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Debatte über Gaza nach dem Krieg
Israels Rechtsextreme wollen Palästinenser vertreiben

epa11002995 Israeli National Security Minister Itamar Ben Gvir (C) is escorted by security officials as he visits the area of a shooting attack at the entrance of Jerusalem, 30 November 2023. Following an attack by two Palestinian shooters, who also died on the scene, at the entrance to Jerusalem on Sderot Weizman Street in Trampiada, one of six Israeli victims was pronounced dead at the scene, while two injured succumbed to their wounds with the rest remaining in moderate condition.  EPA/ABIR SULTAN

Der Tag danach – man müsste das eigentlich in Versalien schreiben nach drei Monaten eines erschütternden Kriegs im Nahen Osten: DER TAG DANACH. Er ist zur Formel geworden, die in keiner Debatte über den Gazakrieg mehr fehlen darf. Doch diese Formel hat keine klare Form.

Jeder füllt in sie hinein, was an Konzepten, Wünschen, heimlichen oder unheimlichen Vorstellungen für eine nahöstliche Nachkriegsordnung durch den politischen Orbit schwirrt. Kurzum, die Debatte über «den Tag danach» wird fast genauso erbittert geführt wie die auf unabsehbare Zeit andauernden Gefechte um den Gazastreifen.

Idee einer reformierten Palästinenserbehörde

Israel und seine engsten Verbündeten im Westen finden sich dabei auf zwei verschiedenen Seiten wieder. Die USA und die Europäer favorisieren eine Friedenslösung, die den Gazastreifen nach dem Ende des Hamas-Regimes unter die Kontrolle einer – vage formuliert – «reformierten Palästinensischen Autonomiebehörde» stellt.

Es wäre die Rückkehr der als gemässigt, aber auch als korrupt geltenden Kräfte der Fatah von Präsident Mahmud Abbas, die in einem Putsch 2007 von der Hamas aus Gaza vertrieben wurden und seither nur noch das Westjordanland regieren. Die beiden Palästinensergebiete wären damit wieder vereint – eine wichtige Grundlage dafür, dass anschliessend Verhandlungen über eine Zweistaatenlösung aufgenommen werden können.

Von dieser Zweistaatenlösung will in Israel allerdings derzeit kaum einer noch etwas hören, schon gar nicht in der rechts-religiösen Regierung von Premierminister Benjamin Netanyahu.

Vom Einsatz von Atombomben ist gar die Rede

Welche Lösung er stattdessen anstrebt, hat Netanyahu bislang beharrlich verweigert zu sagen. Nur zwei Pfeiler hat er eingerammt: Erstens lehnt er eine Rückkehr der Autonomiebehörde strikt ab. Zweitens pocht er auf eine israelische Sicherheitskontrolle über Gaza nach dem Krieg. Alles andere bleibt offen oder widersprüchlich.

Damit öffnet sich ein weites Feld für unheilvolle Debatten, die in Israel dominiert werden von populistischen Schwätzern und rechtsextremen Ideologen. Zu den Schwätzern gehören Minister wie Amichai Elijahu, der den Einsatz von Atombomben in Gaza als Option bezeichnet hat.

Israeli Finance Minister Bezalel Smotrich shakes the hand of Israeli Prime Minister Benjamin Netanyahu as they hold a news conference at the Prime Minister's office in Jerusalem, Wednesday, Jan. 25, 2023.  (Ronen Zvulun/Pool Photo via AP)

Die Ideologen werden angeführt von Finanzminister Bezalel Smotrich und von Itamar Ben-Gvir, dem Minister für Nationale Sicherheit. Diese beiden – und andere aus Netanyahus Likud-Partei – propagieren eine Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus dem Gazastreifen, für die ein zynischer Euphemismus gefunden wurde: eine «freiwillige Abwanderung» als «humanitäre Lösung».

Ben-Gvir verkündete in dieser Woche, der Krieg sei eine Gelegenheit, die «Umsiedlung der Bewohner» zu fördern. Smotrich tut sich mit Rechenbeispielen hervor, nach denen am Ende noch 200’000 der bislang 2,2 Millionen Bewohner in Gaza verbleiben könnten. Wenn Israel richtig vorgehe, werde es eine Abwanderung der Palästinenser geben – «und wir werden im Gazastreifen leben».

Bizarr anmutende Debatten laufen bereits darüber, Hunderttausende Palästinenser als Gastarbeiter nach Saudiarabien, nach Europa oder gar in den Kongo abzudrängen.

Scharfe Reaktionen aus Washington und Brüssel

Deutlich wie nie sind solche Planspiele in den vergangenen Tagen von Israels Verbündeten verurteilt worden. Die Regierung in Washington forderte das Ende solcher «aufrührerischen und unverantwortlichen Rhetorik». In Brüssel wurde darauf verwiesen, dass «Zwangsumsiedlungen als schwere Verletzung des humanitären Völkerrechts verboten» sind. Netanyahu, der seine rechtsextremen Partner zur Ordnung rufen müsste, schweigt zu alledem.

Seine Macht hängt von den Extremisten in der Regierung ab. Gleichwohl steigt der Druck auf ihn. Von aussen, weil in der nächsten Woche US-Aussenminister Antony Blinken nach Israel reisen will und Antworten auf die Frage nach dem Tag danach erwartet. Von innen, weil die Armeeführung auf eine klare Exit-Strategie drängt, um den Krieg in Gaza nicht im Blindflug weiterführen zu müssen. Netanyahu aber spielt auf Zeit.

Vor einer Sitzung des Sicherheitskabinetts an diesem Donnerstagabend sind nur Bruchstücke der eigentlich erforderlichen Gesamtlösung durchgesickert: die geplante Einrichtung einer Pufferzone oder eine Übertragung von Verwaltungsaufgaben in Teilen des Gazastreifens an «örtliche Clans».

Das ist weit entfernt vom grossen Wurf, den der Westen anstrebt. Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell fordert nun bereits, dass die internationale Gemeinschaft eine Lösung für den Tag danach «von aussen auferlegen» müsse.