Israelischer Angriff auf HilfskonvoiEntsetzen und Empörung nach Tötung von mehreren westlichen Helfern in Gaza
Sieben Mitarbeitende der Hilfsorganisation World Central Kitchen sind im Gazastreifen durch einen Luftangriff getötet worden. Israel räumt die Verantwortung dafür ein.
Was ist passiert?
Im Gazastreifen sind in der Nähe der Stadt Deir al-Balah bei einem vom israelischen Militär ausgeführten Luftangriff sieben Mitarbeiter der Hilfsorganisation World Central Kitchen getötet worden, wie die betroffene NGO mitteilt. Auf Filmaufnahmen aus dem Al-Aqsa-Märtyrer-Krankenhaus in Deir al-Balah sind mehrere Leichen zu sehen. Einige von ihnen tragen Schutzkleidung mit dem World-Central-Kitchen-Logo.
Die getöteten Personen waren in zwei gepanzerten Fahrzeugen mit dem Logo der Wohltätigkeitsorganisation unterwegs. Sie seien getroffen worden, nachdem sie geholfen hätten, Hilfsgüter auszuliefern, die Stunden zuvor mit einem Schiff aus Zypern eingetroffen waren, erklärte Mahmoud Thabet, ein Sanitäter des Palästinensischen Roten Halbmonds, gegenüber der Nachrichtenagentur AP.
Wer sind die Opfer?
Gemäss der Hilfsorganisation handelt es sich bei den Opfern um Staatsangehörige Australiens, Polens, Grossbritanniens, einen Doppelbürger der USA und Kanadas sowie Palästinas. Der Gründer von World Central Kitchen, José Andrés, bestätigte die Todesfälle auf der Social-Media-Plattform X:
«Ich bin untröstlich und trauere mit ihren Familien und Freunden und unserer gesamte WCK-Familie. Die israelische Regierung muss dieses wahllose Töten stoppen. Sie muss aufhören, die humanitäre Hilfe einzuschränken, Zivilisten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen zu töten und Lebensmittel als Waffe einzusetzen.»
Die israelischen Streitkräfte erklärten, sie würden «eine gründliche Untersuchung auf höchster Ebene durchführen, um die Umstände dieses tragischen Vorfalls zu verstehen».
Die australische Regierung hat in der Nacht auf Dienstag bestätigt, dass eine Australierin unter den Todesopfern ist.
Welches ist der Hintergrund des Vorfalls?
Schiffe hatten am Montag rund 400 Tonnen Lebensmittel und andere Hilfsgüter im Rahmen einer von den Vereinigten Arabischen Emiraten und der von Starkoch José Andrés gegründeten Wohltätigkeitsorganisation World Central Kitchen organisierten Lieferung in den Gazastreifen gebracht. Israel hat der UNRWA, der wichtigsten UN-Organisation im Gazastreifen, Lieferungen in den Norden untersagt.
Nach eigenen Angaben hat die Organisation bisher mehr als 42 Millionen Mahlzeiten im Gazastreifen ausgegeben.
Was sagt Israel?
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hat die Verantwortung des Militärs für den tödlichen Angriff eingeräumt. Er sprach am Dienstag in einer Videobotschaft von einem «tragischen Fall eines unabsichtlichen Treffers unserer Streitkräfte gegen Unschuldige im Gazastreifen». Man prüfe den Vorfall und werde alles tun, damit er sich nicht wiederhole.
Auch das Militär hat nach der tödlichen Attacke «aufrichtiges Bedauern» bekundet und eine unabhängige Untersuchung angekündigt. Militärsprecher Daniel Hagari sagte am Dienstag, der Vorfall werde auf höchster Ebene untersucht. Die unabhängige Untersuchung werde dabei helfen, «das Risiko zu reduzieren, dass sich ein solcher Vorfall wiederholt».
Wie reagiert die internationale Gemeinschaft?
