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G-20-Gipfel in Indien
Club der greisen Männer

(L-R) World Bank President Ajay Banga, Brazil's President Luiz Inacio Lula da Silva, India's Prime Minister Narendra Modi, South Africa's President Cyril Ramaphosa and US President Joe Biden pose for a group photograph after a session at the G20 Leaders' Summit in New Delhi on September 9, 2023. (Photo by Evan Vucci / POOL / AFP)
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Der Gastgeber in der Mitte, die Gäste darum herum aufgereiht, im Hintergrund ein buntes Flaggenmeer: So sehen die Klassenfotos aus, die jedes Jahr am Treffen der 20 mächtigsten Wirtschaftsnationen geschossen werden.

Die Fotos vermitteln Beständigkeit. Und tatsächlich sind darauf regelmässig dieselben Personen zu sehen: Staats- und Regierungschefs wie der indische Premier Narendra Modi, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan oder der saudische König Salman, die schon seit einer gefühlten Ewigkeit im Amt sind – und die alle immer älter werden.

Eine Datenauswertung zu allen G-20-Staats- und -Regierungschefs der letzten fünfzehn Jahre bestätigt den Eindruck. Als sich die G-20 im November 2008 erstmals in Washington D.C. einfand, waren die politischen Spitzen im Durchschnitt knapp 60 Jahre alt. Mittlerweile ist der Club der meist männlichen Staats- und Regierungschefs merklich gealtert. Derzeit beträgt das Durchschnittsalter der G-20-Spitzen 65 Jahre.

Zu den Polit-Veteranen, die anlässlich des aktuellen G-20-Gipfels in Delhi anwesend sind, zählt etwa Joe Biden. Der amerikanische Präsident ist mit 81 Jahren aber nur der zweitälteste Staats- und Regierungschef in der Runde. Noch älter ist mit 88 Jahren der saudische König Salman. Am G-20-Treffen in Indien wird er allerdings durch Kronprinz Mohammed vertreten.

Auf Rang drei in der Altersrangliste steht Lula da Silva. Der brasilianische Politiker, der vergangenes Jahr nach einer zwölfjährigen Pause erneut zum Präsidenten gewählt wurde, ist 78. Es folgen mit 73 Jahren der indische Premier Narendra Modi und mit 71 Jahren der russische Präsident Wladimir Putin.

Weil Letzterer wegen des Angriffs auf die Ukraine zur Persona non grata geworden ist, nimmt er nicht persönlich am Gipfel teil – nach Delhi reist Aussenminister Sergei Lawrow. Dieser hat mit 73 Jahren jedoch auch längst das ordentliche Pensionierungsalter erreicht.

Unter den G-20-Chefs sind zahlreiche Rentner

Insgesamt 9 von 21 Staats- und Regierungschefs der G-20 (es sind 21, weil die Europäische Union mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel zwei formelle Oberhäupter stellt) sind über siebzig Jahre alt. Das sind mehr als je zuvor. Zum Vergleich: Am Gipfel von 2008 hatten erst drei Staats- und Regierungschefs das siebzigste Lebensjahr erreicht.

Umgekehrt sind im Moment nur fünf Staats- und Regierungschefs der G-20-Länder jünger als 60 Jahre. Sie stammen fast alle aus Europa: Rishi Sunak (Grossbritannien, 43), Emmanuel Macron (Frankreich, 46), Georgia Meloni (Italien, 47). Auch das war früher anders: Vor fünfzehn Jahren in Washington waren unter den G-20-Staats- und -Regierungschefs noch zwölf Personen unter 60.

Die Vergreisung der G-20 hat sich vor allem seit Mitte der 2010er-Jahre akzentuiert. Statistisch lässt sie sich auf zwei Effekte zurückführen.

  1. Die Staats- und Regierungsoberhäupter treten ihr Amt zu einem späteren Lebenszeitpunkt an. Das bekannteste Beispiel dafür ist Joe Biden. Er wurde erst im Alter von 78 Jahren vereidigt.

  2. Die Staats- und Regierungschefs bleiben länger im Amt. Exemplarisch dafür steht Xi Jinping, der im März seine dritte Amtszeit antrat und Ambitionen hegt, noch lange an der Macht zu bleiben.

Beide Effekte haben ähnlich stark dazu beigetragen, dass das Durchschnittsalter im Club der G-20-Chefs seit 2008 um rund f¨ünf Jahre gestiegen ist. Und beide Effekte sind aus demokratiepolitischer Sicht bedenklich.

Die Kluft der Generationen wächst

Werden die Staats- und Regierungschefs bereits beim Amtsantritt immer älter, so geht das zulasten der demografischen Repräsentanz.

