Brasiliens Umwelt-Aktivistinnen «Für Greta ist es leichter als für uns»
Txai Suruí bekämpft die Abholzung des Amazonas und riskiert dafür ihr Leben. Warum sie und andere junge Umweltschützer nicht aufgeben – und Wut auf Greta Thunberg verspüren.
Es gibt Menschen, die wollen Txai Suruís Mutter umbringen. Weil die Tochter sich für die Rechte der Indigenen einsetzt und im Bundesstaat Rondônia im Nordwesten Brasiliens dagegen protestiert hat, dass der Regenwald weiter abgeholzt wird. Wer genau hinter den Morddrohungen steckt, lässt sich nicht sagen.
Aber Txai Suruí vermutet den Ursprung ganz oben: in der Regierung von Präsident Jair Bolsonaro, der seit seinem Amtsantritt die Rechte der Indigenen schwächt und die wirtschaftliche Ausbeutung der natürlichen Ressourcen des Landes vorantreibt. «Meine Mutter ist heute nicht mehr hier. Sie musste sich verstecken», sagt Txai Suruí. Mit gespreizten Fingern wischt sie sich die Tränen aus den Augen.
24-Jährige klagt gegen Regierung
Walelasoetxeige Suruí, genannt Txai, sitzt für das Gespräch vor ihrem Computer in Porto Velho, der Hauptstadt von Rondônia. Die 24-jährige Jurastudentin und Umweltaktivistin gehört dem Volk der Paiter Suruí an und koordiniert unter anderem die indigene Jugendbewegung in dem Bundesstaat. Sie hat mit fünf Mitstreitenden Klage gegen die brasilianische Regierung eingereicht. Ihr Vorwurf: Die Regierung trickse bei den CO₂-Bilanzen und der Einhaltung des Pariser Klimaabkommens.
An dem Videotelefonat nimmt auch Áurea Sena teil. Die 28-jährige Biologiestudentin aus dem Bundesstaat Pará im Nordosten Brasiliens ist eine «Quilombola», eine Nachfahrin afro-brasilianischer Sklaven, die wie die Indigenen zu den «traditional people» Brasiliens gehören, die besonders harte Kämpfe um ihre Heimat führen müssen. Beide Frauen sind bei «engajamundo» aktiv, einer Jugendorganisation, die sich für Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit einsetzt. «Wir werden von allen Seiten bedroht, zum Beispiel online», sagt Áurea Sena.
In vielen Ländern des Globalen Südens gefährden Aktivisten und Aktivistinnen ihr Leben. Die NGO «Global Witness» hat in ihrem jüngsten Report festgehalten, dass 2019 weltweit mindestens 212 Menschen getötet wurden, die die Umwelt in ihrer Heimat vor Zerstörung bewahren wollten. Die Dunkelziffer ist vermutlich höher, da die NGO nicht aus allen Ländern verlässliche Informationen bekommt. Die meisten Tötungen hat «Global Witness» in Kolumbien (64), auf den Philippinen (43) und in Brasilien (24) registriert. Zusätzlich wurden und werden viele Aktivistinnen und Aktivisten bedroht, angegriffen, kriminalisiert, eingeschüchtert.
Alice Harrison von «Gobal Witness» sagt, die Konflikte hätten sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich verschärft. «Die weltweite Nachfrage nach günstigen Nahrungsmitteln und Rohstoffen wächst, dadurch rücken Unternehmen in immer neue Gebiete vor», sagt sie. «Sie machen Deals mit staatlichen Stellen, ohne dass die lokale Bevölkerung beteiligt wird – und wer sich wehrt, riskiert sein Leben.»
Brasiliens Präsident Bolsonaro hat Umweltorganisationen als «Krebs» bezeichnet, der nicht totzukriegen sei.
Gleichzeitig würden die Umweltschützer von staatlicher Seite oft als «rückständig» und «entwicklungsfeindlich» etikettiert. Brasiliens Präsident Bolsonaro hat Umweltorganisationen als «Krebs» bezeichnet, der nicht totzukriegen sei. Die Übergriffe beginnen meist mit Drohungen, dann folgen physische Attacken, die in Entführungen oder Morden gipfeln. Viele ziehen sich darum zumindest eine Zeit lang aus der Öffentlichkeit zurück, sobald sie bedroht werden, so wie Txai Suruís Mutter. Die Verantwortlichen sind schwer zu fassen. Oft werden Auftragskiller engagiert, immer wieder sind auch Polizei oder Militär involviert. Dahinter vermuten Fachleute mal illegale Gruppen, die Raubbau betreiben, mal grosse Unternehmen oder sogar staatliche Stellen.
