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Festhütte Zürich: Bilder und Stimmen
Frauenstreik! Fussball! Pride! Oper! Was für ein Wochenende

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Hätte jemand den Auftrag erhalten, ein Wochenende mit Veranstaltungen zu planen, die möglichst gegensätzliche Interessen abdecken, es wäre vermutlich so ziemlich das herausgekommen, was Zürich am Freitag und Samstag erlebt hat. Gefehlt hat eigentlich nur eine Chilbi.

Aber sonst boten die zwei Tage so ziemlich alles, was das Herz in Sachen Grossveranstaltungen begehrt.

Freitag, 17 Uhr: Frauenstreik

Feministischer Streik
Zürich, 14.6.2024

Schon früh sind die ersten Demonstrantinnen mit violetten Fahnen auf dem Bürkliplatz erschienen. Manche beschriften kleine Plakate mit Parolen wie «My Pussy, My Rules». Feministischer Rap erschallt aus Boxen, die Stimmung ist kämpferisch. Hier treffen wir die 17-jährige Céline.

Sie war vor einem Jahr zum ersten Mal am Frauenstreik, nun hat sie sich dem Zürcher Frauenstreik-Kollektiv angeschlossen und hilft beim Aufbau. «Dieser Zusammenhalt auf der Strasse, dieses Feuer, hat mich rasch gepackt», sagt sie im Gespräch vor der Demo.

Sie erzählt von ihrer Wut, zum Beispiel darüber, dass Vergewaltiger oft straffrei davonkämen, dass viele Frauen abends auf dem Heimweg Angst hätten, dass trans Personen Gewalt erleben müssten. Durch ihr Engagement lasse sich Wut formulieren, sagt Céline. Oder besser: «in Kraft umzuwandeln.»

Feministischer Streik
Zürich, 14.6.2024

Dann muss die junge Frau, die in der Lehre zur Schneiderin ist, los. Die Demo beginnt, der Aufmarsch ist gross. Später wird die Polizei von mehr als zehntausend Beteiligten sprechen. Ist das viel oder wenig angesichts der Tatsache, dass am gleichen Abend um 21 Uhr der Anpfiff der Fussball-EM ist?

Céline zuckt die Schultern: «Ach, heute ist Anpfiff?» Hatte sie nicht auf dem Radar. Die Schnittmenge zwischen Fussballfans und den Frauen hier sei wohl ziemlich klein. Sie selbst hat sich dafür vorgenommen, am nächsten Tag an der Pride mitzulaufen. Das liegt ihr näher.

Freitag, 19 Uhr: EM-Bar Zum glatten Köbi

EM-Start in den Zürcher Fussballbars. Zu Besuch beim Glatten Köbi. 

Porträt Michael Vonplon.

14.06.2024
© Silas Zindel

Währenddessen sitzt Michael Vonplon im Club Supermarket, wo er die temporäre EM-Bar Zum glatten Köbi, benannt nach dem 2019 verstorbenen ehemaligen Nati-Trainer, betreibt. Bereits sind zahlreiche Fussballbegeisterte erschienen. Und Vonplon ist sichtlich erleichtert.

Zusammen mit seinem Geschäftspartner Mijndert Hoogendoorn organisiert er den Glatten Köbi seit vielen Jahren. Doch diesmal war er sich nicht sicher, ob sein Konzept noch zieht. Dies sagt er im Gespräch an einem der Stehtische.

Seine Idee blieb seit der ersten Ausgabe im Jahr 2002: Fussball mit Kultur und Klamauk vermischen. Dieses Jahr laufen über Grossleinwände Spiele von früher, je nach Match den Teams angepasst. «Mit diesem Blick auf die Geschichte möchten wir dem Fussball etwas Tiefe verleihen», sagt Vonplon.

