Friedensformel-Treffen in Davos«Wir werden niemals aufgeben» – der ukrainische Verteidigungsminister gibt sich kämpferisch
Vertreterinnen und Vertreter aus rund 80 Ländern haben in der Schweiz über eine künftige Friedensordnung für die Ukraine gesprochen. Aus der Ukraine reisten gleich mehrere Spitzenpolitiker an. Und Cassis bestätigte den Besuch von Selenski in Bern.
Der Luftraum über Davos ist gesperrt, auf den Dächern stehen Scharfschützen, und über 5000 Armeeangehörige sind zusammen mit der Kantonspolizei im Einsatz. Dieses Grossaufgebot für das Weltwirtschaftsforum (WEF) nutzen die Schweiz und die Ukraine: Sie führen ihr sogenanntes Friedensformel-Treffen absichtlich in Davos durch, am Tag vor dem Start des WEF – und vor dem offiziellen Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski in der Schweiz.
Die Sicherheitsmassnahmen sind auch nötig, denn mit Andri Jermak ist der Chef des ukrainischen Präsidialamts vor Ort – Selenskis Nummer 2. Die Schweiz und die Ukraine sind Co-Gastgeberinnen in Davos.
«Wir müssen alles tun, um der Ukraine zu helfen, den Krieg zu beenden», sagt Bundesrat Ignazio Cassis am Sonntagnachmittag. Er steht auf einer grossen Bühne im Konferenzzentrum, begleitet wird er nur von seinem Kommunikationschef. Der Saal ist in blaues Licht getaucht. Es gehe um Frieden in der Ukraine, aber auch um Frieden anderswo auf der Welt, sagt Cassis.
Und: Obwohl Russland nicht dabei sei, gebe es «keine Alternative» zu den Gesprächen. Es werde zwar keinen Frieden geben, ohne eine Beteiligung Russlands. Das sei aber kein Grund, untätig zu bleiben, bis Russland bereit zu Gesprächen sei. «An jedem Tag, an dem wir warten, verlieren in der Ukraine rund zehn Zivilisten ihr Leben. Wir haben kein Recht, nur abzuwarten», so Cassis.
Wichtig ist laut dem Schweizer Aussenminister: «Es könnte etwas gelingen, das der UNO bisher nicht gelungen ist.» 83 Länder würden eine gemeinsame Sprache entwickeln für einen 10-Punkte-Friedensplan. Dies sei besser, als wenn sich die EU, die G-20-Staaten und weitere Gruppierungen alle separat äussern würden.
Die Minister tragen Tarnfarben
Nach Cassis’ Einzelauftritt ist der Kontrast am Abend gross. Gleich fünf hochrangige ukrainische Politikerinnen und Politiker präsentieren die Ergebnisse der Gespräche. Neben Jermak auf der Bühne sitzen Justizminister Denis Maliuska, Wirtschafts- und Handelsministerin Julija Swiridenko, Verteidigungsminister Rustem Umjerow sowie der Generalstaatsanwalt Andri Kostin.
Jermak und Verteidigungsminister Rustem Umjerow tragen Hemden in Tarnfarben. Es ist die bekannte Uniform von Selenski und seinen Weggefährten. Sie lässt keinen Zweifel daran: Hier sitzen Minister, die sich im Krieg befinden. Und welche alles versuchen, um der Ukraine weiterhin internationale Unterstützung zu sichern.
Es geht um viel: In den Vereinigten Staaten, wie in der Europäischen Union, sind die nächsten Hilfspakete aktuell blockiert. Wird kein Kompromiss gefunden, droht der Ukraine der Wegfall von Hilfsgeldern und militärischer Unterstützung in Milliardenhöhe.
Es ist die vierte Ausgabe der sogenannten Friedensformel-Treffen, die der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski ins Leben gerufen hat. Frühere Konferenzen fanden in Kopenhagen, Jidda und Malta statt. In Davos sind nationale Sicherheitsberater und Sicherheitsberaterinnen aus 83 Staaten sowie von internationalen Organisationen vertreten – das sind mehr als beim letzten Treffen. Sie besprechen einen 10-Punkte-Plan, der die Basis für eine künftige Friedensordnung legen soll.