So liegt beispielsweise in den Vereinigten Staaten das Alter der Bevölkerung im Median bei knapp 39 Jahren, jenes der Wählenden bei etwa 50 Jahren. Mit seinen 81 Jahren steht Präsident Biden vielen Amerikanern daher nur schon aufgrund seines Alters und der damit verbundenen sozialen und wirtschaftlichen Lebenslage nicht besonders nahe. Noch stärker akzentuiert ist dieser Generationenkontrast in ärmeren Ländern wie Indien oder Indonesien, deren Bevölkerung deutlich jünger ist.

Dass sich politisch polarisierte Länder wie die USA nur auf Persönlichkeiten im fortgeschrittenen Rentenalter einigen können, ist kein gutes Zeichen. Immerhin: Biden hat mit seiner Investitionsagenda in der Wirtschafts- wie auch der Umweltpolitik einiges bewirkt – mehr, als man ihm aufgrund seines Alters womöglich zugetraut hätte.

Rund um die Welt leben Menschen immer länger, auch im höheren Alter bleiben viele Menschen fit. So ist es im Zuge des demografischen Wandels wohl zu einem gewissen Teil natürlich, dass auch die G-20-Chefs immer älter werden.

Über die vergangenen fünfzehn Jahre ist das mittlere Alter der Bevölkerung etwa in Schwellenländern wie Saudiarabien und China um jeweils fünf Jahre gestiegen. Das rechtfertigt zwar nicht, dass in diesen Ländern Führungspersonal jenseits von siebzig oder achtzig an den Schalthebeln sitzt. Aber statistisch gesehen, spielt es für die G-20-Überalterung doch eine Rolle.

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Der US-Präsident ist 81 Jahre alt – und damit der zweitälteste Staats- und Regierungschef im Club der G20-Länder.
epa10845897 India's Prime Minister Narendra Modi attends the 18th East Asia Summit as part of the 43rd Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) Summit in Jakarta, Indonesia, 07 September 2023. Indonesia hosts the 43rd ASEAN Summit and related summits from 05 to 07 September 2023. EPA/YASUYOSHI CHIBA/POOL

Autokraten kleben an der Macht

Keine natürliche Erklärung gibt es für die zweite Veränderung: dass die Staats- und Regierungschefs immer länger im Amt bleiben. Eher ist sie ein Zeichen dafür, dass es mit der Demokratie in vielen Ländern nicht zum Besten steht.

Seit einigen Jahren erstarken rund um den Globus autoritäre Systeme. Gemäss der Organisation Freedom House hat sich die Qualität der Demokratie seit 2006 kontinuierlich in mehr Staaten verschlechtert als verbessert. Machthaber gehen dabei gegen Justiz, Medien, Opposition und unabhängige Wahlbehörden vor, um politische Konkurrenten auszuschalten und ihren Status zu sichern.

Ein gutes Beispiel dafür ist Russland. Gemäss der obigen Statistik ist Präsident Putin bereits seit elf Jahren im Amt. Die Angabe bezieht sich auf seine Wahl im Jahr 2012. Im Vergleich zu den anderen G-20-Chefs ist bereits dies recht lange.

Putin war jedoch bereits von 2000 bis 2008 Präsident – danach amtete er vier Jahre lang als Premierminister, während Dmitri Medwedew pro forma den Präsidentenposten bekleidete, ehe Putin dieses Amt wieder übernahm.

De facto wird Russland also schon seit 23 Jahren durch Putin regiert. Das ist eine sehr lange Zeit. Der russische Machthaber hat sie genutzt, um die politische Freiheit in seinem Land signifikant einzuschränken. Seine politischen Widersacher sind entweder tot oder unter fadenscheinigen Vorwänden eingesperrt.

Auch in der Türkei hat die politische Freiheit gelitten. Im engeren Sinn amtiert Präsident Erdogan dort seit 2014 als Staatsoberhaupt. Doch bereits zuvor war er seit 2003 als Premierminister an der Macht. Zählt man die beiden Epochen zusammen, kommt man auf über 20 Jahre, in denen er sich an der Spitze hält.

Alter schützt vor Torheit nicht

Möglicherweise ist die Vergreisung der G-20-Chefs ein Übergangsphänomen. Irgendwann werden Biden und Putin zwangsläufig ihre Ämter aufgeben – gut möglich, dass dann jüngeres Personal nachrückt, was wiederum das Durchschnittsalter der Staats- und Regierungschefs nach unten zieht.

Bis dahin bleiben die Senioren jedoch in der Verantwortung: Sie müssen Antworten auf die drängenden Fragen der Staatengemeinschaft finden. Dass sie dabei besondere Altersweisheit an den Tag legen, ist zu hoffen.

Die aktuellen geopolitischen Spannungen, die massgeblich durch die ältere Generation von politischen Führern verursacht wurden, deuten leider nicht darauf hin.