Leitartikel zur EnergiestrategieGaskraft? Eine Versicherung, mehr nicht!
Nun eilt es: Der Bundesrat will mit dem schnellen Bau von Gaskraftwerken die Energieversorgung im Notfall sichern. Doch was kurzfristig richtig ist, kann längerfristig ein Risiko sein.
Simonetta Sommaruga steht unter Druck, seit der Niederlage bei der CO₂-Abstimmung vom Juni 2021 erst recht. Sie muss die Weichen nun rasch so stellen, dass die Schweiz bis 2050 klimaneutral wird – und die Stromversorgung gleichzeitig sicher bleibt.
Als wäre die Aufgabe nicht schon schwierig genug, sieht sich die Energie- und Klimaministerin einem Trommelfeuer von rechts ausgesetzt: Die Energiestrategie sei gescheitert, Sommaruga planlos, kritisiert die SVP, es brauche neue Kernkraftwerke, um die Schweiz sicher und klimaschonend mit Strom zu versorgen. Die FDP ist umgeschwenkt und will das bestehende Neubauverbot aufheben.
Der Ruf nach der Atomkraft ist das Resultat eines Versäumnisses.
Dass der Ruf nach einer Renaissance der Atomkraft so laut werden konnte, ist nicht zuletzt das Resultat eines Versäumnisses. Seit vielen Jahren warnen Fachleute vor dem Risiko von Strommangellagen und potenziellen Folgekosten in Milliardenhöhe. Doch sowohl Doris Leuthard als auch ihre Nachfolgerin Sommaruga haben darauf nicht respektive nur zögerlich reagiert. Erst jetzt liegt ein Notfallkonzept vor: Eine Wasserkraftreserve für den Winter und der Bau von einem oder mehreren Gaskraftwerken sollen als Back-up dienen – für den Fall, dass der Strom knapp wird.
Die Energiewende ist ein Weg mit Unwägbarkeiten, eine Absicherung daher klug – und zwar unabhängig davon, ob die Schweiz ein Stromabkommen mit der EU abschliessen kann und so besser in den europäischen Strombinnenmarkt integriert wird. Die Option Gaskraft war von Anfang an Bestandteil der Energiestrategie 2050. Nur haben Bundesrat und Parlament, da klimapolitisch umstritten, diese Option lieber schubladisiert. Das rächt sich nun. Die Zeit drängt plötzlich, weil bereits ab 2025 Strommangellagen im Extremfall möglich sind. Doch Rekurse und Volksabstimmungen könnten Gaskraftwerke verzögern oder sogar ganz verunmöglichen.
Die Gaskraft darf nicht zum Vorwand werden, den Ausbau der erneuerbaren Energie zu bremsen.
Idealerweise sollten diese Werke nie zum Einsatz kommen müssen. Selbst dann lohnt sich aber die Investition: Als Rückversicherung können sie wie die Wasserkraftreserve helfen, im Zuge der Energiewende ruhiger durch etwaige kritische Phasen zu kommen und uns etwas weniger abhängig vom unsicheren Angebot an Importstrom aus der EU zu machen.
Keinesfalls darf Gaskraft aber zum Vorwand werden, den dringend nötigen Ausbau der erneuerbaren Energien zu bremsen. Das wäre für den Klimaschutz ein Rückschritt, auch wenn die CO₂-Emissionen durch Klimazertifikate kompensiert werden können. Solange Gaskraft nur sporadisch und kurzzeitig zum Einsatz kommt, ist das vertretbar. Kompensation ist aber letztlich keine Lösung für die Zukunft. Auch technische Optionen wie CO₂-freie Brennstoffe gibt es, sie sind aber zumindest vorderhand noch zu wenig verfügbar.
Die starken Pfeiler der Energiewende bleiben Wasserkraft und Sonnenenergie. In einer klimaneutralen Schweiz wird der Verkehr elektrifiziert, und die Wärmeproduktion in den Gebäuden stammt zu drei Vierteln von Wärmepumpen statt von Öl- und Gasheizungen. Das erhöht die Stromnachfrage stark. Der Ausbau der erneuerbaren Energien und der dafür notwendigen Speichersysteme wie Batterien muss deshalb enorm beschleunigt werden.
Wir werden dabei nicht darum herumkommen, eine Solarpflicht für Hauseigentümer einzuführen. Zu viel Zeit ist verstrichen, um die Fotovoltaik entscheidend vorwärtszubringen. Die ehrgeizigen Ziele lassen sich nur noch durch das zielführende Instrument verpflichtender Auflagen erreichen. Ohne die Bereitschaft der Hauseigentümer, auf Dächern und Fassaden Fotovoltaik zu installieren, wird die Energiewende scheitern. Um deren Zuspruch zu erlangen, müssen jedoch Bund und Kantone überzeugende Finanzierungsangebote bieten.
Es braucht die Einsicht, dass bei Schlüsselprojekten das grosse Ganze gesehen wird.
Gewiss, die Politik ist nicht untätig: Das Parlament hat beschlossen, den Ausbau der Fotovoltaik mit zusätzlichen Massnahmen zu fördern. Zudem hat der Bund das Bewilligungsverfahren für Fördermittel verkürzt. Auch will Sommaruga die Einspracheverfahren beschleunigen und mit einem runden Tisch Wasserkraftprojekte mehrheitsfähig machen.
Das ist schön und gut. Ein Erfolgsmodell wird dies jedoch nur, wenn alle Akteure zu Kompromissen bereit sind, auch die Umweltverbände. Natürlich darf daraus nicht folgen, dass nun jedes Naturjuwel unter dem Titel der Energiewende verbaut wird. Aber es braucht endlich die Einsicht, dass bei Schlüsselprojekten eine Deblockade nötig ist und das grosse Ganze gesehen wird: die Herausforderung Klimawandel.
Kommt die Schweiz bei der Energiewende in den nächsten Jahren nicht deutlich voran, wächst vor allem eine Gefahr: Gaskraftwerke werden für mehr als nur den Notfall Strom liefern müssen.
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