Corona in AfrikaDie erwartete Katastrophe ist bislang ausgeblieben
Viele afrikanische Staaten haben in das Gesundheitswesen investiert, um Covid-19 in den Griff zu kriegen.
Als in den Armenvierteln von Johannesburg 1904 die Beulenpest ausbrach, nutzte die weisse Regierung die Seuche, um das umzusetzen, was sie ohnehin vorhatte: Sie brannte die Hütten in den Armenvierteln nieder und deportierte die schwarzen Einwohner an den Stadtrand – es war die Geburtsstunde von Soweto, dem grössten Township Südafrikas. Als 14 Jahre später die Spanische Grippe wütete, wurden noch mehr Menschen an die Ränder gedrängt. Die schwarzen Bewohner stellten ein Gesundheitsrisiko dar, behauptete die weisse Regierung.
Etwas mehr als hundert Jahre später liegen die Dinge eher umgekehrt, Corona kam als eine Krankheit der Reichen nach Südafrika, die es vom Skifahren in Italien mitbrachten. Aber vor allem ihresgleichen ansteckten. «Das Erbe der Apartheid-Geografie wirkt bis heute fort», sagt Max Price, der ehemalige Vizerektor der Universität Kapstadt. Die räumliche Trennung zwischen Arm und Reich und der schnell eingeführte Lockdown seien womöglich ein Grund, warum sich das Coronavirus in Südafrika bisher lang nicht so rasch ausgebreitet habe, wie viele düstere Prognosen vor einem Monat noch vorhergesagt hatten – am Freitag waren lediglich 5647 Menschen infiziert, 103 Patienten starben.
Bill Gates’ Fehlprognose
Es sind Zahlen, die zu vorsichtigem Optimismus Anlass geben, so wie in anderen afrikanischen Ländern auch. Mehr als zehn Millionen Tote prophezeite Bill Gates dem Kontinent, wenn nicht rasch gehandelt werde. Fast zwei Monate später sind es knapp über 1600 Todesfälle.
Die niedrigen Zahlen liegen zum einen daran, dass in Ländern wie der Demokratischen Republik Kongo oder Somalia viel zu wenig getestet wird. Und das Virus hier später eintraf als in Europa. Die Zeit nutzen aber viele Staaten. «Afrikanische Länder haben sehr radikale Schritte unternommen, Grenzen geschlossen und das öffentliche Leben eingeschränkt», sagt John Nkengasong, der Direktor des Afrikanischen Zentrums für Seuchenkontrolle in Addis Abeba. Noch sei es aber zu früh, um Entwarnung zu geben. Zwei Studien aus den USA und Spanien lassen Gesundheitsexperten vorsichtig hoffen, dass Menschen mit HIV nicht stärker von Corona betroffen sein könnten. In Südafrika allein leben 2,5 Millionen HIV-Positive, die nicht regelmässig Medikamente nehmen.
Schweizer Experte «eher zuversichtlich»
Viele Länder haben in den vergangenen Wochen einiges getan, um ihre Gesundheitssysteme zu verbessern. Als das Virus auf dem Kontinent eintraf, waren nur Senegal und Südafrika in der Lage, Menschen darauf zu testen, heute ist das in fast allen 49 Ländern Sub-Sahara-Afrikas möglich. Senegal will bald einen Test einführen, der in zehn Minuten Ergebnisse bringt, in Kenia produzieren Fabriken Zehntausende Masken am Tag, Somalia hat das erste selbst gebaute Beatmungsgerät vorgestellt, in Südafrika soll bald eine Serienproduktion beginnen. Er sei «eher zuversichtlich, was die Covid-19-Mortalität in Afrika angeht», sagt Christian Lengeler vom Schweizer Tropeninstitut. «Mortalität in Europa ist extrem altersbedingt. Man kann wirklich sagen, dass unter 60 Jahren nicht viel passiert.» Während in der Schweiz 18,7 Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre ist, seien es im afrikanischen Durchschnitt gerade mal 2 Prozent. Das mache Hoffnung.
Gleichwohl weist auch Lengeler auf die enormen wirtschaftlichen und sozialen Kosten hin, die in vielen afrikanischen Ländern durch die drastischen Massnahmen entstanden sind. Millionen Händler, Tagelöhner, Köche und Fahrer in der informellen Ökonomie haben ihre Arbeit verloren. In einem Vorort von Johannesburg standen Bedürftige am Freitag in einer vier Kilometer langen Schlange für Essenspakete. «Hoffentlich werden sich afrikanische Regierungen bald dazu durchringen, ihre eigenen Empfehlungen auszuarbeiten, und nicht diese aus dem Norden zu übernehmen», sagt Lengeler. In Ruanda, Ghana und Südafrika werden die teils strengen Beschränkungen bereits wieder gelockert.
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