Atalanta eine Nummer zu grossKaum Ideen und noch weniger Chancen – die Young Boys gehen unter
YB verliert auch das fünfte Spiel der Ligaphase. Beim 1:6 gegen Atalanta Bergamo gelingt den Bernern immerhin etwas, was noch keiner geschafft hat.

Fünf Minuten vor der Pause spielt sich mal wieder eine dieser Szenen ab, von denen es am Dienstagabend so viele gibt im Wankdorf: Der Ball erreicht Mateo Retegui im Berner Strafraum. Dann genügen dem Stürmer von Atalanta Bergamo zwei Kontakte, um seine fussballerische Beschaffenheit vorzutragen. Mit dem ersten gibt er dem Ball die Richtung vor, mit dem zweiten erzielt er das vierte Tor für die Italiener. Zwischen den YB-Innenverteidigern Sandro Lauper und Mohamed Ali Camara hat Retegui für diese Bewegungen keinen Platz. Aber diesen nutzt er. Wie so oft in dieser Saison: Mit zwölf Treffern in dreizehn Spielen führt er die Torschützenliste der Serie A an.
Der Name Atalanta Bergamo mag verglichen mit anderen Grössen fast lautlos durch Fussballeuropa hallen. Aber seit Trainer Gian Piero Gasperini das Team 2016 übernommen hat, gehören die Bergamasken selbst zu diesen Grössen. Im Sommer haben sie die Europa League gewonnen; aktuell stehen sie in der heimischen Liga nach sieben Siegen in Folge auf Platz 2; und sie sind mit acht Punkten aus vier Champions-League-Spielen nach Bern gereist, kein einziges Mal ist Goalie Marco Carnesecchi dabei bezwungen worden.
Zumindest diese Makellosigkeit haben die Young Boys zum Einsturz gebracht. Aber sie verlieren gegen Atalanta 1:6. Es ist die fünfte Niederlage im fünften Champions-League-Spiel. Viele Geister müssten die Berner erhören, wenn YB auch nach den acht Spielen der Ligaphase dabei sein soll.
Ganvoulas erstes Champions-League-Tor
Interimstrainer Joël Magnin baut seine Startformation im Vergleich zum 1:1 in Luzern auf vier Positionen um. Cheikh Niasse, Ebrima Colley, Joël Monteiro und Silvere Ganvoula sind neu dabei.
Ganvoula ist es, der als erster Spieler der neu geschaffenen Königsklasse gegen Atalanta ein Tor erzielt: In der elften Minute trifft er zum ersten Mal in der Champions League. Per Kopf nach einem Eckball von Filip Ugrinic, der ein paar Stunden vor der Partie als bester Super-League-Spieler 2024 nominiert worden ist, zusammen mit Dereck Kutesa von Servette und Renato Steffen vom FC Lugano.

Um gegen Atalanta mehr auszurichten als die Vorarbeit zu diesem Tor, dafür reichen Ugrinics Qualitäten an diesem Abend nicht. Vielmehr ist das Berner Tor die einzige Aktion, die als Torchance durchgeht. Ansonsten klopft Atalanta die Berner Abwehr so gründlich ab, dass alle Hohlstellen zutage treten.
In der achten Minuten gehen die Italiener in Führung: Monteiro spielt den Ball zum Gegner, er kommt zu Charles De Ketelaere, der ihn mit einer einzigen Berührung in die Tiefe schickt. Und dort erzielt Retegui seinen ersten Treffer des Abends, auch für ihn ist es die Premiere in der Champions League.
Höchste Niederlage für YB
Nach einer halben Stunde geht Atalanta durch De Ketelaere in Führung. Mit einem Abschluss aus rund elf Metern, der YB-Goalie David von Ballmoos unter dem Oberkörper durchrutscht. Es läuft die stärkste Phase der Bergamasken, die vier Minuten später ein Tor erzielen, dem Rares innewohnt: Nach Jaouen Hadjams Ballverlust zieht Sead Kolašinac los und erzielt alleine vor von Ballmoos das 3:1. Kolašinac ist nicht Stürmer, Flügel, Mittelfeldspieler. Er ist Innenverteidiger.

