Weltmächte in Ferienregion G-7-Weltpolitik in Apulien, geht das zusammen?
Süditalien wäre eigentlich eine traumhafte Destination für die Führer der westlichen Welt – wenn da nicht ein paar Probleme wären.
Eben noch glitt man einigermassen ruhig auf der Schnellstrasse übers flache Land, links hinter den Feldern das Meer, rechts im Licht der untergehenden Sonne eine sanfte Bergkette. Da beginnt es zu ruckeln und zu schlagen. Die Autostrada mit ihren Mautstationen liegt weit zurück, jetzt gewährleistet hier nur noch die autobahnähnliche Schnellstrasse SS 16 den Weg in den Süden, leider ist sie in schlechtem Zustand, wie viele Strassen im Mezzogiorno.
Im Frühjahr ist die Fahrbahn ein wenig ausgebessert worden, schliesslich werden in dieser Woche hohe Gäste erwartet: Die Wagenkolonne des amerikanischen Präsidenten Joe Biden wird hier vorbeibrausen. Auch Olaf Scholz kommt, Emmanuel Macron, Rishi Sunak, die EU-Spitze, kurz: die Führerinnen und Führer der westlichen Welt, wobei der Westen bis nach Kanada und Japan gedacht wird. Und natürlich ist Giorgia Meloni dabei, die Ministerpräsidentin Italiens, als Gastgeberin.
Treffen vor allem in Bari
Einmal im Jahr treffen sich die Chefs zum G-7-Gipfel, so ist das Usus, seit der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt und sein Freund, der frühere französische Präsident Valéry Giscard d’Estaing, das Format 1975 gegründet haben.
Damals sollte das eine kleine Runde sein, um sich von Angesicht zu Angesicht über die Weltläufe abzustimmen, heute ist es ein Spektakel mit Hunderten Mitarbeitern im Hintergrund und Tausenden Beobachtern. Diese werden sich vom 13. bis zum 15. Juni 2024 vor allem in Bari tummeln. In der quirligen Regionalhauptstadt an der südlichen Adria. Sie ist zweitgrösste Stadt des italienischen Südens nach Neapel: lange Wasserfront, hübsche Altstadt, angesehene Universität, alles da.
Meloni und ihre Tafelrunde allerdings werden noch einmal 60 Kilometer weiter südlich wohnen und arbeiten, im Luxus-Resort Borgo Egnazia. Das ist eine angemessen pompöse Anlage in der traditionellen weissen Architektur Apuliens, Promis machen hier gern Station. Vier Pools gibt es und einen 1800 Quadratmeter grosser Wellnessbereich, durch einen weitläufigen Golfplatz getrennt vom Meer, drumherum eine hohe Steinmauer. Ja, man sieht von drinnen die blaue See am Horizont schimmern – aber Hand aufs Herz: So richtig schön ist es in diesem Teil der apulischen Küste eigentlich nicht.
Italien, denkt man: ausgerechnet das Land mit den vielen spektakulären Landschaften! Nun ist auch Apulien, der Absatz des italienischen Stiefels, ein beliebtes Sommerreiseziel. Mancher rühmt Traumstädte und -strände, gutes regionales Essen und noch besseren Wein. Und dann gibt es noch die traditionellen Trulli, grandiose Kirchen und allerlei mehr.
Doch in der Mitte hängt die lang gestreckte Region etwas durch, ist die Landschaft flach und unspektakulär, die Küste streckenweise hässlich. Warum in aller Welt, fragt man sich, müssen sich Biden und Co. ausgerechnet hier treffen? Giorgia Meloni weiss die Antwort.
Meloni will ihren Heimvorteil nutzen
Zu den schönsten Aufgaben eines Regierungschefs aus einem G-7-Land gehört es ja, den Ort auszusuchen für das Gipfeltreffen in dem Jahr, in dem man zuständig ist. 2024 ist das Italien, und es ist für die junge Ministerpräsidentin Meloni eine willkommene Gelegenheit, sie ist ja noch nicht einmal zwei Jahre im Amt.
Überhaupt ist es für Newcomer aufregend, in diesen Kreisen mit den grossen Problemen der Welt konfrontiert zu werden. Die Treffen in Brüssel oder Washington sind auch Bewährungsproben: Die alten Hasen taxieren die Neuen, und das Urteil ist schnell gefällt: hopp oder top, Leichtgewicht oder Partner auf Augenhöhe?
Meloni hat den Crashkurs in internationaler Politik bereits mit Auszeichnung bestanden. In Brüssel ist sie immer dabei, wenn es wichtig wird, und nach den Europawahlen an diesem Wochenende, bei denen die Rechte gemäss Umfragen weiter erstarken wird, wahrscheinlich erst recht. Sie hat Joe Biden im Weissen Haus ihre Aufwartung gemacht, der sie auf den Kopf küsste und sichtlich von ihr angetan war. Und jetzt hat sie Heimvorteil.
Als Römerin mag Meloni die Gegend, es ist «mein Apulien», sagt sie. Sie kommt seit langem her, hat Freunde hier. Aber die Chancen stehen schlecht, dass die Runde wirklich etwas sieht von Land und Leuten, das bringen diese Treffen so mit sich, der Kalender ist vollgepackt.
