Corona-Krise in SüdafrikaFrauen verlieren ihre Freiheit
Weil sie während der Pandemie arbeitslos wurden, ziehen viele Südafrikanerinnen von den Metropolen aufs Land zurück. Für die Frauen bedeutet das oft die Rückkehr ins Patriarchat.
Cynthia Tambani ist 38 Jahre alt, und man kann sagen, dass sie keinen unangemeldeten Besuch bekommen darf. Noch vor kurzem war das anders, da lebte sie in Südafrikas Wirtschaftsmetropole Johannesburg, arbeitete tagsüber in einer Buchhaltung und zog abends mit ihren Freundinnen durch die Bars.
Jetzt sitzt sie vor ihrem kleinen Haus in der südafrikanischen Provinz und bittet darum, den Chief, den traditionellen Chef des Dorfes Tshiozwi im Norden Südafrikas, vom Besuch bei ihr zu unterrichten. Sonst gebe es Ärger. «Ich vermisse Johannesburg und die anderen Frauen, die dorthin gegangen sind, um etwas zu erreichen», sagt Tambani.
Die Chiefs bestimmen
Südafrika ist eine Demokratie, die aber in Teilen undemokratisch regiert wird. Das Land hat sieben anerkannte Könige und zahlreiche Regionen, in denen neben der gewählten Regierung die traditionellen Führer zahlreiche Aspekte des Alltages bestimmen, von der Frage, wer Land bekommt, bis zur Schlichtung von Konflikten. Für die Rückkehrerinnen aus den Städten ist es oft auch die Rückkehr in eine andere, nicht mehr nur selbstbestimmte Welt. Aus Sicht der Frauen könnte man auch sagen: Es ist eine Rückkehr ins Patriarchat. Viele Chiefs haben mehrere Frauen, die ihnen Kinder gebären, wobei aber meist nur die Söhne das Erbe antreten können. Frauen werden selten Chief oder regierende Königin. Es gibt zwar moderne Chiefs, die versuchen, die Dinge zum Positiven für ihre Gemeinschaft zu ändern. Aber es gibt auch viele, die vor allem an sich selbst denken.
Jahrzehntelang kannte die Migration in Südafrika nur eine Richtung: vom Dorf in die Stadt. In Zeiten der Apartheid zogen die Männer in die Minen und Fabriken, wurden in die Städte verfrachtet und in Wohnsilos gepfercht, die man Hostels nennt. Später kamen die Frauen, die als Haus- oder Büroangestellte arbeiteten. Mit dem Ende der Apartheid wurden neue Karrieren möglich, eine Flucht aus der Enge des Dorfes und seiner traditionellen Gesellschaft. In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich die Bevölkerung der beiden grössten Städte Johannesburg und Kapstadt verdoppelt, auf sechs und vier Millionen Einwohner.
Ihre Töchter wollen studieren
Die Corona-Pandemie hat den Trend gestoppt und umgekehrt. Nach Schätzungen der Universität Oxford haben bis Mai etwa 15 Prozent der Bevölkerung Südafrikas ihren Wohnort gewechselt. Bis zu sechs Millionen Menschen sind aufs Land zurückgezogen, weil in den Metropolen die Arbeitsplätze verloren gingen. «Ich bin damals in die Stadt, um nach Möglichkeiten zu suchen, meinen Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen», sagt Cynthia Tambani. Drei Töchter hat sie, die alle einmal studieren wollen. Hope ist eine von ihnen, Hoffnung. Momentan ist diese nur in überschaubarem Mass vorhanden.
«Ich kann nicht sagen, dass ich glücklich bin, aber wenigstens bin ich wieder bei meinen Kindern», sagt Tambani. Nach einem neuen Job zu suchen, macht für sie keinen Sinn, schon gar nicht hier auf dem Land, wo die Arbeitslosigkeit bei mehr als 50 Prozent liegt. Sie hat sich einen Backofen gekauft und bäckt Brot und kleine süsse Teilchen für die Nachbarschaft, wenn genug Geld für Mehl da ist. Hinter dem kleinen Haus liegen ein paar Steine auf einem Haufen. Wenn sie etwas angespart hat, soll daraus ein Holzofen entstehen: für Pizza und Burger. Die gebe es nämlich nicht in ihrem Dorf. Viel gibt es da ohnehin nicht. Ihre neue Heimat ist eine Ansammlung von mehreren Hundert Häusern, die Grundstücke sind gross, die Strassen staubig.
Ihr Vater war ein Freiheitskämpfer
Manche haben es in der Stadt zu Wohlstand gebracht und wohnen in grossen Steinhäusern. Cynthia Tambanis Zuhause besteht nur aus einem einzigen Raum, die Toilette steht im Garten, das Wasser muss beim Nachbarn geholt werden. Es fehlen die Annehmlichkeiten der Stadt. Und auch die Freundinnen, die selbstbewussten Frauen, die etwas erreichen wollten. «Hier im Dorf dreht sich für Frauen alles ums Heiraten. Es gibt nicht viele selbstständige Frauen», sagt Tambani. Und der Chief des Dorfes hat wahrscheinlich auch kein grosses Interesse, dass sich daran etwas ändert.
Tambani hat selbst versucht, die Dinge zu ändern, wie ihr Vater, der ein Freiheitskämpfer war und vom Apartheidregime erschossen wurde, als die Tochter ein Jahr alt war. Sie ist in die Jugendliga der Kommunisten eingetreten, für die angeblich alle gleich waren. «Aber auch da ist man als Frau nur etwas geworden, wenn man mit Männern geschlafen hat», sagt sie. Freiheit brachte erst die Grossstadt, der Job, das eigene Geld.
Ein Zurück nach Johannesburg werde es in naher Zukunft aber nicht geben, befürchtet sie. Die Zukunft ist noch ein Haufen Steine, aus dem mal ein Pizzaofen werden soll.
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