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Meinung

Gastkommentar zur Asylpolitik
Wo Menschen «entsorgt» werden

Temporäre Heimat für viel zu lange Zeit: Rückkehrzentrum Biel-Bözingen für abgewiesene Asylbewerbende in Biel.
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Der von der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter und unmenschlicher Behandlung (NKVF) letzte Woche veröffentlichte Bericht zu den Berner Rückkehrzentren kommt zu dem Schluss, dass die Unterbringung der dort lebenden Asylsuchenden menschenunwürdig sei. Insbesondere die Lage der Kinder sei mit der UNO-Kinderrechtskonvention nicht vereinbar, die Wohnsituation von Familien prekär – in Gefängnissen die Raumverhältnisse komfortabler. Die fehlende Beschäftigung gefährde die psychische Gesundheit. In anderen Rückkehrzentren der Schweiz, in den Kantonen Aargau, Graubünden, St. Gallen oder Zürich, sind die Bedingungen in keiner Weise besser.

Das Wort Rückkehrzentrum ist eine Beschönigung. Es sind weitgehend Verwahrungsorte. In Dänemark spricht man von Ausschaffungslagern. Dort leben inzwischen syrische Flüchtlinge, die nicht zurückgeführt werden können. Die Konsequenz daraus ist die Verwahrung im Lager. 

Die Schweiz sollte sich hüten, mit dem Finger auf Dänemark zu zeigen. In der Schweiz sind es nicht syrische, sondern afghanische, eritreische oder tibetische Asylsuchende, die seit Jahren in den Nothilfestrukturen leben. Das Wort Nothilfe bagatellisiert dabei die Verhältnisse, welche Not regelrecht erzeugen, um den Ausreisedruck zu erhöhen. Die Repression führt aber nicht zum Ziel: Schon vor der Pandemie Anfang 2020 lebten fast drei Viertel aller Abgewiesenen seit über einem Jahr unter menschenunwürdigen Bedingungen, wie die NKVF jetzt feststellt. Ein solches Leben ist bloss für wenige Tage oder Wochen vorgesehen und nur als Kurzaufenthalt grund- und menschenrechtskonform. 

Wo liegt das Problem? Gebetsmühlenartig wiederholen die kantonalen und nationalen Asylbehörden, dass die Abgewiesenen sich ihrer Pflicht zur selbstständigen Ausreise widersetzt hätten und deshalb an ihrer Situation selbst schuld seien. Das Gleiche gelte für die vielen Nothilfekinder. Sie seien Opfer ihrer Eltern, die nicht ausreisen wollten. Dieses Narrativ blendet entscheidende Aspekte aus.

Langzeitbeziehende in der Nothilfe sind vor allem Personen aus Ländern mit erschwerten Rückkehrbedingungen wie Afghanistan, das Bürgerkriegsland Äthiopien, Eritrea und Tibet. Wenn Länder Rückübernahmeabkommen verweigern, ist das häufig dem Umstand fehlender minimaler rechtsstaatlicher Strukturen geschuldet. Diesem Zusammenhang tragen unsere Asylbehörden keine Rechnung. Sie pochen auf die Gleichbehandlung aller Abgewiesenen, was mehr bürokratischer Bequemlichkeit als einer realistischen Einschätzung der Verhältnisse entspricht.

Ein Lösungsansatz wäre, Dublin-Fälle, die rasch ins Erstaufnahmeland zurückgeführt werden, und Abgewiesene mit Rückübernahmeabkommen kurzzeitig in Zentren zu platzieren. Asylsuchende und Familien aus Ländern mit schwierigen Rückkehrbedingungen müssen in Wohnungen leben können. Auch dort sind sie für die Behörden jederzeit greifbar.

Das Nothilferegime und die damit verbundene Idee der Rückkehrzentren sind durch demokratisch legitimierte Entscheide entstanden. Bloss wusste damals noch niemand, dass die Rückkehrzentren dereinst ihren Namen nicht verdienen würden. Und hätte das Schweizervolk geahnt, dass Familien, Frauen und Kinder in diesen Zentren verelenden, hätte es anders entschieden. Niemand wusste damals, welche giftigen Früchte diese Idee einmal tragen würde: Menschen werden sozusagen «entsorgt». Das ist eine unzumutbare Situation, die auf nationaler Ebene möglichst rasch einer Korrektur bedarf. An diesem Beispiel zeigt sich, dass der Anstrich der Zivilisation über der Barbarei dünn ist.

*Daniel Winkler ist evangelisch-reformierter Pfarrer in Riggisberg im Kanton Bern. Er engagiert sich in der Flüchtlingsarbeit und setzt sich mit der Aktionsgruppe Nothilfe unter anderem für Langzeitfälle in der Nothilfe ein.