GastbeitragDie Ukraine braucht mehr Hilfe – auch von der Schweiz
Eine unheilige Allianz verhindert, dass die Schweiz der Ukraine die benötigten Waffen liefert. Das muss sich 2024 ändern. Vor allem ein bestimmtes Lager ist dabei gefordert.
Am 24. Februar 2022 attackierte Russland die Ukraine mit dem erklärten Ziel, das Land als unabhängige Demokratie auszulöschen. Seither starben im Abwehrkampf Zehntausende von ukrainischen Soldaten und im Bombenhagel auf die Städte rund zehntausend Zivilisten. Mehr als hunderttausend Wohnungen und Hunderte Schulen und Spitäler wurden zerstört oder stark beschädigt. 12 Millionen Menschen haben ihre Wohnungen verlassen. Davon sind mehr als 5 Millionen in Nachbarländer geflohen.
Der brutale Angriff hat in Europa eine Welle der Solidarität ausgelöst. Allein Polen und Deutschland haben je über eine Million Flüchtlinge aufgenommen. Die USA und die Europäische Union liefern für den Abwehrkampf laufend dringend benötigte Waffen im Umfang von Dutzenden von Milliarden Franken.
Nicht so die Schweiz. Sie beschränkt sich auf die Aufnahme von Flüchtlingen und auf humanitäre Unterstützung. Obwohl in der Präambel der Bundesverfassung geschrieben steht: «… um Freiheit und Demokratie, Unabhängigkeit und Frieden in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt zu stärken», praktiziert die Schweiz in dieser Hinsicht keine Solidarität. Begründet wird das mit dem Kriegsmaterialgesetz, welches vorschreibt, dass keine Rüstungsgüter an kriegsführende Länder geliefert werden dürfen. Dabei führt die Ukraine keinen Krieg gegen Russland, sondern verteidigt sich gegen einen Aggressor. Der Bundesrat hat in der Ukraine-Verordnung absurderweise festgeschrieben, dass der Aggressor und der Verteidiger in diesem Krieg gleichbehandelt werden sollen.
Ein Hohn gegenüber den Opfern
Für die Ukraine muss diese Haltung wie ein Hohn wirken, liefert doch die Schweiz seit Jahren Waffen an Saudiarabien, welches in den Jemen-Konflikt verwickelt ist. Geradezu grotesk ist der Umstand, dass die Schweiz europäischen Staaten die Lieferung von in der Schweiz gekauften Waffen in die Ukraine verbietet. Die meisten europäischen Staaten zeigen wenig Verständnis für die unfaire Schweizer Haltung. Man sieht die Schweiz als Irrlicht und nicht als Mitglied der solidarischen Wertegemeinschaft.
Dabei werden in der Schweiz Waffen produziert, welche die Ukraine dringend benötigt. In Zürich-Oerlikon werden sogenannte Luftnahbereich-Abwehrsysteme hergestellt, welche Flugzeuge, Helikopter und Drohnen abschiessen können. Das Flugabwehrsystem Skynex kann ganze Schwärme von Drohnen aufs Mal abschiessen und wäre für die Ukraine, welche täglichen Drohnenangriffen auf ihre Städte ausgesetzt ist, von unschätzbarem Wert. Wie viele Menschenleben hätten mit diesen Schweizer Waffen gerettet werden können? Wie viele könnten in Zukunft noch gerettet werden?
Dass sich bisher weder der Bundesrat noch das Parlament in Richtung Unterstützung der defensiven Wehrbereitschaft der Ukraine bewegen, ist auf eine unheilige Allianz zurückzuführen. Das linksgrüne Lager will die Rüstungsindustrie so klein wie möglich halten oder sogar abschaffen, die Rechtskonservativen haben die Neutralität zum Staatszweck der Schweiz verklärt.
Nach fast zwei Jahren Krieg haben die brutalen Angriffe auf die ukrainischen Städte wieder zugenommen. Flugabwehrwaffen sind nötiger denn je. Gibts Hoffnung, dass sich die Schweizer Politik 2024 bewegt? Von der SVP nicht. Da herrscht zu viel offene und heimliche Bewunderung für das despotische Regime in Russland. Vom linksgrünen Lager hingegen könnte man es erwarten. Hier könnte «internationale Solidarität» aktiv gelebt werden, indem man zusammen mit Freisinnigen und der Mitte den Weg frei macht für die Lieferung von lebensrettenden Flugabwehrsystemen.
Hans Kissling ist Volkswirtschaftler und ehemaliger Chef des Statistischen Amtes des Kantons Zürich.
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