Der Köbi hat eine lange Pause hinter sich, es ist das erste Mal seit der WM in Russland im Jahr 2018, dass die Bar wieder in Betrieb ist. Bei der EM 2020 kam Corona dazwischen. Und 2022 konnte die Bar nicht stattfinden, weil der Vermieter ihm wenige Tage vor dem Turnierstart den Vertrag eines Lokals an der Limmat gekündigt hat – aus Protest gegen den Austragungsort Katar.

EM-Start in den Zürcher Fussballbars. Zu Besuch beim Glatten Köbi. 

Porträt Michael Vonplon.

14.06.2024
© Silas Zindel

Und so fragte sich Vonplon immer wieder, ob sein Konzept, ob Fussballkultur heute noch so gefragt sei wie damals. Zumal an einem Wochenende wie diesem. Auch sei sein Stammpublikum von damals älter und weniger ausgehfreudig geworden – und Zürich habe sich verändert. «Heute leben viel mehr Expats in der Stadt, wir versuchen, auch diese Communitys zu erreichen», sagt er.

Trotzdem hat sich Vonplon zum ersten Mal seit einigen Jahren wieder in den mehrere Hundert Leute fassenden Club Supermarket gewagt. Je näher das Spiel rückt, umso mehr füllt sich das Lokal. Das Konzept zieht zumindest beim Eröffnungsspiel immer noch. Und tags darauf ist auch das Schweiz-Spiel gut besucht. Für Irritation sorgt einzig, dass anfangs versehentlich die Übertragung in Gebärdensprache über die Bildschirme flimmert.

Freitag, 23 Uhr: Auftritt Nemo

Nemo performt den Siegersong des Eurovision Songcontests anlaesslich des Pride Festival auf der Landiwiese am Freitag, den 14. Juni 2024, in Zuerich. (KEYSTONE/Christian Merz)

Kurz vor 23 Uhr, das erste Spiel der EM ist vorbei, aber das interessiert hier am Pride Festival wohl die wenigsten. Die Landiwiese in Zürich füllt sich. Rund 9000 Personen haben hier Platz. Und sie sind alle gekommen, um ihr Idol zu sehen, jenen Star, der ihrem Anliegen Schub geben soll: Nemo. Dabei ist klar, mehr als einen Song gibt es nicht.

Und bevor Nemo singt, erst noch eine Ansage – denn wo, wenn nicht hier, am grossen Fest der queeren Gemeinschaft. «Uns gibts! Und egal, wie viele Menschen uns nicht anerkennen wollen, uns wirds immer geben. Wir sind hier, um zu bleiben», sagt Nemo.

Nemo bietet mehr, als man erwarten konnte. «The Code» wird in einer fast zehnminütigen Version vorgetragen, mit voll ausgekostetem, sphärischem Intro. Der Gesang sitzt, zu 100 Prozent, wie jedes Mal, wenn Nemo zuletzt das Lied performte. Doch Stimmung kommt nicht richtig auf.

Es gibt noch eine Art Zugabe, Nemo wird auf der Bühne kurz befragt. Etwa zum Treffen, das vier Tage später mit Bundesrat Beat Jans geplant ist. Das Wichtigste sei, dass es mit dem dritten Geschlechtseintrag vorangehe, antwortet Nemo. Doch das werde wohl noch viel Zeit brauchen. Was man sofort umsetzen könne: «Mehr Sicherheit und mehr Sichtbarkeit für Nonbinäre und Transmenschen.»

Samstag, 17 Uhr: Pride-Festival

Zurich Pride Demonstration 2024
Zürich, 15.6.2024

Sichtbar, das waren Nonbinäre, Transmenschen und überhaupt queere Personen am Samstagnachmittag. Rund 20’000 Personen sind an Zürichs wohl buntestem Umzug mitgelaufen. Regenbogenfahnen überall, Happening und Demo in einem, politische Parolen zwischen Abba und Ariana Grande.

Alle waren sie dabei, über 100 Gruppierungen und Firmen wie Starbucks und BMW/Mini Cooper, die Solidarität zeigen wollten. Das hat in der Community zur Kritik geführt, die Pride werde kommerzialisiert. Anliegen wie die Akzeptanz und rechtliche Absicherung nonbinärer Personen oder unkonventioneller Beziehungsmodelle – Stichwort Polyamorie – würden fast untergehen.

