Zweifel an Unfall mehren sichNato untersucht Nord-Stream-Lecks, Video soll Gasaustritt zeigen
Nach der Beschädigung der Nord-Stream-Gaspipelines unter der Ostsee mehren sich die Zweifel an einem Unfall.
Nachdem in kurzer Zeit für die beiden Ostseepipelines Nord Stream 1 und 2 ein Druckabfall festgestellt wurde, sind mittlerweile drei Lecks ausgemacht. Es mehren sich die Zweifel an einem Unfall.
Nach der Beschädigung der Nord-Stream-Gaspipelines unter der Ostsee suchen Behörden in Deutschland und Dänemark weiter nach der Ursache. Die dänische Marine und deutsche Spezialisten bemühten sich um Aufklärung, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Dienstagmorgen aus Sicherheitskreisen. Bislang sei die Ursache für die Vorfälle nicht geklärt. Jedoch spreche einiges für Sabotage. Sollte es sich um einen Anschlag handeln, würde angesichts des technischen Aufwands eigentlich nur ein staatlicher Akteur infrage kommen.
Die Nato untersucht die Lecks. «Die Nato beobachtet die Situation in der Ostsee genau», sagte ein Vertreter des Bündnisses am Dienstag der Nachrichtenagentur AFP. Die Bündnispartner seien dabei auch im engen Austausch mit den Ostseeanrainern Finnland und Schweden, die zwar einen Mitgliedsantrag gestellt haben, aber noch keine Nato-Mitglieder sind.
In Dänemark und in Schweden sind Krisenstäbe einberufen worden. Als man von den Lecks erfahren habe, sei das Krisenmanagement zusammengerufen worden, an dem mehrere Ministerien und Behörden beteiligt seien, sagte die schwedische Aussenministerin Ann Linde der Zeitung «Aftonbladet». Der dänische Aussenminister Jeppe Kofod habe sie kontaktiert, virtuelle Treffen seien am Abend geplant. Auf die Frage, was genau passiert sei, sagte sie: «Ich möchte nicht darüber spekulieren. Man muss ganz sicher sein, was passiert ist und wie das unsere Sicherheit beeinflusst.»
Schwedische Seismologen: Explosionen registriert
Das schwedische Nationale Seismische Netzwerk habe zwei Ereignisse mit «massiven Energiefreisetzungen» in der Nähe der dänischen Insel Bornholm aufgezeichnet, sagte Peter Schmidt, Seismologe an der Universität Uppsala, am Dienstag der Nachrichtenagentur AFP. Die Ursache «kann nur eine Explosion sein».
Die erste dieser Explosionen ereignete sich demnach in der Nacht zum Montag um 02.04 Uhr früh südöstlich von Bornholm, die zweite um 19.04 Uhr am Montagabend.
Ein Video, das auf Twitter verbreitet wird, soll Gausaustritt aus der Pipeline in der Ostsee zeigen.
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Polen schliesse nicht aus, dass die von dänischen Behörden entdeckten Lecks an den Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 auf eine russische Provokation zurückzuführen seien. Man befinde sich in einer Situation hoher internationaler Spannung, sagte Polens Vize-Aussenminister Marcin Przydacz am Dienstag in Warschau. «Leider verfolgt unser östlicher Nachbar ständig eine aggressive Politik. Wenn er zu einer aggressiven militärischen Politik in der Ukraine fähig ist, ist es offensichtlich, dass keine Provokationen ausgeschlossen werden können, auch nicht in den Abschnitten, die in Westeuropa liegen.»
Für EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen deuten die Lecks auf Sabotage hin. Sie habe mit der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen über «den Sabotageakt» gesprochen, schrieb von der Leyen am Dienstagabend auf Twitter. Es sei nun von grösster Bedeutung, die Vorfälle zu untersuchen, um «vollständige Klarheit» über die Geschehnisse und den Hintergrund zu erhalten. «Jede absichtliche Störung von aktiver europäischer Energieinfrastruktur ist inakzeptabel und wird zu der stärksten möglichen Reaktion führen», warnte die Kommissionspräsidentin
Auch Russland schliesst Sabotage oder andere Gründe nicht aus. «Jetzt kann keine Variante ausgeschlossen werden», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstag auf die Frage, ob Sabotage der Grund sein könne für den Druckabfall.
Untersuchungen laufen
In der Nacht zum Montag war zunächst in einer der beiden Röhren der nicht genutzten Pipeline Nord Stream 2 ein starker Druckabfall festgestellt worden. Am Montagabend meldete der Betreiber dann auch einen Druckabfall in beiden Röhren von Nord Stream 1.
Wegen der Lecks hat die zuständige dänische Schifffahrtsbehörde nahe der dänischen Insel Bornholm Sperrzonen für den Schiffsverkehr eingerichtet. Dänische Behörden haben an den Gaspipelines insgesamt drei Lecks entdeckt. Es sei die Rede von zwei Lecks an Nord Stream 1 nordöstlich der Ostsee-Insel Bornholm sowie einem an Nord Stream 2 südöstlich der Insel, teilte die dänische Energiebehörde am Dienstag mit. Im Falle von Nord Stream 1 befinde sich das eine Leck in dänischen und das andere in schwedischen Gewässern. Das Leck von Nord Stream 2 liege in dänischen Gewässern.
Man veranlasse derzeit Untersuchungen, sagte ein Sprecher der Nord Stream AG, die für Nord Stream 1 zuständig ist. Zum Ausmass etwaiger Schäden könne man vorher keine Angaben machen. Im Bereich um Bornholm liegen die Leitungen seiner Aussage nach etwa 70 Meter unter der Wasseroberfläche. Laut Nord-Stream-2-Sprecher Ulrich Lissek sind die Leitungen so verlegt, dass eine gleichzeitige Beschädigung mehrerer Leitungen etwa durch einen einzelnen Schiffsunfall höchst unwahrscheinlich ist. Zur Frage, ob ihm ähnliche Vorfälle im Zusammenhang mit Offshore-Pipelines bekannt seien, sagte er: «Hab› ich nie gehört.»
