Gastbeitrag zum AsylrechtStänderat verhindert Lösung für die Schwächsten
Es gibt Menschen, die seit Jahren ohne Perspektive in Rückkehrzentren leben. Eben erst verweigerte der Ständerat wieder eine Lösung. Das ist eine nationale Schande.
Können Sie sich vorstellen, dass in der Schweiz Menschen unter widrigsten Bedingungen leben müssen – behördlich verordnet? Dass ihnen für die Lebenskosten zu wenig Geld für ein menschenwürdiges Dasein zur Verfügung gestellt wird – gleichzeitig dürfen sie aber nicht arbeiten?
Eine Motion der EVP wollte einen Ausweg bieten für Personen, die seit Jahren in Rückkehrzentren leben. Mit einer einmaligen Regularisierung wäre jenen, die ihre Asylanträge vor Februar 2019 einreichten, eine Erwerbstätigkeit erlaubt worden. Der Nationalrat stimmte der Motion diesen März noch zu. Der Ständerat lehnte sie am 12. September nun aber mit 30 zu 12 Stimmen ab.
Die grösste Gruppe der abgewiesenen Asylsuchenden stammt aus Eritrea. Es sind aber auch Menschen aus Äthiopien, dem Irak, dem Iran und Tibet (China) unter diesen 2500 Personen, die als Langzeit-Nothilfebeziehende gelten. Es ist eine ungelöste Situation für eine verhältnismässig kleine Gruppe von Geflüchteten, die nach altem Asylrecht jahrelang auf einen Entscheid warten musste.
Bereits im Februar 2022 – im Schatten des schrecklichen Kriegsbeginns in der Ukraine – wurde erfolglos versucht, auf die prekären Umstände dieser Menschen aufmerksam zu machen. Einerseits durch einen Bericht der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter zu den Rückkehrzentren des Kantons Bern, anderseits durch einen offenen Brief «Für eine humane Behandlung von abgewiesenen Asylsuchenden» von 540 medizinischen Fachpersonen.
Von Verletzung des Rechtsgleichheitsgebots zu sprechen, ist zynisch und heuchlerisch.
Der Ständerat stützte sich bei seinem Entscheid auf die Expertise des Staatssekretariats für Migration (SEM). Er argumentierte, es würde das Rechtsgleichheitsgebot verletzen, einer bestimmten Gruppe mit einer humanitären Aktion pauschal eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. Diese Argumentation, die auch der Bundesrat teilt, hält der Realität in keiner Weise stand.
Von Verletzung des Rechtsgleichheitsgebots zu sprechen, ist im vorliegenden Fall besonders zynisch und heuchlerisch. Wie erwähnt stammt die grösste Gruppe der Langzeit-Nothilfebeziehenden aus Eritrea, und es betrifft vor allem regimekritische Personen. Regimefreundliche wären längst in ihr Herkunftsland zurückgekehrt, denn wer möchte allen Ernstes freiwillig über Jahre in einem Rückkehrzentrum bleiben?
Im Juni 2016 – während der letzten Flüchtlingskrise – verschärfte das SEM die Aufnahmepraxis gegenüber Asylsuchenden aus Eritrea. Es ging darum, den Pull-Effekt – die Sogwirkung – aus Eritrea zu bremsen. Die Praxisänderung war das Resultat eines massiven gesellschaftlichen und politischen Drucks, und sie war nie faktenbasiert, denn an Eritreas Steinzeitdiktatur hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten nichts geändert. Dass die nun Abgewiesenen nicht nach Eritrea zurückkehren würden, war offenkundig. Einzelne wichen in unsere Nachbarländer aus.
Wie kann es sein, dass Geflüchtete mit identischen Geschichten teilweise aufgenommen, teilweise abgewiesen werden?
Zurück blieben überproportional viele alleinerziehende Frauen und Familien. Für sie ist Abtauchen keine Option. Sie leben heute häufig unter prekären Lebensbedingungen in Rückkehrzentren, eingezwängt in einzelne Zimmer. Diese Abgewiesenen sind tatsächlich Opfer einer Verletzung des Rechtsgleichheitsgebots, denn wie kann es sein, dass Geflüchtete mit identischen Flucht- und Herkunftsgeschichten teilweise aufgenommen, teilweise abgewiesen werden?
Das Thema der Nothilfelangzeitfälle hat eine ähnliche Dimension wie die Frage der administrativ Versorgten des vergangenen Jahrhunderts. Damit sind nicht Verdingkinder gemeint, sondern die Situation von renitenten oder von der gesellschaftlichen Norm abweichenden Erwachsenen, die nach damals geltendem Gesetz versorgt und ihrer Grund- und Menschenrechte beraubt wurden. Obwohl wir in diesem Frühjahr im Kanton Bern eine Aktion Zeder durchführten (Zeichen der Erinnerung im Hinblick auf Verdingkinder und administrativ Versorgte), reproduzieren wir den gleichen Fehler. Viele Familien sind davon betroffen, Grund- und Kinderrechte werden mit Füssen getreten.
Wer aber interessiert sich für ein paar Hundert Flüchtlinge, die unter die Räder unserer restriktiven Asylgesetze geraten sind? Was aber passiert, wenn unsere Politiker und unsere Behörden die Bindung an Grund- und Menschenrechte zu verlieren beginnen? Diese nationale Schande muss ein Ende haben, auch wenn Wahljahr ist und die SVP Behörden und Mitteparteien vor sich hertreibt.
Daniel Winkler ist evangelisch-reformierter Pfarrer und engagiert sich stark in der Flüchtlingsarbeit.
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