In Davos lag der Fokus auf den Punkten sechs bis zehn. Dabei dürfte es sich um die schwierigsten Punkte der Verhandlungen handeln, unter anderem geht es um die Rückgabe der besetzten Gebiete, den Rückzug der russischen Armee und die Bedingungen für einen Friedensschluss. Weder die Ukraine noch Russland sind derzeit zu territorialen Zugeständnissen bereit.
Mehr Länder schliessen sich dem ukrainischen Aktionsplan an
Jermak zeigte sich zufrieden ob der wachsenden Zahl an Ländern, die sich dem ukrainischen Aktionsplan anschliessen würden, insbesondere aus dem globalen Süden. Seit Kriegsausbruch hat Russland in den Ländern des globalen Südens seine Anstrengungen intensiviert. Viele von ihnen haben den Kampf der Ukraine bislang nur zögerlich unterstützt. Jermak weist auf Argentinien als positives Beispiel hin: Wolodimir Selenski sei an die Inauguration des neuen Präsidenten Javier Milei gereist, in Davos habe der argentinische Delegierte an den Gesprächen teilgenommen.
Abwesend war dagegen China. Das Land sei zu den Gesprächen eingeladen worden, sagt Jermak. Auf der Ebene der Botschafter habe Peking sich an den Gesprächen beteiligt und sei auch in Saudiarabien beim Friedensformel-Treffen dabei gewesen. «Für uns ist es wichtig, dass China dabei ist, da es ein wichtiges und einflussreiches Land ist», sagt er. Ob es am WEF zu einem Treffen zwischen Selenski und dem chinesischen Premierminister Li Qiang kommt, liess er jedoch offen.
Eine gemeinsame Erklärung haben die nationalen Sicherheitsberater nicht unterzeichnet. Jermak sagt dazu: «Es wäre falsch, wenn ich sagen würde, dass alle genau dieselben Positionen teilen.» Aber bei den wichtigsten Grundsätzen – etwa, dass die territoriale Integrität der Ukraine gesichert werden müsse – seien sich alle teilnehmenden Staaten einig. Verteidigungsminister Umjerow gibt sich kämpferisch: «Wir werden niemals aufgeben», erklärt er, als er von Medienschaffenden gefragt wird, wie es um die ukrainische Verteidigungsfähigkeit stehe.
Aus Russland kommt derweil harsche Kritik. Der ukrainische Plan sei «realitätsfremd», heisst es in einer Mitteilung, die das russische Aussenministerium bereits vor dem Treffen publizierte. Moskau solle gemäss den Gesprächen, die von der Ukraine und dem «einst neutralen» Bern organisiert wurden, zu einem «Tribunal herangezogen und seine legitimen Aktiva, die in westlichen Banken aufbewahrt sind, beschlagnahmt werden».
Das Ziel der Ukraine wäre, dass bald ein Treffen von Staatsspitzen zur Friedensformel stattfindet. Selenski hat sich dazu in den vergangenen Wochen bei Telefongesprächen und Treffen mit europäischen Staatschefinnen oder Aussenministern ausgetauscht, wie er wiederholt auf X (vormals Twitter) mitteilte. Ein Datum konnte die ukrainische Delegation allerdings noch nicht bekannt geben.
Zur Rolle der Schweiz schrieb der ukrainische Präsident auf X: «Nach der Lugano-Konferenz ist dieses Treffen die zweite bedeutende internationale Veranstaltung, welche die Schweiz ausrichtet, um die Ukraine zu unterstützen.» In Lugano wurde 2022 der Wiederaufbauprozess für die Ukraine lanciert. Am Sonntagabend bestätigte Cassis zudem auf X, dass Selenski am Montag für einen offiziellen Besuch nach Bern reisen wird.
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