Eine umfassende Aufklärung wie im Fall der 2016 ermordeten 44-jährigen Berta Cáceres aus Honduras, die sich gegen den Bau eines Staudammes engagierte, ist selten. Sieben Männer, unter ihnen die Auftragsmörder, die sie zu Hause überfallen hatten, aber auch mehrere Mitarbeiter des für das Dammprojekt verantwortlichen Energieunternehmens Desa wurden verhaftet und verurteilt. Seit diesem Frühjahr muss sich auch der ehemalige Desa-Manager Roberto David Castillo Mejía vor Gericht verantworten. Die honduranische Regierung sah sich unter Aufklärungsdruck, weil Cáceres international bekannt war. Doch in den meisten Mordfällen werden, wenn überhaupt, nur die Auftragskiller gefasst.
Txai Suruí hat im vergangenen Jahr einen Freund verloren: Ari Uru-Eu-Wau-Wau, damals 34, starb im April 2020, nachdem ihm jemand mit einem stumpfen Gegenstand in den Nacken geschlagen hatte. Die Polizei spricht von einem Unfall, aber die Menschen in seinem Umfeld vermuten einen Vergeltungsschlag, weil er sich gegen illegale Abholzung eingesetzt hatte. Die Uru-Eu-Wau-Wau leben wie die Paiter Suruí in Rondônia. Von den ursprünglich 200’000 Quadratkilometern tropischen Regenwalds wurden in dem Bundesstaat bis heute etwa 70’000 abgeholzt.
«40 Prozent der Umweltaktivisten, die 2019 ermordet wurden, gehörten indigenen Gemeinschaften an», sagt Mary Menton, die an der University of Sussex zu Gewalt gegen Menschen forscht, die sich für Umweltschutz einsetzen. «Und das, obwohl sie nur fünf Prozent der Weltbevölkerung ausmachen.» Zum einen leben Indigene häufig in den Gebieten, in denen es besonders viele natürlichen Ressourcen gibt – tropisches Holz, Wasser, Rohstoffe im Boden oder auch unbebaute Flächen, die in Plantagen oder Weiden umgewandelt werden können. Zum anderen werden Indigene und andere «traditional people» gesellschaftlich marginalisiert. In Brasilien, sagt Alice Harrison von «Global Witness», gebe es «blanken Hass auf höchstem politischem Level» und «staatlichen Rassismus».
Doch nicht nur für Menschen, die an einer Front des Klimakampfs wie dem Amazonas-Gebiet leben, kann das Engagement für die Umwelt zur Gefahr werden. Jefferson Estela, 22, zum Beispiel hat in der philippinischen Hauptstadt Manila Streiks nach dem Vorbild von Greta Thunberg und ihren «Fridays for Future» organisiert. «Wenn wir demonstrieren, tauchen Polizei oder Militär auf und sagen, das sei illegal», sagt Estela im Video-Interview. Über Social Media habe er schon häufig Drohnachrichten erhalten, von «Du bist hässlich» bis hin zu «Du solltest sterben».
Estela beneidet die streikenden jungen Menschen in Europa oder den USA. «Ich war teilweise richtig wütend, weil wir ihre Freiheit und ihre Ressourcen nicht haben und weil sie in allen Nachrichten und überall in den sozialen Netzwerken waren», sagt er. «Wir haben hier andere Perspektiven und andere Geschichten, die auch gehört werden sollten.»
Txai Suruí in Brasilien sagt: «Das soll keine Kritik an ihrer Arbeit sein – aber für jemanden wie Greta ist es leichter zu demonstrieren als für uns. Wir kämpfen hier im Amazonas schon seit mehr als 500 Jahren um unsere Existenz.» Alice Harrison von «Global Witness» kann den Frust verstehen. «Das ist ein sehr gerechtfertigtes und wichtiges Gefühl», sagt sie. Greta Thunberg sei aber gut darin, die internationale Aufmerksamkeit immer wieder zu nutzen, um den Blick auf ihre Mitstreitenden weltweit zu lenken.
Hilfe erhalten bedrohte Aktivistinnen und Aktivisten von internationalen Organisationen wie «Front Line Defenders» oder «Lifeline», die sichere Orte und Rechtsbeistand anbieten. Politisch fordern Fachleute vor allem Abkommen wie den «Acuerdo de Escazú» in Südamerika oder die UNO-Resolution aus dem Jahr 2019, die den Schutz von Umweltaktivisten festschreiben.
Aufgeben? Es geht ums Überleben
Als besonders wichtiger Beitrag der internationalen Gemeinschaft gelten außerdem Lieferkettengesetze, die sicherstellen sollen, dass bei jedem Schritt eines Produktionsprozesses Menschenrechte geachtet werden. Aktuell wird auf EU-Ebene über ein entsprechendes Gesetz verhandelt. Ein solches Gesetz kann bestenfalls auch Menschen wie Txai Suruí und Áurea Sena schützen, in deren Heimat die Produktion mit dem Abbau von Rohstoffen beginnt.
«Manchmal frage ich mich, ob es sich unter diesen Umständen noch lohnt, Klimaaktivistin zu sein», sagt Sena. «Aber es gibt keine andere Möglichkeit. Wir kämpfen ja, um überleben zu können.» Und auch Suruí wird weitermachen. «Die Kraft dazu haben wir von unseren Vorfahren geerbt. Und wir haben den Wald auf unserer Seite.»
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