Pro-Palästina-ParoleDie Geschichte des Slogans «From the River to the Sea ...»
Auf der ganzen Welt an Kundgebungen gerufen, in Berlin nun verboten: Eine Parole für ein freies Palästina sorgt für Kontroversen. Woher sie kommt und was sie bedeutet.
«From the river to the sea, Palestine will be free»: Der Spruch – der auf Deutsch besagt, dass Palästina vom Fluss bis zum Meer frei sein werde – löste in den vergangenen drei Wochen Kontroversen aus. Er wird aktuell an pro-palästinensischen Demonstrationen auf der ganzen Welt skandiert, allen voran in westlichen Städten. Videos zeigen Protestierende von London über Wien bis nach Beirut und Rom, die gemeinsam die Parole rufen.
In einer Rede am Wochenende an einer Palästina-Kundgebung sagte etwa der britische Labour-Parlamentsabgeordnete Andy McDonald, dass man nicht ruhen werde, bis alle Menschen «vom Fluss bis zum Meer» in friedlicher Freiheit leben könnten. Drei Tage später wurde McDonald von der Partei suspendiert und eine Untersuchung eingeleitet. Am 1. November verbot der englische Fussballverband seinen Spielern, den Slogan auf Social Media zu verwenden. Und in Berlin wird die Verwendung der Parole seit vergangener Woche als strafbar eingeordnet.
Wieso wird der Slogan so kontrovers diskutiert? Und woher stammt er?
Eingeführt wurde der Begriff in den frühen 1960er-Jahren von der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Bei ihrer Gründung im Jahr 1964 forderte die PLO die Errichtung eines einzigen Staates, der sich vom Jordan bis zum Mittelmeer erstreckt und seine historischen Gebiete umfasst.
Seither wird die Parole von anderen palästinensischen politischen Gruppen verwendet, als Aufruf zur Befreiung Palästinas von der israelischen Besatzung. Auch die Hamas beruft sich auf den Slogan. «Die Hamas lehnt jede Alternative zur vollständigen und uneingeschränkten Befreiung Palästinas, vom Fluss bis zum Meer, ab», heisst es in der Verfassung der Organisation von 2017.
Der Spruch wird vor allem wegen eines geografischen Aspekts kontrovers diskutiert: Denn die Fläche vom genannten Jordan-Fluss im Osten bis zum Mittelmeer im Westen umschliesst das gesamte israelische Territorium – und lässt die Frage offen, was nach einer allfälligen Befreiung Palästinas mit Israel und den Jüdinnen und Juden geschieht, die dort leben.
Es klinge nach einer «Drohung»
Für propalästinensische Demonstranten drückt die Parole den Wunsch nach Freiheit von der Unterdrückung im historischen britischen Mandatsgebiet Palästina aus. Israel hingegen sieht darin einen verschleierten Aufruf zur Gewalt, der mit einem antisemitischen Vorwurf verbunden ist.
So schreibt etwa das American Jewish Committee (AJC), dass die Parole «die Auslöschung des Staates Israel und seines Volkes» fordere. Es sei nichts Antisemitisches daran, für einen eigenen Staat der Palästinenser einzutreten, so das AJC: «Allerdings ist es antisemitisch, die Beseitigung des jüdischen Staates zu fordern, die Hamas oder andere Organisationen zu loben, die die Zerstörung Israels fordern, oder zu behaupten, dass die Juden allein kein Recht auf Selbstbestimmung haben.»
Yehudah Mirsky, ein in Jerusalem lebender Rabbiner und Professor für Nahoststudien und Judaistik an der Brandeis University, sagte gegenüber dem arabischen Nachrichtensender al-Jazeera: «Es klingt eher nach einer Drohung als nach einem Befreiungsversprechen. Er deutet nicht auf eine Zukunft hin, in der Juden ein erfülltes Leben führen und sie selbst sein können.»
«Die Notwendigkeit der Gleichheit für alle Bewohner»
Für Palästinenser und deren Unterstützer drücke die Parole hingegen «die Notwendigkeit der Gleichheit für alle Bewohner des historischen Palästina» aus, sagt Nimer Sultany, Dozent für Rechtswissenschaften an der School of Oriental and African Studies in London, gegenüber al-Jazeera. Das sei nämlich nach wie vor der Kern des Problems: «Den Palästinensern wird nach wie vor verwehrt, in Gleichheit, Freiheit und Würde wie alle anderen zu leben.» Die Kontroverse rund um den Spruch ist laut Sultany – selbst palästinensischer Staatsbürger Israels – fabriziert worden, um die Solidarität des Westens mit den Palästinensern zu verhindern.
Im Jahr 2021 argumentierte der palästinensisch-amerikanische Schriftsteller Yousef Munayyer, dass die Formulierung «vom Fluss bis zum Meer» den gesamten Raum beschreibe, in dem den Palästinensern Rechte verweigert würden. Es sei eine Möglichkeit, den Wunsch nach einem Staat auszudrücken, in dem «Palästinenser in ihrer Heimat als freie und gleichberechtigte Bürger leben können, die weder von anderen beherrscht werden noch andere dominieren». Das erinnert aktuell jedoch eher an eine Utopie als an einen realistischen politischen Plan.
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