Wie oft, und damit zur Rarität dieses Tores, laufen Innenverteidiger alleine auf Torhüter zu? Seltener jedenfalls, als es Mittelfeldspieler ungestört durch den Strafraum schaffen: So erzielt De Ketelaere kurz nach der Pause das 5:1. Den Schlusspunkt, das 6:1, setzt Lazar Samardžić in der 91. Minute.
Das Resultat bedeutet die höchste Berner Niederlage in der Champions League. Zusammen mit dem 0:5 gegen Barcelona, 56 Tage vor dem Spiel gegen Atalanta kassiert.
Schiedsrichter aus Litauen
Geleitet wird die Partie heute von Manfredas Lukjančukas, der ebenso wie seine Assistenten aus Litauen stammt. Der VAR ist Dennis Higler aus den Niederlanden.
Ode an Mani Matter
Die YB-Fans halten es heute mit dem berühmten Berner Chansonnier: «I ha es Zündhöuzli azündet» steht auf einem grossen Transparent. Hoffentlich geht das Feuer auf die Mannschaft über – nicht dass jemand das Streichholz wieder aufhebt…
Benito und Colley
Ein Blick auf zwei Personalien bei YB: Einerseits kehrt Abwehrchef Loris Benito in den Kader zurück. Joël Magnin tritt aber auf die Euphoriebremse – ein Einsatz käme zu früh, doch er sei als Charakter wichtig für die Mannschaft. «Benito wird heute aber nicht reinkommen.»
Andererseits ist da Flügelspieler Ebrima Colley, den die Young Boys von Atalanta ausgeliehen hatten und erst im Sommer fest verpflichteten. Joël Magnin habe seit zwei Wochen gemerkt, dass der Gambier hochmotiviert sei und auf einen Einsatz brenne. Womöglich hat er Males trotz dessen Treffers in Luzern deswegen auf die Bank verdrängt.

Magnins Erfolgsrezept
«Wir müssen nach vorne spielen, uns nicht verstecken, mutig spielen»: So lautet die Vorgabe von YB-Trainer Joël Magnin vor dem Spiel, um heute zu punkten. Er erwartet ein ganz anderes Spiel als gegen Inter, das den Bernern viele Spielanteile zugestand: Atalanta presse viel höher, aggressiver. «Es wird darauf ankommen, dass wir uns aus solchen Situationen lösen können», so Magnin. Und natürlich müsse man effizienter sein als gegen die Mailänder.
De Roon zurück im Wankdorf
Wir sprachen schon von den YB-Spielern, die vor drei Jahren beim 3:3 gegen Atalanta dabei waren – auf der Gegenseite stechen zwei Spieler heraus: Captain Marten de Roon diktierte das Spiel der Bergamasken schon damals aus dem Mittelfeld heraus, Mario Pasalic wirbelte hinter den Spitzen.

Verteidiger Rafael Tolói sitzt heute auf der Bank, ebenso wie Berat Djimsiti.
So spielt YB
Im Berner Angriff schickt Joël Magnin heute den Dreizack Monteiro – Ganvoula – Colley ins Feld. Males, Itten und Virginius sitzen auf der Bank. Dazu rückt Niasse für Imeri in die Startelf, Ugrinic dürfte heute also etwas offensiver agieren. Die Hintermannschaft ist dieselbe, die beim 1:1 in Luzern auf dem Platz stand.

So spielt Atalanta
Im Vergleich zum 3:1-Auswärtssieg in Parma wechselt Gian Piero Gasperini seine Startelf auf vier Positionen: Neben dem gesperrten Ederson nehmen Lookman, Bellanova und Tolói erst einmal auf der Bank Platz. Für sie beginnen Brescianni, de Ketelaere, Cuadrado und Kolasinac. Verteidiger Djimsiti, der lange beim FCZ gespielt hat, ist als Ersatzspieler im Kader.

Spektakel vor drei Jahren
Im November 2021 trafen YB und Atalanta Bergamo schon einmal im Wankdorf aufeinander: Das Champions-League-Gruppenspiel endete 3:3, nachdem die Berner zuerst einen Rückstand gedreht und kurz vor Schluss doch noch den Ausgleich kassiert hatten. Vielen Berner Fans dürfte das Traumtor von Silvan Hefti zur zwischenzeitlichen 3:2-Führung in Erinnerung geblieben sein:
Aus dem damaligen YB-Kader sind heute noch vier Spieler dabei: Sandro Lauper, Meschack Elia, David von Ballmoos und Mohamed Ali Camara – wobei die beiden Letzteren damals verletzt gefehlt haben.
Der Gegner
Atalanta Bergamo mag nicht einen so klangvollen Namen haben wie Inter Mailand, gegen das die Berner vor rund vier Wochen erst in der Nachspielzeit das 0:1 kassierten. Doch Vorsicht: Die Italiener sind immerhin amtierender Europa-League-Sieger, haben die letzten sieben Spiele in der heimischen Serie A allesamt gewonnen und stehen aktuell hinter Napoli auf dem zweiten Tabellenplatz. In der Königsklasse ist das Team, das seit 2016 von Gian Piero Gasperini trainiert wird, nach vier Partien noch ungeschlagen und hat noch kein Gegentor kassiert. YB steht vor einer Herkulesaufgabe.
Herzlich Willkommen
Guten Abend zu diesem Spiel am fünften Spieltag der Ligaphase in der Champions League. Schweizer Meister YB kriegt es heute mit Atalanta Bergamo zu tun. Wollen die Berner noch in die Ränge 9 bis 24 klettern, die für die Playoffs berechtigen, sollten sie eine erneute Niederlage tunlichst vermeiden. Das wird kein leichtes Unterfangen.
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