Unter anderem Ägypten verurteilte den Angriff scharf. Das ägyptische Aussenministerium sprach in seiner Erklärung vom Dienstag von anhaltenden Angriffen Israels auf Organisationen, die im humanitären Bereich tätig seien. Ägypten fordere eine dringende und ernsthafte Untersuchung, um die Verantwortlichen «für diese systematischen und vorsätzlichen Verletzungen der palästinensischen Menschenrechte zur Rechenschaft zu ziehen».
Der Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen, Martin Griffiths, hob den Mut der sieben getöteten humanitären Helfer in Gaza hervor. «Sie waren Helden. Sie wurden getötet, während sie versucht haben, hungernde Menschen zu ernähren», schrieb er auf X.
Die britische Regierung forderte nach dem tödlichen Angriff Aufklärung von Israel. Die Nachricht sei zutiefst erschütternd, teilte der britische Aussenminister David Cameron am Dienstag mit.
Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez sagte: «Ich erwarte und fordere, dass die israelische Regierung so schnell wie möglich die Umstände dieses brutalen Angriffs aufklärt, der sieben Mitarbeitern einer Hilfsorganisation das Leben gekostet hat, die nichts anderes getan haben, als zu helfen».
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen schrieb bei X: «Ich würdige die Helfer, die in Gaza ihr Leben verloren haben.» Die Hilfsorganisation sei ein entscheidender Partner bei der Linderung des Leidens der Menschen in Gaza, unter anderem durch die Bereitstellung von Nahrungsmitteln über den Seekorridor.
Wie geht es mit dem Hilfseinsatz weiter?
World Central Kitchen (WCK) hat angekündigt, ihre Arbeit im Gazastreifen vorerst einzustellen. «Wir werden unsere Aktivitäten in der Region aussetzen», erklärte die Organisation am Dienstag.
Zypern teilte mit, die in den Gazastreifen geschickten Hilfsschiffe kehrten zurück nach Zypern. An Bord seien noch etwa 240 Tonnen Hilfsgüter, die nicht verteilt worden seien. Etwa 100 Tonnen Hilfsgüter seien zuvor von World Central Kitchen entladen worden, erklärte das Aussenministerium in Nikosia. Zypern hat eine zentrale Rolle bei dem Versuch eingenommen, von seinem Hafen Larnaka aus auf dem Seeweg Hilfsgüter für die Hunger leidende Bevölkerung in den Gazastreifen zu bringen und zu verteilen.
Was ist World Central Kitchen genau?
Die US-Hilfsorganisation World Central Kitchen ist weltweit im Einsatz. Seit dem Beginn des Krieges zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas kümmerte sich die Organisation in dem Palästinensergebiet vor allem um die Verteilung von Hilfsgütern an die notleidende Zivilbevölkerung.
World Central Kitchen war auch federführend an der Lieferung von Lebensmitteln per Schiff aus Zypern in den Gazastreifen und am Bau einer Anlegestelle beteiligt.
«Wenn andere sich von den Katastrophen entfernen, haben wir aussergewöhnliche Menschen, die in die Katastrophengebiete gehen, um den Menschen zu helfen», sagte der Gründer und Koch José Andrés im November im US-Fernsehen. Der von Spanien in die USA ausgewanderte 54-Jährige hatte sein Handwerk beim katalanischen Spitzenkoch Ferran Adrià gelernt; durch Fernsehsendungen und Bücher wurde er in den USA zum Medienstar. Er besitzt mehrere Restaurants.
Der humanitären Hilfe wandte sich Andrés im Jahr 2010 zu: Damals reiste er nach Haiti, um der von einem schweren Erdbeben getroffenen Bevölkerung zu helfen. In der Folge gründete der Küchenchef die Organisation World Central Kitchen.
Seitdem verteilten die ehrenamtlichen Helfer Millionen von Mahlzeiten an Menschen in Krisengebieten, etwa nach Naturkatastrophen oder während der Corona-Pandemie. Einsatzorte waren unter anderem die USA, die Bahamas, Puerto Rico, Indonesien, Mexiko und die Ukraine.
2021 wurden Andrés und World Central Kitchen für ihre Arbeit mit dem spanischen Prinzessin-von-Asturien-Preis ausgezeichnet.
DPA/AFP/sme/anf
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