Sieben Mitarbeiter der Hilfsorganisation sind am Montagabend bei einem Luftangriff im Gazastreifen ums Leben gekommen, in einem Gebiet, in dem es sonst keine aktiven Kampfhandlungen gab.
Netanyahu spricht von unbeabsichtigtem Treffer
Die israelische Armee kündige unmittelbar nach Bekanntwerden des Vorfalls eine Untersuchung an, man sei in «aufrichtiger Trauer». Am Dienstag räumte dann Ministerpräsident Benjamin Netanyahu den Beschuss offiziell ein. Es habe sich um einen unbeabsichtigten Treffer gehandelt: «Das passiert in Kriegszeiten», sagte er. Die Armee werde «alles tun, um sicherzustellen, dass so etwas nicht noch einmal geschieht». Israel stehe auch in Kontakt mit den Regierungen der Länder, aus denen einige der Toten stammten. Nach allem, was bisher bekannt ist, kommt eines der sieben Opfer aus Polen, andere stammen aus Australien, drei aus Grossbritannien und den Palästinensergebieten, manche hatten die amerikanische und die kanadische Staatsbürgerschaft.
Weltweit wurde der Angriff verurteilt: Spaniens Ministerpräsident Pedro Sanchez zeigte sich «entsetzt», Australiens Regierungschef Anthony Albanese nannte den Vorfall «jenseits aller vernünftigen Umstände» und liess den israelischen Botschafter einbestellen. Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell schrieb auf X: «Trotz aller Forderungen nach dem Schutz von Zivilisten und humanitären Helfern sehen wir neue unschuldige Opfer.»
2010 gegründet
Die Organisation WCK wurde im Jahr 2010 von dem spanischen Starkoch José Andrés gegründet. «World Central Kitchen» liesse sich mit «Zentrale Weltküche» übersetzen. Tatsächlich ist WCK rund um den Globus tätig. Seit Jahren versorgt die Nichtregierungsorganisation Zivilisten in Krisen- und Kriegsgebieten. So lieferte die Organisation Essenspakete an Erdbebenopfer in Haiti und Syrien, versorgte durch Waldbrände obdachlos gewordene Amerikaner in Kalifornien und arbeitet schon seit Monaten mit lokalen Partnern im Gazastreifen. Die Organisation hat seit dem Beginn des Krieges nach eigenen Angaben 1700 Lastwagenlieferungen nach Gaza gebracht, dazu die Einrichtung für etwa siebzig Feldküchen.
Ende Februar organisierte WCK die erste Hilfslieferung über See. Etwa 200 Tonnen Hilfsgüter kamen mit einem Schlepper aus Zypern nach Gaza. Am Montag hatten zwei weitere Schiffe Gaza erreicht, die an einem von WCK gebauten provisorischen Pier anlegten. Der einzige Hafen des besetzten Gebietes war von Israel zerstört worden. Die sieben Mitarbeiter der Hilfsorganisation waren vom WCK-Lagerhaus in Deir al-Balah in gepanzerten Fahrzeugen unterwegs zu ihren Unterkünften in Rafah ganz im Süden des Gazastreifens, als der Angriff passierte.
«Ich bin untröstlich»
«Ich bin untröstlich und trauere um ihre Familien und Freunde und unsere gesamte WCK-Familie», sagte Gründer Andrés auf X. «Die israelische Regierung muss dieses wahllose Töten beenden. Sie muss aufhören, die humanitäre Hilfe einzuschränken, aufhören, Zivilisten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen zu töten, und aufhören, Lebensmittel als Waffe einzusetzen.»
Nach seinen Angaben war die Route des nun beschossenen Konvois mit der israelischen Armee IDF abgesprochen. Tania Hary von der israelischen Hilfsorganisation Gisha sagte auf Twitter, dass WCK bei der IDF eine Art «Vorzugsbehandlung» genossen habe, da sie im Ruf stehe, keine politische Agenda zu verfolgen. «Am Ende bleibt die Wahrheit, dass niemand in Gaza sicher ist», so Hary. WCK und andere Hilfsorganisationen setzten ihre Hilfe vorerst aus, die zwei Schiffe, die von Zypern aus am Montag angekommen waren, kehren mit 240 Tonnen nicht entladener Hilfe zurück, teilte die Regierung von Zypern mit.
Der tödliche Beschuss und seine Folgen sind auch ein Rückschlag für die EU, die in den vergangenen Wochen versucht hatte, angesichts der drohenden Hungersnot mehr Hilfe auf dem See- und dem Luftweg nach Gaza zu bringen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte Anfang März bei einem Besuch auf Zypern den Seekorridor als effizienten Weg bezeichnet, «um dringend benötigte zusätzliche Mengen an humanitärer Hilfe zu liefern».
Hilfe aus der Luft reicht nicht
Ob nach diesem Zwischenfall nun in absehbarer Zukunft weitere Schiffe von Zypern nach Gaza aufbrechen werden, ist derzeit völlig unklar. Auch die Hilfe aus der Luft kann die katastrophale Lage in Gaza nicht grundsätzlich ändern, beim Versuch, abgeworfenen Hilfspakete aus dem Meer zu bergen, sind bereits mehr als zwölf Palästinenser ums Leben gekommen.
«Der Landweg ist die effizienteste Methode, aber Israel blockiert immer noch zu viele Hilfslieferungen», sagt Georgios Petropoulos, der Chef der UNO-Behörde für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten in Gaza-Stadt, am Telefon. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hatte Israel Ende Januar in einer einstweiligen Anordnung dazu verpflichtet, mehr Hilfe nach Gaza zu lassen. Weil seither aber nichts passiert ist, erneuerten die Richter vor wenigen Tagen ihren völkerrechtlich bindenden Aufruf, «in Anbetracht der sich verschlechternden Lebensbedingungen der Palästinenser im Gazastreifen, insbesondere der Ausbreitung von Hunger und Hungersnot».
Nach Ansicht von Hilfsorganisationen hat Israel seitdem tatsächlich nur wenig getan, um die Situation der 2,3 Millionen Palästinenser im Gazastreifen zu verbessern. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind eine halbe Million Menschen von Hunger bedroht. Mehr als zwanzig Kleinkinder sind offenbar bereits an den Folgen von Unterernährung gestorben. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen würden derzeit mindestens 300 LKW-Ladungen mit Hilfslieferungen pro Tag benötigt, um in Gaza eine Hungersnot zu verhindern. Derzeit kommen im Schnitt täglich aber lediglich 190 im Küstenstreifen an.
Auf der ägyptischen Seite der Grenze stauen sich die LKW, Hilfsorganisationen werfen Israel vor, zu wenige Laster nach Gaza hineinzulassen. Teilweise seien Lieferungen von Schlafsäcken zurückgewiesen worden, weil diese die Militärfarbe Grün gehabt hätten. Auch an Medikamenten fehlt es, Kindern mussten bereits ohne Betäubung Gliedmassen amputiert werden. Israel sagt, es lasse genug LKW durch, die Vereinten Nationen würden aber nicht über genügend Kapazitäten verfügen, um die Hilfe zu verteilen. «Wir sind bereit», sagt UNO-Koordinator Georgios Petropoulos, «und warten auf die Hilfe.»
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