Daran musste man gerade neulich denken, als man auf dem Berg des Kaisers stand, einige Hundert Kilometer weiter im Norden, das Castel del Monte im Rücken, das einst in der Schule den Umschlag des Geschichtsbuchs zierte, Abschnitt «Mittelalter». Das berühmte achteckige Schloss, im Bau 1240 bis 1250, wurde nie vollendet, die Absicht seines Bauplans nie ganz entschlüsselt.
Rätselhaft, wie manches im Leben des deutsch-römischen Kaisers Friedrich II., Enkel vom grossen Barbarossa, in Jesi bei Ancona auf dem Marktplatz geboren, in Palermo aufgewachsen. Er hat die dunklen, kalten, nassen Erblande seiner Familie väterlicherseits nie sonderlich gemocht, 28 seiner 39 Regierungsjahre verbrachte er in Italien, und zunehmend gern war er hier in Apulien, das damals noch grün war. Das Castel del Monte steht für die Zwiespältigkeit eines Herrschers, der immer wieder in die Wirrnisse der Welt zurückgezogen wurde.
Die Wirrnisse der Welt sind auch das Stichwort für die Regierungschefs heute. Wie will man gestalten, wenn um einen herum der Wahnsinn tobt? Biden hat den verurteilten Straftäter Trump im Nacken, der ihn ungeachtet aller Probleme womöglich besiegen wird. Olaf Scholz und seine Ampel hatten so viel vor und haben ihr Volk verloren. Macron muss damit rechnen, dass seine Nachfolgerin eine Rechtsextremistin wird, die Hand an «sein» Europa legt.
Die Welt sortiert sich neu, aber Giorgia Meloni ist gekommen, um zu bleiben. Entsprechend selbstbewusst wird sie beim Gipfel auftreten. In die grossen Themen ist sie gut eingearbeitet: Migration, Flüchtlinge, Krieg und Frieden. Aber sie muss aufpassen: Ihr Flirt mit den Rechtsextremen anderer Länder, ihre Breitseiten gegen zu viel Europa verstören die Partner zunehmend.
Dabei ist Meloni der Erfolg des Gipfels wichtig, dafür tut sie viel. Gerade hat sie noch den türkischen Präsidenten Erdogan dazugebeten, auch Wolodimir Selenski, Präsident der Ukraine, soll kommen. Meloni hat sogar Papst Franziskus eingeladen, erstmals wird ein katholisches Kirchenoberhaupt bei einem G-7-Gipfel dabei sein.
Angesichts seiner umstrittenen Vorstösse für Waffenstillstände an den Krisenherden («Hört auf, hört endlich auf!») hätte man annehmen können, dass die Staatenlenker mit dem Papst über Krieg und Frieden sprechen wollen, aber weit gefehlt: Sein Programmpunkt ist tatsächlich die künstliche Intelligenz. Der Papst hat das in seiner Jahresbotschaft zum grossen Thema gemacht, und er hat viele gute Leute, die sich damit beschäftigen.
Aber vermutlich hat sich dieses Fenster der Möglichkeiten für KI noch nicht geöffnet. Jenes für den Klimaschutz wiederum scheint sich angesichts der Kriege und der Sorgen der Menschen um ihre soziale Position bereits wieder zu schliessen. Schade, dass die G-7-Führer im Borgo Egnazia festsitzen. Ausgerechnet Apulien böte Anschauungsmaterial dafür, was gerade mit der Welt passiert.
Verwüstete Landschaften, brutale Hitze – und ein Bakterium
Eine Reise fernab der Touristen-Hotspots macht nicht unbedingt Spass. Vielerorts ist das Land so heruntergekommen wie seine Strassen. Die Traumstrände sind das eine, die verwüsteten Landschaften das andere. Die Hitze kann brutal sein, dem Salento ganz im Süden geht das Wasser aus, die Infrastruktur verfällt. Und dann kam auch noch das Bakterium.
Die Folgen kann man ganz im Süden Apuliens studieren, wo man kilometerlang durch Landstriche mit kahl in den Himmel ragenden Skeletten fährt: verdurstete Olivenbäume. Hier hat das Unheil vor gut zehn Jahren begonnen, jedes Jahr arbeitet sich das Bakterium zehn Kilometer und mehr nach Norden vor. Eine vermutlich aus Mittelamerika eingeschleppte Seuche, Todesurteil für jeden befallenen Olivenbaum – und bis heute existiert kein Gegenmittel, nicht einmal eine grosse Öffentlichkeit. Dafür Verschwörungsmythen, wonach das Ganze eine Erfindung der konkurrierenden Ölproduzenten weiter nördlich in der Toskana ist.
Natürlich gibt es vernünftige Leute hier, gibt es Bauern, die tun, was die Experten empfehlen: die Baumruinen ausgraben und verbrennen, natürlich sind die Forscher dran am Thema und die Umweltschützer. Aber so richtig interessiert das Elend schon in Rom niemanden und schon gar nicht im reichen Norden.
Angeblich, so wird erzählt, kommt das Bakterium mittlerweile langsamer voran. Die Berichte sind widersprüchlich, aber den Italienern käme eine solche Lösung entgegen, sie leben gern nach dem Prinzip: Einfach mal nix tun, und irgendwann ist dann hoffentlich trotzdem alles gut. Nur dass das als Rezept für die grossen Probleme der Welt und für die Gespräche im Borgo Egnazia nicht reichen wird.
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