Sehr robuste Leitungen
Auch ein Experte für Unterwasserroboter verwies im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur auf die extrem hohen Sicherheitsstandards und die sehr robuste Bauweise der Leitungen. Aus seiner Sicht kommt nur eine bewusste Manipulation in Frage. Nach seiner Einschätzung werden Behörden nun mit Tauchrobotern Erkundungen vornehmen.
Wie die dänische Zeitung «Jyllands-Posten» unter Berufung auf das dänische Militär berichtete, wurde das Leck an Nord Stream 2 am Montag von dänischen F-16-Kampfjets entdeckt. Sie wurden demnach von Bornholm aus in die Luft geschickt, um das Gebiet zu fotografieren. Sie hätten dabei entdeckt, dass an einem Punkt südöstlich der Insel Blasen aus dem Wasser aufgestiegen seien.
Nach Angaben der dänischen Energiebehörde können Schiffe den Auftrieb verlieren, wenn sie in das Gebiet hineinfahren. Zudem bestehe möglicherweise eine Entzündungsgefahr. Ausserhalb der Zone gebe es keine Gefahr, auch nicht für die Einwohner von Bornholm und der kleinen Nachbarinsel Christiansø.
Deutsche und dänische Behörden wiesen darauf hin, dass die Vorfälle keine Auswirkung auf die Gasversorgung hätten, da die Leitungen zuletzt nicht für den Gasimport benutzt worden seien.
Der deutsche Bund für Umwelt und Naturschutz schätzt die möglichen kurzfristigen Auswirkungen der Lecks an den Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 auf die Umwelt als lokal begrenzt ein.
Während über die Pipeline Nord Stream 1 bis vor einigen Wochen noch Gas aus Russland nach Deutschland geflossen war – wenn auch mit gedrosselter Kapazität – war die Genehmigung für den Import über Nord Stream 2 kurz vor dem russischen Angriff auf die Ukraine von der deutschen Regierung auf Eis gelegt worden. Danach hatte sie wegen des Krieges eine Nutzung ausgeschlossen.
Methan-Ausstoss könnte Folgen haben
Trotz des zweiten Vorfalls innerhalb kurzer Zeit sahen das deutsche Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und die deutsche Bundesnetzagentur am Montagabend keine Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit in Deutschland. Auch Umweltgefahren wegen des Lecks bei Bornholm drohen aus Sicht der Deutschen Umwelthilfe zumindest kurzfristig nicht. Der Organisation zufolge entspreche Erdgas dem Treibhausgas Methan, welches sich teilweise im Wasser löse und nicht giftig sei. Selbst im Falle einer Explosion unter Wasser gäbe es nur lokale Effekte, so ein Sprecher.
Schädlich ist Methan vor allem für das Klima. Im schlimmsten Fall könnte eine grosse Menge an Gas austreten, vor allem falls auch der Druckabfall in der Nord Stream 1-Leitung auf einen Schaden an der Leitung selbst zurückzuführen ist.
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Pipeline könnte leerlaufen
Der Sprecher des im Zug ansässigen Pipeline-Betreibers Nord Stream 2 AG , Ulrich Lissek, befürchtet bereits, dass die mit 177 Millionen Kubikmeter Gas gefüllte Pipeline in den kommenden Tagen leerlaufen könnte. Zum Vergleich: Das Volumen der gesamten jährlichen Trinkwasserentnahme aus dem Bodensee entspricht laut der Bodensee-Wasserversorgung 130 Millionen Kubikmeter. Wäre der mit 48 Milliarden Kubikmeter Wasser gefüllte See ein Gassee, entspräche dies zudem ungefähr den 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas, das jährlich durch beide Röhren von Nord Stream 2 hätte fliessen sollen.
Während die Nord Stream 2-Pipeline nach ihrer Fertigstellung aufgrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine nie in Betrieb genommen wurde, sondern nur einmalig mit Gas befüllt wurde, floss durch die Nord Stream 1-Pipeline bis Anfang September Gas nach Deutschland. Nachdem der russische Staatskonzern Gazprom seine Lieferungen durch die Röhre bereits zuvor reduziert hatte, stoppte er diese mit dem Verweis auf einen Ölaustritt in der Kompressorstation Portowaja komplett.
Einschränkungen durch Sanktionen
Doch nicht nur der bisherige Gasfluss wird durch den Krieg in der Ukraine beeinflusst. Wegen der Sanktionen gegen Russland sieht die Nord Stream 2 AG ihre Fähigkeiten zur Ursachenforschung eingeschränkt: Man stehe unter Sanktionen, verfüge kaum noch über Personal und Gelder seien eingefroren, sagte der Sprecher.
In Lubmin, dem Ort, in dem die Pipeline in Deutschland anlandet, ist nach Wissen Lisseks kein Personal der Nord Stream 2 AG. Man könne auch keine Aufträge erteilen, da man diese nicht bezahlen könne, und müsse schauen, woher man nun Informationen erhalte, hiess es weiter.
Schon kurz vor dem russischen Überfall auf die Ukraine hatten die USA Sanktionen gegen die Nord Stream 2 AG verhängt und alle Geschäfte mit dem Unternehmen mit Sitz in der Schweiz unmöglich gemacht. Erst kürzlich konnte ein drohender Konkurs erneut abgewendet werden.
SDA/avo
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