Zurich Pride Demonstration 2024
Zürich, 15.6.2024

Am späten Nachmittag ist der Umzug auf der Landiwiese angekommen, wo es kurzzeitig ein ziemliches Chaos gibt. Die Zugänge zum Festareal vermögen nicht alle Leute innert nützlicher Frist aufzunehmen, viele stehen im Stau, aber nach einer halben Stunde beruhigt sich die Sache ohne grössere Probleme.

Hier treffen wir Alexander Klohe, der von sich selbst sagt, er sei «für immer 18». Er reise jedes Jahr an die Zürich Pride: «Was für ein Auftakt! Danach beginnen alle europäischen Prides, das ist ein bisschen wie eine Pride-Tour.»

Dieses Jahr findet er speziell, weil die Pride zum 30-Jahr-Jubiläum nicht wie üblich auf dem Kasernenareal stattfindet. Die Landiwiese sei doch ein bisschen abgeschottet vom Rest der Stadt. Speziell sei aber auch dies: «Es läuft so viel heute! Wobei, Fussball schaue ich heute eh nicht. Deutschland hat gestern gewonnen, der Rest ist mir eigentlich egal.»

So wie ihm geht es vielen an der Pride. Dass die Schweiz am Nachmittag Ungarn besiegt hat, ist für die Tausenden am Umzug bestenfalls eine Randnotiz.

Wichtiger ist für viele das Konzert von Troye Sivan, einem Australier, der in der queeren Gemeinschaft sehr bekannt ist. Er spielt am Abend in Dübendorf. Für Klohe ist das kein Thema, von Sivan kenne er ohnehin nur ein Stück: «Im Moment bin ich queer und hier, und das ist gut so.»

Samstag, 19.30 Uhr: «Oper für alle»

Oper für Alle auf dem Sechseläutenplatz
Mara und Rebecca (in weiss)
Zürich, 15.6.2024

Irgendwann an diesem verrückten Wochenende fragt man sich dann, wo eigentlich all die Leute herkommen. Denn da sind auch etwa 12’000 Menschen, die sich auf dem Sechseläutenplatz niedergelassen haben, viele auf gemieteten Campingstühlen, andere haben Picknickdecken mitgebracht oder sitzen einfach auf dem Boden.

Um acht Uhr beginnt hier die Liveübertragung von «Carmen» aus dem Opernhaus. Es ist die elfte Ausgabe der «Oper für alle», die mittlerweile fester Bestandteil des Zürcher Kulturlebens ist.

Unter all den Menschen sind auch die 26-jährige Mara Schaffner und die 23-jährige Rebecca Weber. Die zwei Studentinnen sind schon zum zweiten Mal an der «Oper für alle», die friedliche Stimmung gefällt ihnen. Sie haben ihre eigene Gartenbank mitgebracht – im Tram, wie sie lachend erzählen. «Es ist lustig, weil sich dadurch unverhoffte Begegnungen ergeben.» Was auch nicht fehlen darf, ist das Picknick.

Rebecca geht oft in die Oper, das hier sei aber «etwas ganz anderes». Das ist auch der Grund, warum Mara dabei ist – sie hat es sonst nicht so mit Opern. Aber dieses Ereignis lasse sie sich nicht entgehen. Obwohl beide mittlerweile etwas müde sind.

Denn die beiden Freundinnen haben sich praktisch die volle Packung gegeben in den letzten zwei Tagen. Am Freitag waren sie «natürlich» am Frauenstreik. Und am Nachmittag haben sie das erste EM-Spiel der Schweiz geschaut. Und die Pride? «Nu es bitzli», sagt Mara lachend, zeigt auf ihre Hose, die mit zwei vierfarbigen Längsstreifen versehen ist: «Das muss reichen, sonst wäre es doch etwas viel geworden.»